Kiew. Laut US-Angaben wurden in fünf Monaten 20.000 russische Soldaten in Bachmut getötet. Auch, weil es an einer klugen Kriegstaktik fehlt.

Moskaus Überfall auf die Ukraine hat unter den russischen Streitkräften allein seit Dezember deutlich mehr Opfer gefordert als der zehnjährige sowjetische Krieg in Afghanistan. Nach einer Schätzung von US-Geheimdiensten wurden bei den Kämpfen in den vergangenen fünf Monaten mehr als 20.000 russische Soldaten getötet – ein Großteil von ihnen offenbar in der erbitterten Schlacht um die Industriestadt Bachmut im Osten der Ukraine.

Der horrende Blutzoll könnte zum Erfolg der anstehenden ukrainischen Gegenoffensive beitragen. Die Schlacht um Bachmut ist wie keine andere zum Symbol der Brutalität dieses Krieges geworden. Ukrainische Soldaten, die dort kämpften, beschreiben sie als Hölle auf Erden.

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Ein junger Offizier erzählte unserer Redaktion, er habe erlebt, wie russische Soldaten über die Leichen ihrer getöteten Kameraden direkt ins ukrainische Abwehrfeuer gestapft seien. Doch auch er habe in nur zwei Wochen drei der 20 Männer unter seinem Kommando verloren, erklärte der Ukrainer.

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In Bachmut sterben vor allem Kämpfer der Söldnertruppe Wagner

Die Bilder aus Bachmut erinnern an die Bilder von den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs. Jedoch haben die russischen Streitkräfte in den vergangenen Monaten auch in anderen Regionen heftige Verluste hinnehmen müssen – etwa bei Awdijiwka, Marjinka oder Wuhledar.

Ukrainische Militärsanitäter leisten einem verwundeten Soldaten in der Nähe von Bachmut erste Hilfe.
Ukrainische Militärsanitäter leisten einem verwundeten Soldaten in der Nähe von Bachmut erste Hilfe. © dpa | Libkos

In Bachmut sterben vor allem Soldaten der Söldnertruppe Wagner. Viele der dort in die Schlacht geschickten Männer sind ehemalige Strafgefangene, die sich mit der Aussicht auf frühzeitige Entlassung haben rekrutieren lassen. Sie wurden aber nur rudimentär ausgebildet.

Taktik besteht aus massenhaftem Einsatz von Menschen und Material

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin kritisiert seit Langem, seine Männer würden nicht hinreichend von der militärischen Führung in Moskau unterstützt und litten unter einem Mangel an Munition. Auf seinem Telegram-Kanal berichtete er am Dienstag, seine Söldner seien in Bachmut 120 Meter vorgestoßen, hätten dabei aber 86 Männer verloren.

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Gustav Gressel, Militärexperte bei der Berliner Denkfabrik European Council on Foreign Relations, hält die Schätzungen der US-Geheimdienste für realistisch. Er führt die extrem hohen russischen Verluste auch darauf zurück, dass die russischen Streitkräfte zum Teil unfähig seien, taktisch anders Krieg zu führen als mit dem schieren massenhaften Einsatz von Menschen und Material.

Die Russen haben hohe Verluste an Offizieren und Spezialisten erlitten

Zum anderen sei der politische Druck enorm hoch. „Putin hat keine militärische Erfahrung, macht aber strikte zeitliche Vorgaben und erwartet Erfolge auf dem Schlachtfeld“, so Gressel. Die hohen Opferzahlen unter den russischen Streitkräften könnten nach Ansicht Gressels den Verlauf der kommenden ukrainischen Gegenoffensive beeinflussen. „Sie sind nicht mehr in der Lage, die lange Front in der Tiefe mit der notwendigen Mannstärke zu sichern“, glaubt der Militärexperte.

Zudem hätten die Russen hohe Verluste an Offizieren und Spezialisten erlitten, speziell in der Infanterie und bei den Panzertruppen. Jedoch sei nicht klar, ob die Ukrainer daraus Vorteile ziehen könnten, schränkt Gressel ein. Schließlich hätten sich auch die ukrainischen Streitkräfte bei den Abwehrkämpfen „deutlich abgenutzt“.

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