Helmstedt. Die Paramentenwerkstatt des Klosters Marienberg ist insolvent: Streit der Stiftungen um die Zukunft.

Behutsam hebt Mechthild von Veltheim ein helles Schutztuch vom Tisch. Darunter ein taubenblaues Kleid aus dem Barock. Verblichen, zerschlissen. Darauf liegen gleichfarbige Stoffstücke, die die Fehlstellen im Kleid sichern und schließen sollen. Und zwar so, dass die Ausbesserung möglichst unbemerkt bleibt.

Im Raum nebenan liegen zwei historische Wappenfahnen. Zerfleddert, an manchen Stellen geradezu zerfetzt. Dem Laien ist schleierhaft, wie man die wiederherstellen kann. So etwas können auch nur sehr wenige in Deutschland. Zum Beispiel die Angestellten der Paramentenwerkstatt der Von-Veltheim-Stiftung im Helmstedter Kloster Marienberg.

An diesem Tag liegen die Werktische, Webstühle, Wasch- und Färbeanlagen verwaist da. Den sechs studierten Restauratorinnen und Handwerkerinnen wurde gekündigt. „Wir hoffen, dass wir die laufenden Aufträge noch irgendwie erfüllen können“, sagt Mechthild von Veltheim. „Damit wir unsere Kunden nicht vollständig enttäuschen.“ Die Domina des Klosters, die für die Werkstatt zuständig ist, lässt den Blick durch die leeren Räume schweifen und sagt: „Man könnte heulen.“

Kreativ seit dem Mittelalter

Die Werkstatt zur Herstellung von kirchlichen Textilien besteht bereits seit dem Mittelalter in Helmstedt, später kam die Restaurierung hinzu (siehe Info-Kasten). Seit dem 1. Juni ist sie insolvent.

Für die Domina und ihren aus sechs Damen bestehenden Konvent sowie ihren Vetter Nikolaus von Veltheim, den Vorsitzenden der Stiftung, drängt die Zeit. Das Hauptproblem nennt Nikolaus: „Wenn wir es nicht schaffen, die Liquiditätslücke innerhalb von vier Wochen zu schließen, um den Betrieb wieder aufnehmen zu können, sind die Mitarbeiterinnen weg.“ Es handele sich um hochqualifizierte und sehr begehrte Fachkräfte, vor allem Stickerinnen. „Da finden wir so schnell keine neuen. Dann ist die Werkstatt am Ende.“

Entstanden ist die Lücke laut Nikolaus von Veltheim aufgrund des Auftragsrückgangs während der Corona-Pandemie sowie Außenständen von mehr als 100.000 Euro aus einem Auftrag in Dresden. Grundsätzlich halten die Domina und ihr Vetter die Werkstatt für wirtschaftlich überlebensfähig. Vor allem in der Restaurierung gebe es großen Bedarf und nur wenige vergleichsweise exzellente Betriebe.

Weltgeltung

Weil zunehmend mehr Kirchengemeinden sich zusammenschließen, würden weniger Paramente beauftragt. Deshalb wolle man künftig mehr mit dezenten christlichen Symbolen in weltlichen Textilien am Markt reüssieren – von Tischtüchern über Gardinen und Vorhänge bis zur Handyhülle.

Zudem plant Nikolaus für den Fall der Rettung Modernisierungen der Strukturen. Auch sei man auf Sponsorensuche, aber das sei in der derzeitigen Lage nicht einfach.

Einzigartig in Deutschland

Natürlich betrachtet die Domina ihre Werkstatt nicht nur als Wirtschaftsunternehmen. Diese habe in Paramentik wie Restaurierung einen weltweiten Ruf aufgebaut. Für großes Aufsehen bis in die Türkei sorgte etwa die glanzvolle Wiederherstellung eines osmanischen Zelts aus dem 17. Jahrhundert für die Dresdner Kunstsammlungen.

Man sei neuerdings Mitglied der Genfer Michelangelo-Foundation zur Förderung des Kunsthandwerks, sagt die Domina. Ein Antrag auf Aufnahme in die deutsche Liste des immateriellen Kulturerbes laufe – Grundlage für die Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste.

In ihrer Form sei die Helmstedter Werkstatt ziemlich einzigartig in Deutschland, meint Mechthild von Veltheim. „Ein Alleinstellungsmerkmal weit über die Region hinaus. Wir sind auch die einzigen, die noch ausbilden.“ Auch gibt sie zu bedenken: „Wenn die Touristenbusse zum Kloster kommen, dann hauptsächlich, weil die Menschen sich für die Paramente interessieren“. Die Männer, fügt sie schmunzelnd hinzu, seien zunächst wenig interessiert an den Stickkünsten. „Aber dann finden sie die Technik total spannend!“

Gravierender Vorwurf

Na, dann müsste das doch mit vereinten Kräften zu schaffen sein, die Einrichtung zu retten. Zumal auch der Landkreis und die Stadt Helmstedt für den Erhalt sind. Landrat Gerhard Radek erklärte auf Anfrage, er sei sich mit Bürgermeister Wittich Schobert einig, mit Hochdruck an einer Lösung arbeiten zu wollen, wenn auch weniger der finanziellen Art: „Stadt und Kreis haben ein extremes Interesse daran, alle Möglichkeiten zum Erhalt des einzigartigen Kulturguts auszuloten.“

