Braunschweig. Rund 3500 Fans machen in der Volkswagen-Halle Braunschweig den Spagat zwischen Star-DJs und Pop-Hoffnungen mit. Funktioniert das?
Braunschweig hat seit vergangenem Jahr ein neues sogenanntes Festival, das „Springside-Festival“. Dank des Präsentators NDR 2 und des Hauptsponsors Volkswagen Financial Services geht am Samstagabend - es ist eine ziemlich kompakte Veranstaltung - die zweite Auflage über die Bühne der Volkswagen-Halle. Mit der isländischen Pop-Newcomerin Ásdís, dem 26-jährigen Popsänger und Hitschreiber Kamrad („I Believe“) und den Elektro-Produzenten und DJs Fritz Kalkbrenner und Lost Frequencies.
Bei namhaften Festivals werden die Künstler ja klar strukturiert gebucht, die Festivals stehen für etwas. Wacken für Metal, „Hurricane“ für Rock, das „Melt“ für Techno. Auf welchen Nenner bekommt man jetzt Ásdís, Kamrad, Fritz Kalkbrenner und Lost Frequencies? Grübel. Erklärung der Veranstalter: „Das Festival bietet das Live-Erlebnis der besten gegenwärtigen Pop-Songs.“ Das ist bei gerade mal vier mehr oder weniger bekannten Künstlern ein gewagtes Versprechen.
Isländische Pop-Lady Ásdís sammelt Sympathiepunkte
Im vergangenen Jahr lag der Fokus des „Springside“ noch klar auf erfolgreichem Mainstream-Pop mit jungen Stars wie Nico Santos und Alvaro Soler. Diesmal mag der Spagat zwischen konventionellem Pop von Ásdís und Kamrad und szenigem Electro das Publikum etwas überfordert haben. Statt 4500 wie im Vorjahr sind „nur“ gut 3000 Fans in die VW-Halle gekommen. Dunkle Vorhänge vor der Südkurve verkleinern sie apart.
Die isländische Pop-Lady und Wahl-Berlinerin Ásdís sammelt zu Beginn Sympathiepunkte. Kräftige Stimme, blonde Mähne, knapper weißer Glitzerdress, engagierter Auftritt. Sie hat eine dreiköpfige Band dabei, die einen guten Teil des Sounds live beisteuert. Allerdings klingt das Gesamtpaket doch recht konfektioniert und wenig dynamisch abgemischt. Womit Ásdís packt, ist gerade das, was aus dem Rahmen fällt: Das Rauchige ihrer Stimme, die Leidenschaft, mit der sie auf der ziemlich spartanisch eingerichteten Bühne darum kämpft, das Publikum zu fesseln. Dass sie auch mal eine kurze Ballade nur mit Akustikgitarre anstimmt. „Dirty Dancing“ heißt ihr bislang größter Hit.
Kamrad - so war er in Braunschweig
Kamrad ist ein schlanker, lockiger Sänger mit fein geschnittenen Gesichtszügen und stilprägender Brille. 2016 soll er ein 1,0-Abitur gemacht haben, und ein bisschen so sieht er auch aus: sehr smart. Auf der Bühne bewegt er sich, ganz in Weiß gekleidet, gekonnt. Seine Songs schreibt und produziert er selbst. 2022 landete er mit „I Believe“ einen Hit. Die Pop-Hoffnung aus NRW hat eine frische, sonore Stimme und ebenfalls eine junge dreiköpfige Band dabei. Die wirkt durchaus fähig an Bass, Gitarre und Schlagzeug, aber auch eingehegt durch zugespielte Sounds.
Jeder Kamrad-Song geht sofort ins Ohr, allerdings auch schnell wieder hinaus. Eine Ausnahme ist die fast klassische Blues-Ballade „You don‘t owe me your love“, bei der er auch selbst zur Gitarre greift. Kamrad kommt gut an, wenn auch nicht rasend. Er haut trotzdem routiniert ein paar Superlative raus. „Es ist so unfassbar geil mit euch. Vielen Dank für die super Stimmung“, ruft er in die weite Halle.
Fritz Kalkbrenner in der Volkswagen-Halle: cool und chillig
Umbaupausen überbrücken die NDR-Moderatoren Elke Wiswedel und Jens Mahrhold mit entschlossen guter Laune und Publikumsspielchen wie TV-Serien-Erkennungsmelodien-Raten. Zu gewinnen gibt es Tickets für weitere NDR-Veranstaltungen.
Mit Fritz Kalkbrenner beginnt der DJ-/Elektropart. Der 42-jährige Produzent elektronischer Tanzmusik und gelegentliche Sänger zählt mit seinem älteren Bruder Paul zu den bekanntesten Protagonisten der Berliner Clubszene. Die Beats, die er in der VW-Halle anbietet, sind cool, gelassen, mittleren Tempos. Die Sounds mäandern fast sanft um- und ineinander. Das Licht in der Halle ist heruntergedimmt, bis auf atmosphärische Strahlenformationen und abstrakte Projektionen, die die Regie auf die Leinwand hinter Kalkbrenners DJ-Pult zaubert. Das Publikum, leicht überwiegend zwischen 20 und 50 und weiblich, bewegt sich entspannt zu chillig-melancholischen Ambient-Kreationen wie „Sky and Sand“ oder „Kings & Queens“.
Lost Frequencies - DJ mit großen Gesten
Lost Frequencies, der internationale Star des Abends, ist ein anderer Typ. 30 Jahre jung, schlaksig, hinter seinem DJ-Pult immer in Bewegung. Mit himmelwärts gestreckten Armen und großen Gesten unterstreicht der Belgier die sich aufbauenden Rhythmen, die gesteigerten elektronischen Trommelwirbel, die eingespielten Gesangsstimmen, die knalligen synthetischen Melodien, die zeitweise ausgeblendeten und dann umso fulminanter einsetzenden Beats und Bässe. Auch die Lichtshow ist intensiv, manchmal schießen Flammen aus dem Bühnenboden.
Lost Frequencies hat die Menge mit seinen eingängigen Melodien über satten, drückenden Beats gut im Griff. Mit flinken Fingern an den Reglern modifiziert er ständig Tempi und Klangspektren der digitalen Sounds und Rhythmen. 70 Minuten lang hält er die Leute mit live neu abgemischten und zusammengesetzten Versionen seiner Hits wie „Are You With Me“ und „Where Are You Now“ in Bewegung. Bis um kurz nach Mitternacht der letzte Regler gedreht ist. Zugaben gibt es nicht, die Halle leert sich rasch.
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