Braunschweig. Bücher nicht nur durchblättern, sondern gänzlich anders wahrnehmen - darum dreht sich die Schau „BOOK_SPACES“. Doch es geht auch um Tiefgründigeres.

Noch bevor der Besucher das Braunschweiger Photomuseum betritt, ist er mitten drin in der Ausstellung „BOOK_SPACES“. Sie zeigt Werke von sieben internationalen Künstlerinnen und Künstlern und beschränkt sich dabei nicht auf die Innenräume der beiden Torhäuser des Museums. Nur ein paar Meter weiter füllt „BOOK_SPACES“ zusätzlich vorübergehend einen Leerstand in der Helmstedter Straße 170.

Doch damit nicht genug, eine der gezeigten Installationen führt den Besucher quer durch die Braunschweiger Innenstadt: Für„HRTLND“ hat Künstler Mads Holm seine Arbeiten auf Planen an 15 Orten im Stadtgebiet verteilt. Dadurch inszeniert der Künstler die Fotos aus seinem Fotobuch im öffentlichen Raum. Fotobücher - darum dreht sich alles in der Ausstellung „BOOK_SPACES“. Aber auch die Bücher der anderen sechs Künstlerinnen und Künstler liegen nicht einfach auf Tischen aus, sondern sind dreidimensional aufbereitet: mit Video, Audio und dem Ausstellungsort.

Kganye zeigt ihr Verständnis der Geschichte ihres Großvaters

Das tut auch die südafrikanische Künstlerin Lebohang Kganye, die ihren Animationsfilm „Ke Sale Teng“ (Ich bin immer noch da) präsentiert. Der Stop-Motion-Film zeigt ein virtuelles Fotoalbum, das aber nicht aus Fotos besteht, sondern aus Schattenrissen, die sie im Film wie Figuren agieren lässt. Mit diesem Pop-Up-artigen Schattentheater erzählt die Künstlerin Geschichten über ihren Großvater.

In vielen Familiengeschichten sei er aufgetaucht, aber Kganye habe ihn nie persönlich kennenlernen können, erklärt Kurator Finn-Niclas Schütt. Durch das animierte Pop-Up-Buch wolle die Künstlerin wiedergeben, was sie von dieser Familienfigur aus der Zeit der Apartheid in Südafrika verstehe. Für den Betrachter ist das nicht direkt nachvollziehbar.

Scherenschnitt-Figuren bewegen sich in kurzen, anmierten Szenen auf einer Leinwand. Mit dem virtuellen Pop-Up-Buch zeigt Lebohang Kganye die Geschichte ihres Großvaters.
Scherenschnitt-Figuren bewegen sich in kurzen, anmierten Szenen auf einer Leinwand. Mit dem virtuellen Pop-Up-Buch zeigt Lebohang Kganye die Geschichte ihres Großvaters. © FMN | Anna Lucy Richter

In der ersten von fünf Szenen des Films stehen zwei Silhouetten nebeneinander – augenscheinlich ein Mann und eine Frau. Die Frau läuft in den Hintergrund, wo sich ein Zug nähert. Sie steigt ein und fährt weg. Dann wird die Seite umgeblättert, und die nächste Szene folgt. Soundelemente gibt es – doch sind sie sparsam eingesetzt. Die Bilder, die der Zuschauer zu sehen bekommt, sind nie ganz vollständig - das habe die Künstlerin bewusst gemacht, heißt es im Ausstellungstext. Damit wolle sie die Familienerzählungen hinterfragen.

Leben zwischen zwei Kulturen performativ dargestellt

Ein Gegensatz zu dem nüchternen, dunklen Raum, der ganz in schwarzweiß gehalten ist, ist ein aggressiv wirkender rot-gelber Raum im zweiten Torhaus. Darin steht ein Tisch aus bemaltem und verformten Glas vor einem ebenfalls verformten Foto auf Glas. Es ist die multimediale Installation „She sang a song while I was dreaming“ der vietnamesischen Künstlerin Hien Hoang. „Die Künstlerin beschäftigt sich viel mit dem westlichen Blick auf die asiatische Welt“, erklärt Schütt.

Auf der rechten Seite des Raumes liegt eine Matratze am Boden. Scherben einer blau-weißen Schale, eine goldene Winke-Katze und Formulare eines Einbürgerungstests sind darum verteilt. Die Überreste der Performance, die Hoang kurz nach Ausstellungseröffnung gab. Die Installation und die Performance stellten das Leben zwischen zwei Kulturen dar, führt Schütt aus. Obwohl das Kunstwerk nicht schön anzuschauen ist, ist die Aussage klar: Die asiatische Welt scheint in unserem Land wie ein Brei wahrgenommen zu werden. Ob vietnamesische Küche oder chinesische - in jedem „Asia-Bistro“ gibt es die gleichen Nudel- und Reisgerichte, die gleiche Dekoration und das gleiche blau-weiße Geschirr. Als Besucher fühlt man sich nicht wohl in diesem Raum, genau, wie es wohl angedacht ist. Mit einem Fotobuch hat das allerdings wenig zu tun.

Die Überreste der Performance der Künstlerin Hien Hoang: Sie stellt in ihrer Installation den westlichen Blick auf die asiatische Welt dar.
Die Überreste der Performance der Künstlerin Hien Hoang: Sie stellt in ihrer Installation den westlichen Blick auf die asiatische Welt dar. © FMN | Anna Lucy Richter

Rollenbilder, Identitätsfragen und Familiengeschichten sind Themen der Ausstellung

Die eigene Identität, die Rolle der Familie und Erwartungen der Gesellschaft - das sind die zentralen Themen, mit denen sich die Künstler befassen. So hat Pedro Guimarães einen Raum mithilfe seiner Kinder gestaltet. Bunte Monster-Kinderzeichnungen mischen sich mit Fotos von hinter Masken versteckten Kindern.

In „No Words of Warmth“ beschäftigt sich die Künstlerin Sarai Meyron auf Fotovorhängen mit ihrer jüdischen Identität und was diese für ihre Familie und sie bedeutet. Zuzana Pustaiová kritisiert mit bunten, großen Bildern stereotypische Männer- und Frauenrollen in ihrem Projekt „One Day Every Day“. Kohei Kawatanis Fotografien seines Buches „Tofu Knife“ sind in allen drei Häusern verteilt: Alltagsgegenstände in Nahaufnahme.

Mini-Ausstellung im Leerstand: First Pages

Zusätzlich zu den Installationen der sieben Künstlerinnen und Künstler haben die Kuratoren des Photomuseums noch 14 Fotobücher ausgewählt, die sich Besucher anschauen können. Die Bücher in der Ausstellung „First Pages“ sind Abschlussprojekte von Studierenden aus Dortmund und Hannover.

Bis zum 10. September, göeffnet Di.-Fr. 13-18 Uhr, Sa./So. 11-18 Uhr

14 Fotobücher von Studierenden aus Dortmund und Hannover können die Besucher in einem Leerstand schräg gegenüber dem Museum begutachten.
14 Fotobücher von Studierenden aus Dortmund und Hannover können die Besucher in einem Leerstand schräg gegenüber dem Museum begutachten. © FMN | Anna Lucy Richter