Braunschweig. Die Verkehrsverantwortlichen in unserer Region sind mit dem Start zufrieden. Allerdings ging die Bahn-Webseite erstmal in die Knie.

Mit beachtlichen Zahlen, weiteren politischen Ankündigungen, aber auch mit Überlastungsproblemen hat die neue Ära begonnen. Seit dem 1. Mai kann man mit einem „Deutschlandticket“ für 49 Euro pro Monat alle Nahverkehrszüge, Straßen-, S- und U-Bahnen sowie Busse benutzen.

Einer Hochrechnung des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen zufolge haben mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland sich für den Mai diesen Fahrschein besorgt. Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) zeigte sich mit dem Start ebenso zufrieden wie die Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Region Braunschweig (VRB), Jörg Reincke und Ralf Sygusch. Wie der Verband mitteilte, haben 21.000 Menschen in unserer Region das Ticket gekauft. 7500 von ihnen sind neu im Abonnement.

Mike Krüger meckert schon mal

Wenn der Start des „Deutschlandtickets“ mit zwei Wörtern zusammengefasst werden müsste, könnten diese so lauten: Ja, aber… Ganz viel „Ja“, also sehr viel Lob, kommt in den ersten Bestandsaufnahmen vor. Von Pannen und Unzulänglichkeiten muss „aber“ natürlich ebenfalls die Rede sein.

Dabei geht es nicht nur ums fröhlich pampige Meckern, das in Sachen Bahn für einige ohnehin Ehrensache ist. Der Blödel-Barde Mike Krüger zum Beispiel hat versucht, aus dem Unmut Honig zu saugen und ein Lied namens „Für 49 Euro per Bahn“ veröffentlicht. Abgesehen davon, dass hier – allerdings wohl nur des Reimes auf „bitter“ wegen – die Stadt Salzgitter erwähnt wird, ist an dem Lied bemerkenswert, dass der Sänger den umweltpolitischen Sinn der ganzen Sache so genervt erwähnt, dass man diesen Hinweis fast als Parodie verstehen mag. Eigentlich möchte man gar nicht glauben, dass wirklich so viele Leute so genervt sind von den Versuchen, die Verkehrswende mit günstigen Tickets zu forcieren.

Die Verkehrspsychologin Prof. Dr. Anja Katharina Huemer hat als Studieninitiatorin an der TU Braunschweig begonnen, in verschiedenen Befragungswellen die Akzeptanz des Neun-Euro-Tickets und (zuletzt im Februar) auch die des schon beschlossenen 49-Euro-Tickets zu untersuchen. Auch wenn die Auswertung der Befragungen noch nicht abgeschlossen ist, traut sich die mittlerweile nach München gezogene Wissenschaftlerin im Gespräch mit unserer Zeitung eine vorläufige Einschätzung zu: „Ein echtes Problem des 49-Euro-Tickets scheint zu sein, dass es bei weitem nicht so einfach ist wie das Neun-Euro-Modell.“ Fragen wie die nach dem Job-Ticket, nach der Mitnahme von Kindern und nach der Technik könnten die Akzeptanz rasch bröckeln lassen. Der Preis sei natürlich immer noch günstig, aber die „kognitive Freiheit“ des verfügbaren Autos sei vielen Menschen eben extrem wichtig. „Ich hoffe, dass das 49-Euro-Ticket ein Durchbruch ist. Doch sicher bin ich nicht“, sagt Prof. Huemer.

Bahn-Server waren überfordert

Die Schwierigkeiten haben nicht nur mit der Einführung zu tun – und einem beinahe etwas witzigen Umstand, der in gewisser Weise daran erinnert, was in Warenhäusern am 23. Dezember los ist. Die meisten Käuferinnen und Käufer haben nämlich bis zum letzten Moment abgewartet, um sich das Ticket sozusagen alle zusammen für den Mai zu besorgen – was dann für die Deutsche-Bahn-Server nicht mehr zu stemmen war und zum Teil lange Schlangen an den Ticketzentren verursacht hat. Auch die Vertriebsfrage ist nicht ohne. In unserer Region waren die Tickets über die drei im Gebiet angebotenen Handy-Apps „VRB-Fahrinfos Tickets“, „Meine BSVG“ und die „WVG-App“ zu haben. Das Deutschlandticket kann – nach Vorgabe des Bundes, wie man nicht zufällig hervorzuheben pflegt – nicht an Automaten oder beim Fahrpersonal gekauft werden, sondern es bedarf eines Vertrages mit dem Verkehrsverbund Region Braunschweig (VRB). In unserer Region wird das Ticket auch in gedruckter Form ausgegeben, was (Stand Freitag) sogar zwei Drittel der Käuferinnen und Käufer bevorzugt haben.

Apropos: Das nächste Papier-Ticket ist für den Juni erhältlich und muss bis zum 20. Mai 2023 beantragt werden. Das funktioniert über die Internet-Adresse https://abo.vrb-online.de/. Zusätzlich stehen laut VRB Bestellscheine in allen Service-Centern der Verkehrsunternehmen zur Verfügung.

