Bad Sachsa. Vor 70 Jahren kommt es zum Volksaufstand in der DDR. Uwe Oberdiek vom Grenzlandmuseum Bad Sachsa ordnet die Ereignisse ein.

Schon im Jahr 1993, kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands, nannten die Historiker Stefan Wolle und Armin Mitter die Ereignisse des Frühsommers 1953 in der damaligen DDR eine gescheiterte Revolution. Gut 30 Jahre später, im Jahr 2023, sind die Ereignisse, die als Volksaufstand in der DDR bezeichnet wurden, in unserem kollektiven Gedächtnis fast in Vergessenheit geraten.

7.000 Menschen wurden verhaftet

Dabei war der Tag, an dem über 50 Menschen ihr Leben verloren, hunderte verletzt und in dessen Folge nahezu 7.000 Menschen verhaftet und in Gefängnisse der DDR gesperrt wurden, doch in der alten Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung ein Feiertag. Er wurde begangen als Tag der Deutschen Einheit, in der Erinnerung an den vermeintlichen Anlass für den Aufstand der Arbeiter.

In der damaligen DDR waren die Aktionen zwischen dem 17. und 21. Juni 1953 schlicht als Konterrevolution neofaschistischer und reaktionärer Elemente bezeichnet, deren Steuerung aus den Agentenzentralen im Westen der damals noch nicht geteilten Stadt Berlin und aus der Bundesrepublik heraus geschah. Eine Sichtweise, die es bis in die Schulbücher der DDR schaffte und über Jahrzehnte verschleierte, welche Gründe tatsächlich zur Auflehnung gegen die Regierung und das Regime führten und weshalb die Panzer der sowjetischen Besatzungsmacht diesen Aufruhr unter ihren Ketten zermalmten.

Sorgen und Nöte in West und Ost

Aber die Ereignisse vom Frühsommer 1953 geschahen für die Bundesbürger auch weit weg, in einem faktisch seit 1949 bestehenden anderen Deutschland. Zwar gab es noch ungezählte familiäre Verbindungen zwischen West und Ost, besonders auch im bestehenden Grenzgebiet, aber die Menschen im Westen Deutschlands hatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit ihre eigenen Sorgen und Nöte. Man war ja im Westen gerade erst dabei, dank der Hilfe der USA, die wirtschaftliche Not zu überwinden und sich aus dem Trauma des verlorenen Weltkrieges zu befreien. Freie Wahlen und demokratische Parlamente waren die für jedermann sichtbaren Folgen der von den Westalliierten praktizierten Demokratisierung in den Westzonen.

Ganz anders verhielt es sich Anfang der 1950er Jahre in der DDR. Der andere deutsche Staat, in dessen Namen der Begriff Demokratie besonders abgebildet war, war bereits 1952 vom bis dahin sorgsam gepflegten Image eines parteipolitisch pluralistischen Staatssystem abgeschwenkt und proklamierte die Umwandlung in einen sozialistischen Staat nach Muster der damaligen Sowjetunion.

Das plant das Grenzlandmuseum am 17. Juni:

In diesem Jahr jährt sich der 70. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR. Das Team vom Förderverein Grenzlandmuseum Bad Sachsa lädt alle interessierten Bürgerinnen und Bürger sowie Gäste der Stadt ein, am Samstag, 17. Juni um 15 Uhr, gemeinsam daran zu erinnern, dass vor 70 Jahren Menschen in Deutschland auf die Straßen gingen, um sich aus den Fesseln einer Diktatur zu befreien.

Im Rahmen der Erinnerung an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 eröffnet das Grenzlandmuseum, Am Kurpark 6, einen neuen Ausstellungsraum, in dem die Ursachen, die letztlich auch zum Volksaufstand führten, thematisiert werden.

Der Eintritt beträgt an diesem Tag für alle Besucher (Kinder ausgenommen) einheitlich zwei Euro.

Weitere Informationen können Interessierte auch auf der Homepage des Museums nachlesen.

Dazu gehörten die Gleichschaltung der politischen Parteien, notfalls unter Anwendung repressiver Methoden, die Kollektivierung der Landwirtschaft, des Handwerks und Handels, sowie die Übereignung der Industrie in die Hand des Volkes. Nur hatte dieses besagte Volk dabei faktisch gar kein Mitspracherecht. Das Gegenteil war eher der Fall. Wer die von der SED verordneten Absichten anzweifelte oder gar infrage stellte, sich womöglich aktiv dagegen positionierte, lief nicht nur Gefahr verhaftet zu werden. Die Einführung und Anwendung von Gesetzen nach sowjetischem Muster befähigten den in der Hand der SED befindlichen Staat, seine unliebsamen Bürger auch mit fadenscheinigen Beschuldigungen aus dem Verkehr zu ziehen. In der Folge der im Juli 1952 proklamierten Umwandlung der DDR in einen sozialistischen Staat nahmen die Verhaftungen und Inhaftierungen sprunghaft zu. Und damit auch die unterschwellige Unzufriedenheit der Menschen im von ihm selbst sogenannten ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden.

