Madrid. Lange war es still um die kleine Maddie. Nun suchen die Ermittler um einen Stausee nach Hinweisen. Der Anstoß dazu kam aus Deutschland.

Aus der Ferne sieht man Zelte. Für die nächsten Tage sind sie das Basiscamp der portugiesischen Polizei bei neuen Ermittlungen im Fall Madeleine McCann.

Seit acht Uhr am Morgen graben die Beamten mit Schaufeln und Spitzhacken den Boden am Ufer eines Stausees um. Immer wieder kann man am Dienstag beobachten, wie sie einzelne Funde in Säcken verstauen, mögliche neue Hinweise, um das Verbrechen zu lösen, das auch 16 Jahre später viele Menschen weltweit umtreibt: Den Fall der 2007 verschwundenen, damals drei Jahre alten "Maddie".

Kate und Gerry McCann zeigen ein Vermisstenplakat, das ein computergeneriertes Bild ihrer immer noch vermissten Tochter Madeleine zeigt, während einer Pressekonferenz in London am 2. Mai 2012.
Kate und Gerry McCann zeigen ein Vermisstenplakat, das ein computergeneriertes Bild ihrer immer noch vermissten Tochter Madeleine zeigt, während einer Pressekonferenz in London am 2. Mai 2012. © dpa | SANG TAN

Die Polizei setzt auch Taucher und Spürhunde ein

Alle Zufahrtswege zu der abgelegenen Halbinsel, die in der Arade-Talsperre im Hinterland der Algarve liegt, wurden abgesperrt. Dutzende Medienleute aus aller Welt verfolgen die Ermittlungen, sie sehen mehrere Boote, die Taucher der Feuerwehr und die Spürhunde der Polizei.

Der Stausee – nach einer langen regenarmen Zeit nur noch zu einem Drittel gefüllt – liegt 50 Kilometer von Praia da Luz entfernt. Das ist jener Ferienort, in dem das Kind am 3. Mai 2007 spurlos verschwand.

Hauptverdächtiger ist der 46 Jahre alte Christian B., der sich zum Zeitpunkt des Verschwindens in Portugal aufhielt. Das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermitteln gegen ihn in diesem Fall wegen Mordes – er selbst bestreitet den Vorwurf.

Neue Suchaktion im Fall Maddie unter Beteiligung des BKA
Neue Suchaktion im Fall Maddie unter Beteiligung des BKA

Suche geht auf die Staatsanwaltschaft Braunschweig zurück

Die Braunschweiger Behörde hat am Dienstag bestätigt, die aktuellen Ermittlungsmaßnahmen angestoßen zu haben. Auch Beamte des Bundeskriminalamtes und von Scotland Yard sind vor Ort.

Die deutschen Ermittler fanden, so hört man, bei Christian B. auf Datenträgern Bilder und Videos, auf denen eine Halbinsel des Stausees zu sehen ist. "B. hat diesen Ort regelmäßig besucht“, berichtet der portugiesische TV-Sender SIC unter Berufung auf Portugals Kripo. "Er nannte diese Halbinsel sein kleines Paradies“, heißt es weiter. Christian B. habe an diesem Ort vermutlich auch übernachtet.

Offiziell bestätigt wurde dies nicht. Aber das Bundeskriminalamt hatte bereits vor Längerem im Zuge der Ermittlungen mitgeteilt, dass B. im mutmaßlichen Tatzeitraum in Portugal mit einem weiß-gelben Campingbus vom Typ VW T3 Westfalia unterwegs war und in dem Fahrzeug auch geschlafen habe.

Die portugiesische Polizei bei Untersuchungen in dem Gebiet, wo die Dreijährige zuletzt lebend gesehen wurde.
Die portugiesische Polizei bei Untersuchungen in dem Gebiet, wo die Dreijährige zuletzt lebend gesehen wurde. © Joao Matos/AP

Die Ermittler gehen vom Tod von Maddie aus

Die deutschen Ermittler gehen davon aus, dass Madeleine nicht mehr lebt. Sie glauben, dass Christian B. das Mädchen am 3. Mai 2007 aus dem Ferienappartement der Eltern in Praia da Luz entführte, es dann missbrauchte und schließlich umbrachte. In einem Sex-Chat soll B. davon fantasiert haben, „etwas Kleines einzufangen und tagelang zu benutzen“.

Maddies Eltern Kate und Gerry McCann auf hatten sich von Anfang an bei der Suche beteilitgt. Gerieten zeitweise selbst unter Verdacht. Sie wussten wohl schon länger, dass eine neue Suche anlaufen würde.

Das Rätsel um den Beutel mit Knochenresten

Es ist bekannt, dass sie von den britischen Behörden über alle Ermittlungsschritte auf dem Laufenden gehalten werden. Am 3. Mai, dem 16. Jahrestag von „Maddies“ Verschwinden, schrieben sie auf ihrer Facebook-Seite: „Wir erwarten einen Durchbruch.“ Es ist übrigens nicht die erste Suche nach Madeleine an der Arade-Talsperrre.

Bereits kurz nachdem sich die Spur des kleinen Mädchens verlor, inspizierten Taucher schon vor Jahren im Zuge einer privaten Aktion den Stausee und fanden damals im Schlamm einen Beutel mit Knochenresten.

Hatte Portugals Polizei einen Fehler gemacht?

Die portugiesische Polizei, die zunächst Madeleines Eltern verdächtigte, kam jedoch zu dem Schluss, dass es sich um Tierknochen handle. Später wurde bekannt, dass Portugals Polizei in der Anfangsphase der Ermittlungen schwere Fehler unterlaufen waren: So hatten die Beamten offenbar den Straftäter B. überprüft und ihn aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen. Der Chefermittler wurde nach fünf Monaten ergebnislosen Untersuchungen gefeuert.

Im Raum steht derweil die Frage, ob die Braunschweiger Justiz überhaupt für Christian B. und damit auch für den Fall Maddie zuständig ist. Dazu hat die Staatsanwaltschaft offiziell Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig eingelegt, eine aktuell erhobene Anklage gegen den heute 46-Jährigen zurückzuweisen.

Der Hauptverdächtige und der Streit um seinen Wohnsitz

Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehrfach auch wegen Sexualdelikten vorbestraften Deutschen in einer Anklage weitere Verbrechen in Portugal zwischen 2000 und 2017 vor: drei Vergewaltigungen und den zweifachen sexuellen Missbrauch von Kindern.

Die zuständige Kammer des Landgerichts kam allerdings zu dem Schluss, dass der Beschuldigte seinen letzten deutschen Wohnsitz außerhalb des Gerichtsbezirks hatte – und die Braunschweiger Justiz mithin nicht zuständig sei.

Damit folgte sie der Argumentation der Verteidigung, dass Christian B. in Braunschweig nur eine Scheinadresse unterhalten, tatsächlich aber auf einem eigenen Grundstück in Neuwegersleben in Sachsen-Anhalt gelebt habe, bevor er sich wieder ins Ausland absetzte.

Die Staatsanwaltschaft dagegen betrachtet Braunschweig sehr wohl als letzten deutschen Wohnort des Mannes. Bleibt die Kammer bei ihrer Auffassung, soll in nächster Instanz das Oberlandesgericht Braunschweig diese Rechtsfrage klären. Bis dahin, so die Staatsanwaltschaft, "gehen wir unverändert von unserer Zuständigkeit aus, so dass auch die Ermittlungen im Fall Maddie wie geplant fortgeführt werden“.