Wolfsburg. Erstmals findet das Aktionärstreffen wieder in Präsenz statt. Aktionäre stellen unbequeme Gegenanträge. Was passiert heute in Berlin?

Berlin ist am Mittwoch nächster Woche Schauplatz der wichtigsten Veranstaltung im Finanzkalender der VW-Aktionäre. An diesem Tag lädt der Wolfsburger Konzern zur Hauptversammlung, dem jährlichen zentralen Anlegertreffen. Die Tagesordnung ist prall gefüllt mit Entscheidungsvorschlägen, über die die Aktionäre abzustimmen haben. Es ist die erste reguläre Hauptversammlung in Präsenz nach Corona.

Das VW-Aktionärstreffen wird von einer Besonderheit geprägt: Weil das Land Niedersachsen und die Porsche-Holding SE, hinter der die Familien Porsche und Piëch stehen, aufgrund ihrer riesigen Aktienpakete über eine Sperrminorität verfügen, läuft ohne ihre Zustimmung nichts. Daher dürften alle auf der Tagesordnung enthaltenen Punkte beschlossen werden. Die Diskussion der Anleger wird voraussichtlich dennoch lebhaft werden, dafür sorgen unter anderem kritische Gegenanträge einzelner Aktionäre. Außerdem sind Proteste von Klimaaktivisten zu erwarten.

Höhere Dividende gefordert

Das Spektrum der bereits jetzt veröffentlichten Gegenanträge zeigt die unterschiedliche Interessenlage der Aktionäre des Autobauers.

Ein wiederkehrender Streitpunkt auf den VW-Hauptversammlungen ist die Höhe der Dividende, die an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Der Autobauer beabsichtigt, 8,70 Euro je stimmberechtigter Stammaktie und 8,76 Euro je Vorzugsaktie ohne Stimmrecht auszuschütten. Das wäre gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 1,20 Euro je Anteilsschein.

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Dem VW-Aktionär Christian Strenger genügt das jedoch nicht. Wie bereits in vielen Vorjahren fordert er in seinem Gegenantrag eine Erhöhung der Dividende auf Vorzugsaktien – in diesem Fall auf 9,57 Euro. Seine schriftlich formulierte Begründung: „Die von der Verwaltung vorgeschlagene Mehrdividende von lediglich sechs Cent ist für die Vorzugsaktie seit langem ein zunehmend ungenügendes Entgelt für das fehlende Stimmrecht der Vorzugsaktien.“

Außerdem fordert Strenger die übrigen Aktionäre des Autobauers auf, dessen Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung für das vergangene Geschäftsjahr zu verweigern. Als Gründe nennt Strenger „Interessenkollisionen“ beim Porsche-Börsengang, Versäumnisse bei der Aufklärung des 2015 aufgedeckten Abgas-Betrugs, unangemessene Zahlungen an den im vergangenen Jahr geschassten VW-Vorstandschef Herbert Diess sowie die aus seiner Sicht fehlende Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder aus Katar und des Landes Niedersachsen.

Gegen den Sonderbonus

Ein weiterer Gegenantrag Strengers: Der Vergütungsbericht für Vorstand und Aufsichtsrat sei abzulehnen. Unter anderem argumentiert der Anleger, dass Konzern- und Porsche-Chef Oliver Blume ein Sonderbonus für den Porsche-Börsengang im vergangenen Jahr gewährt worden sei. Dabei gehöre solch ein Börsengang „zu den selbstverständlichen Aufgaben eines VW-Vorstands“.

Auch der Dachverband kritischer Aktionäre beantragt, VW-Vorstand und -Aufsichtsrat die Entlastung für das vergangene Geschäftsjahr zu versagen. „Der Vorstand kommt weiterhin nicht hinreichend seiner Verantwortung nach, seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen“, begründet der Verband seinen Antrag.

Konkret geht es um die Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, dass China die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang unterdrückt, wo VW Autos produziert. „In der gesamten Region Ostturkistan werden Millionen von Uigur:innen unter grausamsten Bedingungen in Internierungslagern festgehalten, und Hunderttausende von ihnen sind der Zwangsarbeit ausgesetzt“, schreibt der Verband.

Weitere Kritikpunkte: VW weigere sich, in Brasilien ehemalige Arbeiterinnen und Arbeiter auf einer VW-Rinderzuchtfarm zu entschädigen. Außerdem sei der Einstieg von Audi in die Formel 1 nicht zeitgemäß und stehe im Gegensatz zur Elektromobilitätsstrategie des Konzerns. Der Dachverband bemängelt ferner, dass der E-Anteil an der VW-Flotte zu gering sei und das Unternehmen das Segment der Kleinwagen vernachlässige.