Radek glaubt an eine gute Entwicklung: „Wenn sich unwirtschaftliche kleine Unternehmen aus dem Markt verabschieden, gibt es gute Chancen für die Großen, die übrigbleiben, in dieses Geschäft wieder einzusteigen.“ Auch touristisch stuft der Landrat die Helmstedter Klöster und namentlich die Paramentenwerkstatt als „Perlen“ ein. „Alles, was uns in dem Bereich schlechter dastehen lässt, gilt es zu verhindern.“

Kunstwerk soll verkauft werden

Das niedersächsische Kulturministerium schreibt auf unsere Anfrage: „Der Erhalt des Kulturgutes Paramentik ist für uns in Niedersachsen wichtig. Das Ministerium unterstützt mögliche tragfähige und nach vorne gerichtete Lösungen.“

Die Veltheims haben einen Plan. Sie wollen ein Kunstwerk aus dem Kloster an ein Museum verkaufen, einen mittelalterlichen Altaraufsatz. Das würde nach ihrer Einschätzung die Liquiditätslücke schließen. Dann könnte man die Mitarbeiterinnen halten. Aufträge lägen vor. Der Insolvenzverwalter befürworte den Plan.

Nun wird es freilich kompliziert. Denn: Die Werkstatt ist in der Trägerschaft der Von-Veltheim-Stiftung. Das Kloster hingegen gehört der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK). Juristisch entscheidend ist nun aus Sicht derer von Veltheim die Frage: Wem gehört das Kunstwerk, das sie verkaufen wollen? Die SBK meint: ihr. Und lehnt den Verkauf ab.

Streit der Stiftungen

Mechthild von Veltheim verweist auf einen Vertrag, demzufolge die mobilen Güter im Kloster der Von--Veltheim-Stiftung gehören – also auch das betreffende Kunstwerk. Sie glaubt, dass die neue SBK-Direktorin Maria-Rosa Berghahn, den Verkauf des Werks verhindern wolle, um nicht in die Lage zu kommen, die Paramentenwerkstatt dauerhaft unterstützen zu müssen.

Maria-Rosa Berghahn reagiert zunächst durchaus betroffen. Sie finde die gesamte Situation „sehr tragisch“, sagt sie im Gespräch. Es sei eine „Ausnahmesituation emotionaler Art, schließlich geht es um ein Lebenswerk. Ich verstehe das. Die Sache nimmt mich sehr mit.“

Dennoch sieht sie für die Paramentenwerkstatt in ihrer bisherigen Form wenige bis gar keine Überlebenschancen. „Als Stiftung wollen und werden wir alles daran setzen, das Kulturgut Paramentik im Kloster Marienberg zu erhalten. Wie, darüber gibt es eine Fülle von Überlegungen und Gesprächen.“ Eine Idee unter vielen in einem Zukunftsplan sei die Einrichtung einer Schauwerkstatt, „um die Kunst der Paramentik auch Unkundigen nahezubringen“.

Geschäftsmodell fragwürdig

Dem Geschäftsmodell der Werkstatt in bisheriger Form steht die Direktorin skeptisch gegenüber. „Die Liquiditätslücke tut sich ja schon seit 2015 auf“, sagt sie. Sie sei Ergebnis einer jahrelangen Fehlentwicklung. „Seit 2015 hat die SBK die Werkstatt mit Aufträgen unterstützt, ihr die Miete erlassen und Betriebskosten gestundet. Trotz dieser Unterstützung ist es der Von-Veltheim-Stiftung nicht gelungen, wirtschaftlich zu arbeiten.“

Die SBK dürfe in Geschäftsbetriebe nur zur Mehrung des Stiftungsvermögens investieren. In diesem Fall sei es also rein rechtlich gar nicht möglich, weil es keine Gewinnerwartung gebe.

Auch den von der Veltheim-Stiftung ins Spiel gebrachten Verkauf des Altaraufsatzes hält Berghahn nicht für ausrechend, die Werkstatt zu retten. Die Eigentumsfrage sei ungeklärt. Für die Juristin gehört das Werk zum Ensemble des Klosters, und zwar in einem „prägenden Sinnzusammenhang“. Und das Koster gehört der SBK. „Eine spannende Frage“, findet Berghahn. „Sie könnte Thema einer Doktorarbeit sein.“ Ihre Einschätzung: „Das werden Gerichte entscheiden.“

Schärfer im Ton

Etwas schärfer wird die Direktorin im Ton, als sie die Befürchtung äußert, der Altaraufsatz sei aufgrund unsachlicher Behandlung womöglich irreparablen Schädigungen ausgesetzt worden, als es vom Männersaal des Klosters in die Paramentenwerkstatt gebracht wurde.

Ein gravierender Vorwurf. Deshalb noch ein Anruf bei der Domina. Sie streitet das ab. „Ich war dabei, sie nicht. Es ist alles fachkundig und extrem vorsichtig vonstatten gegangen. Da ist nichts passiert. Alles korrekt.“ Im Übrigen befinde sich das Retabel jetzt wieder an seinem ursprünglichen Ort.

Wenn die Werkstatt schließen müsse, erklärt Mechthild von Veltheim, wäre dies auch das Ende des Konvents. „Der Insolvenzverwalter würde verpflichtet sein, sämtliche mobilen Güter aus dem Kloster herauszunehmen. Was will die SBK dann mit dem leeren, seelenlosen Kloster?“ Maria-Rosa Berghahn mag das nicht bewerten.