Hannover. Mit Hubsteigern waren Greenpeace-Aktivisten am Mittwochmorgen auf das Dach des Landesparlaments gelangt. Das sagen die Politiker.

Greenpeace-Aktivisten haben mit riesigen Protestbannern den niedersächsischen Landtag in Hannover eingehüllt – und die niedersächsische Landespolitik in Aufruhr versetzt. Die Aktion am Mittwochmorgen richtete sich gegen die geplante Erdgasförderung vor der Nordseeinsel Borkum. Mehrere Menschen gelangten mit Hubsteigern auf das Landtagsdach und ließen große schwarz-gelbe Banner an der Fassade des Gebäudes herab. Die Polizei war mit vielen Einsatzkräften vor Ort, konnte die Aktion aber nicht verhindern. Beendet wurde sie erst nach rund sieben Stunden.

Die für den Tag geplante Landtagssitzung begann dennoch pünktlich. Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) erklärte zu Beginn, die Polizei habe Spezialkräfte angefordert, um die Protestaktion aufzulösen, und werde „alles Erforderliche tun, um die Aktion zeitnah zu beenden“. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wollte sich seiner Sprecherin zufolge nicht zu dem Protest äußern und verwies auf den Landtag.

Die Polizei begann gegen Mittag mit der Räumung. Mehrere vermummte Polizisten liefen durch die Portikushalle, den Eingangsbereich des Landtags. Auf dem Dach war unter anderem ein Spezialeinsatzkommando (SEK) im Einsatz, das in der Höhenrettung ausgebildet ist. Vom Dach aus entfernten Polizisten die ersten der riesigen Greenpeace-Banner.

Nachmittags verkündete die Polizei, dass alle Personen sicher heruntergeholt werden konnten. Die Beamten hätten die Identitäten der Aktivisten festgestellt und Platzverweise ausgesprochen, allerdings sei niemand in Gewahrsam genommen worden. Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte unserer Zeitung: „Bei allem Bewusstsein für die Wichtigkeit der Themen Umwelt- und Klimaschutz gelten die Regeln für Versammlungen und Proteste in unserem Rechtsstaat für alle gleichermaßen. Bei der heutigen Aktion von Greenpeace handelte es sich um eine nicht angezeigte Versammlung und der Landtag hat eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet. Vor diesem Hintergrund hat die Polizei auf die Lage sehr besonnen und deeskalierend reagiert und die Aktion letztlich professionell und entschlossen beendet.“

Die Polizei ermittelt der Sprecherin zufolge gegen mindestens 20 Personen, die auf dem Dach waren und an der Fassade hingen, wegen Hausfriedensbruchs. Zudem sei ein Verfahren wegen einer nicht angezeigten Versammlung eingeleitet worden. Einige der Aktivisten auf dem Dach mussten den Angaben zufolge von der Polizei weggetragen werden. Weder Polizisten noch Aktivisten seien bei dem Einsatz verletzt worden, sagte die Sprecherin.

Borkum: Streit um geplante Bohrungen in der Nähe zum Unesco-Weltnaturerbe

Auf einem Greenpeace-Flyer war zu lesen: „Die niedersächsische Landesregierung lässt zu, dass der niederländische Gaskonzern One-Dyas in unmittelbarer Nähe zum Unesco-Weltnaturerbe Wattenmeer Gasbohrungen durchführt.“ Wegen befürchteter Umweltschäden gibt es bereits länger Streit um die geplanten Bohrungen.

Hannover: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) steht im niedersächsischen Landtag, während durch die Sonnenschutzrollos des Landtags ein Protestplakakat der Umweltschutzorganisation Greenpeace mit Aufschrift „No new gas“ (zu Deutsch: „Kein neues Gas“) schimmert. Greenpeace protestiert gegen eine Gasbohrung vor der Nordseeinsel Borkum.
Hannover: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) steht im niedersächsischen Landtag, während durch die Sonnenschutzrollos des Landtags ein Protestplakakat der Umweltschutzorganisation Greenpeace mit Aufschrift „No new gas“ (zu Deutsch: „Kein neues Gas“) schimmert. Greenpeace protestiert gegen eine Gasbohrung vor der Nordseeinsel Borkum. © dpa | Julian Stratenschulte

Vergangene Woche hatte Greenpeace der niedersächsischen Landesregierung vorgeworfen, ein naturschutzfachliches Gutachten unter Verschluss zu halten. Umweltminister Christian Meyer widersprach auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur diesem Vorwurf.