„Vorjahresverbrauch angeben“

In der Kritik stehen auch die VW-Plug-in-Hybrid-Modelle: So sei es fragwürdig, dass diese Autos mit „unrealistischen Normwerten“ in die Berechnung der CO2-Flottenwerte einbezogen würden. Der Verband fordert VW auf, künftige Kunden vor einem Kauf darüber zu informieren, wie viel Energie Kunden, die sich im Vorjahr für dasselbe Modell entschieden hätten, für dieses Auto verbraucht haben.

Der Abgas-Betrug ist auch von den kritischen Aktionären nicht vergessen. Sie fordern einmal mehr dessen „vollumfängliche“ Aufklärung. Der letzte Gegenantrag des Dachverbands richtet sich gegen Tagesordnungspunkt 8. Darin soll der Vorstand bemächtigt werden, darüber zu entscheiden, ob eine Hauptversammlung künftig virtuell stattfindet.

Dazu schreiben die kritischen Aktionäre: „Das Format und die Art und Weise, wie eine Hauptversammlung durchgeführt wird, betreffen elementare Aktionärsrechte. Daher sollte die Hauptversammlung und nicht der Vorstand darüber entscheiden, zu welchen Bedingungen bzw. in welchem Format zukünftige Hauptversammlungen durchgeführt werden sollen.“

„Entlastung ablehnen“

Ein bestens bekannter Redner auf den VW-Hauptversammlungen ist Aktionär Norbert Cultus aus Berlin. Sein Gegenantrag richtet sich gegen Tagesordnungspunkt 13, der eine Anpassung des Vergütungssystems für Aufsichtsratsmitglieder vorsieht. Cultus beantragt, die Vergütungsgrundsumme für die VW-Kontrolleure auf „höchstens 140.000 Euro“ festzusetzen. Das neue Vergütungssystem sieht 170.000 Euro vor.

Ebenfalls ein bekannter VW-Aktionär und scharfer Kritiker des Autobauers ist Rüdiger Kammerhoff. Er beantragt ebenfalls, die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das vergangenen Geschäftsjahr abzulehnen, ebenso die geplanten Anpassungen der Vergütungssysteme für Vorstand und Aufsichtsrat. Zudem lehnt er die Wahl beziehungsweise Wiederwahl dreier Aufsichtsratsmitglieder ab. Seine Gegenantrag begründet er mit den aus seiner Sicht „vielen schmutzigen Affären, Straftaten, Fehlleistungen und Versäumnissen durch Vorstände und Aufsichtsräte des VW-Konzerns“.

Zur Wahl in den Aufsichtsrat steht erstmals der österreichische Jurist Günther Horvath (70). Er gilt als Vertrauter der Familien Porsche und Piëch und rückt für die im vergangenen Dezember verstorbene Louise Kiesling in das Kontrollgremium.

Zur Wiederwahl steht zudem die österreichische Managerin Marianne Heiß (50). Seit ist bereits seit 2018 Mitglied des Aufsichtsrats.

Wolfgang Porsche wird am Tag der VW-Hauptversammlung 80 und wird offenbar letztmalig für den Aufsichtsrat kandidieren.
Wolfgang Porsche wird am Tag der VW-Hauptversammlung 80 und wird offenbar letztmalig für den Aufsichtsrat kandidieren. © dpa (ARCHIV) | Marijan Murat

Ebenfalls zur Wiederwahl steht Wolfgang Porsche, der am Tag der Hauptversammlung seinen 80. Geburtstag feiert. Gegenüber der „Automobilwoche“ kündigte Porsche an, dass dies seine letzte Amtszeit im Kontrollgremium sei. Der Generationswechsel aufseiten der VW-Eignerfamilien ist damit absehbar.

VW-Bank wird übertragen

Weitere Tagesordnungspunkte betreffen die in Braunschweig beheimateten VW-Finanzdienstleistungen und die VW-Bank. So soll die VW-Bank, bislang eine reine VW-Tochter, an die neu formierte Volkswagen Financial Services Europe AG mit Sitz in Braunschweig übertragen werden. Durch die neue Struktur sollen die Refinanzierungsinstrumente der VW Bank auch für den Ausbau des stark wachsenden Leasinggeschäfts in Deutschland und Europa genutzt werden können.