Fest steht: Nach Vorgabe des Bundes kann das Deutschlandticket nicht an Automaten oder beim Fahrpersonal gekauft werden. Und genau daran stört sich der Fahrgast-Lobbyist Malte Diehl, der Landesvorsitzende des Verbandes „Pro Bahn“. Diehl wittert in dieser Absage an den „Analog-Verkauf“ eine gewisse Digitalisierungs-Pädagogik, die er unangenehm findet. Vielen Menschen reiche es offenbar nicht, das Ticket „im Handy“ zu haben, das müsse man respektieren, findet Malte Diehl. Auch der Sozialverband VdK kritisiert, dass mancherorts – wie gesagt: nicht in unserer Region – ausschließlich Smartphone-Besitzer das Deutschlandticket nutzen können. Viele ältere oder ärmere Menschen seien ausgeschlossen. Die Nachfrage nach physisch greifbaren Deutschlandtickets ist jedoch hoch, nicht nur bei Senioren. Das Verkehrsministerium in Hannover tritt dieser Kritik entgegen: Das Ticket sei online zu haben, um den Preis wirklich attraktiv gestalten zu können. Immerzu werde Deutschland dafür kritisiert, den Esten und Finnen digital hinterherzubummeln. Und kaum entscheide man sich einmal konsequent für eine Online-Lösung, setze die Kritik ein. Auch was die noch ausbaufähigen Einzelheiten des Angebots angeht wolle man durchaus noch etwas tun. Aber es solle eben nicht zu kompliziert werden, deshalb müsse derlei gut überlegt werden, heißt es aus dem Ministerium von Minister Olaf Lies.

Günstig auch für Studenten

Gemeint sind damit Fragen wie Schüler-, Studenten- und Jobtickets. Hierzu muss für unsere Region an die folgenden Regelungen erinnert werden: Schülertickets werden bis zum Jahresende für 30 Euro pro Monat verkauft, gelten allerdings nicht bundesweit, sondern nur in der Region. Studenten können zu ihrem Semesterticket ein „Upgrade“ erwerben und so deutschlandweit im Nahverkehr unterwegs sein. Der Preis errechnet sich aus der Differenz zwischen dem monatlichen Semesterticket-Beitrag und dem Deutschlandticket-Preis. Es gilt nur für Studierende der Hochschulen, mit denen der VRB einen Vertrag hat. Für das Upgrade sind nicht mehr 22 Euro im Monat zu berappen. Und das Jobticket können Arbeitnehmer immerhin 30 Prozent sparen. Sofern ihr Arbeitgeber sich mit dem VRB kurzgeschlossen hat, bezahlt der Arbeitgeber den Beschäftigten einen Zuschuss von monatlich mindestens 25 Prozent auf den Ticketpreis – zuzüglich eines weiteren vom Verkehrsverbund gewährten 5-Prozent-Rabatts.

Das Vorbild Holland

Grundsätzlich sind sowohl der Minister Olaf Lies („sehr zufrieden“) als auch Malte Diehl vom Fahrgast-Verband („absolut klasse“) schwer beeindruckt von den Verkaufszahlen zum Start. Nun jedoch gelte es, das Angebot zu verbessern, um die neuen Fahrgäste nicht durch lange Wartezeiten, Verspätungen und Ausfälle zu verprellen. Landesminister Lies wünscht sich, dass die Regionalisierungsmittel vom Bund erhöht werden, um auch in den ländlichen Regionen den Takt der Züge und Busse zu erhöhen und es mehr Menschen zu ermöglichen, aufs Auto zu verzichten. „Jetzt gilt‘s“, sagt Malte Diehl zu diesem Thema. Jetzt endlich müsse man in Deutschland für die Schiene so viel Geld ausgeben, wie das die Niederländer, Schweizer oder Österreicher tun. Besonders in Niedersachsen ist der Aufholbedarf aus Sicht des Fahrgastverbands erheblich.

Und die Kommunen? Aus Sicht des Niedersächsischen Landkreistags hat Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer auf Anfrage sein „Ja, aber…“ formuliert. Sein Statement: „Der Start des Deutschland-Tickets ist aus Sicht des Niedersächsischen Landkreistages gut gelungen. Anzeichen, dass es über diese radikale Vereinfachung der Nutzung des ÖPNV gelingt, zusätzliche Kundinnen und Kunden zu gewinnen, machen Mut für den Klimaschutz. Die Landkreise als Träger des Nahverkehrs probieren aktuell viele neue Angebotsformen bereits aus. Für flächendeckend bessere Angebote müssen Bund und Land jedoch deutlich mehr Finanzmittel zur Verfügung stellen und zunächst dauerhafte Planungssicherheit für den Verlustausgleich beim Deutschlandticket herstellen.“