Streiks und Ausstände überraschen die Staatsführung

Davon hat die Masse der Menschen im Westen, in der alten Bundesrepublik, nur am Rande Notiz genommen. Für viele von ihnen waren die am 17. Juni 1953 in der DDR geschehenen Streiks und Ausstände daher genauso überraschend wie für die Staatsführung der DDR, die den wachsenden Unmut der eigenen Bevölkerung nicht deuten konnte. Die Erhöhung der Arbeitsnormen, ohne entsprechenden Lohnausgleich und die unverhältnismäßige Besteuerung des noch verbliebenen freien Handels und Handwerks führte nicht nur die Bauarbeiter der Ostberliner Stalinallee auf die Straße, sondern waren die Tropfen, die zum Überlaufen des Fasses führten. Plötzlich waren ganz andere Parolen zu vernehmen. Begriffe wie Freiheit und Demokratie wurden gerufen und wandelten sich urplötzlich in Rufe nach dem Sturz der Regierung.

Welche Ausmaße die Proteste, Streiks und die Auflehnung annahmen, werden deutlich, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass über 167 von 217 Landkreisen der DDR der Ausnahmezustand verhängt wurde. Weil sich die Staatsmacht der DDR mit Worten nicht mehr selbst helfen konnte, griff sie auf das Gewaltpotenzial der Bereitschaftspolizei und kasernierten Volkspolizei zurück. Neben Volkspolizisten waren es dann aber vor allem auch die alarmierten Verbände der Sowjetarmee in der DDR, die von den Waffen Gebrauch machten. Acht Jahre nach Kriegsende gab es in einem Teil Deutschlands wieder standrechtliche Erschießungen! Und wer sich von den sowjetischen Soldaten weigerte, auf deutsche Demonstranten zu schießen, wurde selbst an Ort und Stelle standrechtlich erschossen.

Da nahmen Menschen in Kauf, für die Erstreitung von Freiheitsrechten und Demokratie verhaftet, verletzt oder gar getötet zu werden
Uwe Oberdiek, Vorsitzender des Fördervereins Grenzdlandmuseum Bad Sachsa

Da gab es also vor nahezu 70 Jahren einen Volksaufstand in der damaligen DDR. Da nahmen Menschen in Kauf, für das Erstreiten von Freiheitsrechten und Demokratie verhaftet, verletzt oder gar getötet zu werden. Es war damals das erste wirklich sichtbare Aufbegehren von Menschen im kommunistischen Herrschaftsbereich Europas. Es folgten der Aufstand 1956 in Ungarn, ungleich größer und gewaltsamer als der in der DDR. Und 1968 gingen die Tschechen auf die Straßen und 1980 folgten ihnen die Polen. Aber auch im Westen gingen Menschen für Demokratie, Menschen- und Freiheitsrechte auf die Straßen. Erinnern wir uns an die Studentenproteste der 1960er Jahre, oder die portugiesische Nelkenrevolution im Jahr 1974 gegen den Diktator Salazar. Oder auch das Aufbegehren der Spanier nach dem Tod Francos, das 1977 zu den ersten freien Wahlen in Spanien führte.

Menschenrechte werden eingefordert

Alle diese Aufstände und Bestrebungen hatten in etwa gleichlautende Ziele. Es ging um persönliche und kollektive Freiheit, es ging um Menschenrecht und es ging um Demokratie als gesellschaftliche Staatsform. Dafür traten Menschen in der Vergangenheit ein und dafür treten auch jetzt wieder Menschen ein. Der Kampf der Ukraine um die staatliche Unabhängigkeit und Integrität ist nichts anderes als das Eintreten für Freiheit und Demokratie, das wird bewusst am kollektiven Widerstand der Bevölkerung der Ukraine gegen die Aggressoren, die aus einem unfreien Russland kommen.

Insofern sollte die Erinnerung an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR auch bei uns hochgehalten werden, ist dieser Aufstand doch nach wie vor geeignet, als Mahnung und gleichermaßen als Appell zu fungieren, den Wert der Freiheit und Demokratie nicht nur zu schätzen, sondern sie auch zu schützen. Und denen zu gedenken, die für diese hohen Ziele ihr Leben gaben.