Umweltminister zu Greenpeace: Schutz von Borkum hat höchste Bedeutung

Nun sicherte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer angesichts des Greenpeace-Protests am Landtag zu, dass der Umweltschutz bei der geplanten Gasförderung vor Borkum höchste Priorität habe. „Für uns als Landesregierung hat der Schutz der Insel Borkum, der Natur, des Wattenmeers, des Klimas allerhöchste, zentrale Bedeutung“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch im Gespräch mit einer Greenpeace-Aktivistin. Diese Haltung sei auch im Koalitionsvertrag der Grünen mit der SPD festgehalten. „Das ist keinerlei Blankoscheck für die Gasförderung“, sagte Meyer. „Es läuft das Verfahren. Es ist noch keine Genehmigung erteilt.“

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) im Gespräch mit zwei Vertreterinnen von Greepeace in der Landtags-Lobby. Der Minister kritisierte die Aktion, warb aber für Gespräche. Später nannte er es einen Fehler, das Gespräch im Landtag geführt zu haben.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) im Gespräch mit zwei Vertreterinnen von Greepeace in der Landtags-Lobby. Der Minister kritisierte die Aktion, warb aber für Gespräche. Später nannte er es einen Fehler, das Gespräch im Landtag geführt zu haben. © Funke Medien Niedersachen | Michael Ahlers

Im Landtag löste die Aktion heftige Geschäftsordnungsdebatten aus. Ein Antrag der CDU auf eine Sitzungsunterbrechung und Beratungen des Präsidiums wurde am späten Vormittag von SPD und Grünen abgelehnt. Sprecher der Koalition betonten, die Sitzung des Parlaments sei nicht gestört worden. Eine mögliche Strafverfolgung sei Sache der Justiz.

Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) sagte unserer Zeitung: „Ich finde es falsch, dass die auf den Landtag gehen.“ Man könne immer miteinander reden. Der frühere Landesumweltminister sprach auch mit Greenpeace-Vertretern. Entscheidend sei die fachliche Einschätzung, ob die Gasförderung schützenswerte Natur oder die Insel beeinträchtige, so Lies. In dem Fall könne die Förderung dort nicht stattfinden. Grundsätzlich werde Erdgas jedoch auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs noch für die Energieversorgung benötigt. „Ein Stück weit habe ich das Gefühl, in der Gesellschaft entsteht der Eindruck, wir haben gar kein Problem mehr. Doch, wir laufen mitten in das nächste Problem rein, den nächsten Winter. Deswegen müssen wir die Gasversorgung sicherstellen“, sagte Lies.

Die mögliche Förderung vor Borkum könne zwar nur einen Bruchteil der Gasversorgung Deutschlands abdecken. In Summe mit weiteren Gasprojekten könne sie aber zur Versorgungssicherheit beitragen. Lies kritisierte zudem das Vorgehen von Greenpeace. „Den Landtag mit Bannern zu versehen, geht aus meiner Sicht einen Schritt zu weit, weil ich finde, da bedarf es auch eines gewissen Respekts dem Parlament gegenüber“, sagte Lies.

Das sagt Niedersachsens CDU-Fraktionschef – und das die Grüne Vize-Präsidentin

CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner (CDU) betonte, es handele sich eindeutig um Hausfriedensbruch. Er kritisierte den Greenpeace-Protest am Landtag scharf und forderte eine Debatte über die Sicherheit des Parlaments. „Wenn Straftäter das Dach des hohen Hauses besetzen und ein Banner um das Gebäude spannen, dann hat das nichts mehr mit normalen Demonstrationen zu tun, es stellt eine Straftat dar und muss unterbunden werden“, teilte Lechner am Mittwoch mit.

„Und es wirft die Frage auf, ob das Parlament ausreichend gesichert und die Abgeordneten sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Bannmeile ausreichend geschützt sind.“ Eine Bannmeile für spontane Demonstrationen hatte es am Landtag in Hannover bis 2017 schon einmal gegeben. In einer Zone rund um das Leineschloss mussten Demos damals vom Landtagspräsidenten genehmigt werden. Unter der damaligen rot-grünen Landesregierung wurde diese Regelung jedoch abgeschafft. Lechner kritisierte auch das Verhalten der Landesregierung gegenüber den Aktivisten.

„Während wir im Parlament trotz allem debattierten, trafen sich Teile der Landesregierung mit Protestlern in der Lobby und der Ministerpräsident schweigt dazu. Nun muss er sich die Frage gefallen lassen, wie er es mit der Würde des Parlaments hält“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende, der auch Landeschef seiner Partei ist. AfD-Fraktionschef Stefan Marzischewski-Drewes sagte: „Das Parlamentsgebäude wird gekapert und die Regierungsvertreter jubeln. Hätten Demonstranten, die nicht dem links-grünen Freundeskreis entstammen, eine ähnliche Aktion gestartet, hätten die gleichen Politiker wahrscheinlich von einem versuchten Staatsstreich gesprochen“, so der AfD-Politiker. Lies bezeichnete sein Treffen mit „Greenpeace“ in der Lobby später als „falsches Signal“ und Fehler.

Niedersachsens Vizepräsidentin des Landtags Meta Janssen-Kucz wiederum hat Verständnis für den Greenpeace-Protest. „Wir haben keine Bannmeile, und gerade solche Aktionen sind auch notwendig, um den Fokus darauf zu legen, was vor der Insel Borkum im Gange ist, was dort in Sachen Klimaschutz und Umweltschutz einfach notwendig ist. Und das heißt: Stopp der Erdgasförderung. Wir haben so wenig Nutzen davon“, sagte die Grünen-Politikerin, die ihren Wahlkreis in Leer/Borkum hat, am Mittwoch.

Die Gasförderung werde nicht gebraucht und zerstöre „wirklich alles, was wir dort vor Ort haben“. Janssen-Kucz betonte, die Aktivisten seien nicht ins Landtagsgebäude eingedrungen. „Von daher ist das für mich eine friedliche, legitime Protestform“, sagte sie.

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