Wolfsburg. Klimaschützer wollen den Volkswagen-Konzern und den Verkehr am Symbolort Wolfsburg umkrempeln. Das treibt die Aktivisten aus dem Amselweg um.

Für eine Verkehrswende in Wolfsburg und eine Umstellung des Geschäftsmodells von Volkswagen mitsamt einer Abkehr von der Autoproduktion wollen Aktivisten ab Freitag, 5. Mai, in der Wolfsburger Innenstadt ein Zeichen setzen. Dann startet ein sechstägiges Camp, dessen Höhepunkt ein Aktionstag auf der am Sonntag gesperrten nördlichen Porschestraße und Poststraße sein wird.

Hinter dieser wie auch anderen Aktionen, die im vergangenen Herbst mit dem Protest gegen das geplante Trinity-Autowerk begannen, stecken Einzelpersonen und Gruppen, die sich im Projekthaus Amsel 44 im Amselweg treffen. Aktivisten von außerhalb, die sich ganz dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben haben und vorher beispielsweise in Lützerath gegen den Braunkohle-Tagebau demonstrierten, sind ebenso dabei wie fahrradbewegte Wolfsburger und Volkswagen-Mitarbeiter.

Drei von ihnen sind Tobi Rosswog, Ruben Gradl und Torsten Bleibaum. Rosswog (32) lebte zwei Jahre ohne Geld, schrieb ein Buch darüber und hält heute rund 150 Vorträge pro Jahr. Gradl (26) setzte sich bereits in Gießen für eine Verkehrswende ein. Torsten Bleibaum (56) arbeitet im Volkswagen-Kraftwerk und wurde von Rosswog am Nabu-Stand auf dem Herbstmarkt in Neuhaus zum Mitmachen überzeugt. Er hofft vor allem, etwas für den Radverkehr in Wolfsburg bewegen zu können.

Verkehrswende-Camp: Klimaaktivisten treffen sich ab Freitag in Wolfsburg

Von dem, was sie erreichen wollen, und dem, was sie umtreibt, erzählten die drei Aktivsten eine Woche vor dem Start des Verkehrswende-Camps im Projekthaus. Im Herbst 2022 hat eine Stiftung verschiedener Initiativen das Reihenhaus im Hellwinkel gekauft – um in Wolfsburg „in der Höhle des Löwen“, wie Rosswog sagt, den zweitgrößten Automobilkonzern der Welt dazu zu bewegen, statt Autos künftig Straßenbahnen und Busse sowie andere Güter zu produzieren, die weniger schädlich für das Klima sind als Autos mit Verbrennungsmotor oder auch mit Elektroantrieb.

Für Wolfsburg schlagen sie kurze Wege für Fußgänger, Radfahrer und Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel, einen kostenlosen Nahverkehr samt Straßenbahn, Fahrradstraßen, eine attraktivere Fußgängerzone und autofreie Zonen vor. Den Ausbau der A 39 lehnen sie ab.

Im Herbst 2022 haben sich Aktivisten im Amselweg eingenistet

Erst in Gießen, nun in Wolfsburg: Ruben Gradl (26) macht sich für eine ökologische Verkehrswende stark.
Erst in Gießen, nun in Wolfsburg: Ruben Gradl (26) macht sich für eine ökologische Verkehrswende stark. © Darius Simka/regios24

Wolfsburg haben sich die Aktivisten für ihren Protest ausgesucht, weil Volkswagen im Umbruch steckt und die Stadt hochgradig vom Konzern abhängig ist. Jeder Impuls falle daher auf fruchtbaren Boden, sagt Gradl. Die Zukunft oder – wenn es nach Rosswog oder Gradl geht – das Ende der Auto-Produktion beschäftige in Wolfsburg alle. „Das geht niemandem am Arsch vorbei.“

Unter den Volkswagen-Mitarbeitern gehe die Angst um Arbeitsplätze um, bestätigt Bleibaum. Die Aktivisten wollen sie erhalten. Rosswog formuliert es so: Entweder fahre Volkswagen den Karren in den Dreck, oder es finde ein Wandel statt. Niemand wolle ein zweites Detroit. Gradl sagt: „Ich mache das ja nicht gegen die Beschäftigten und die Bewohner der Stadt. Auch ohne Auto-Produktion soll in Wolfsburg in Zukunft eine gute und sichere Beschäftigung und ein gutes Leben möglich sein.“

Das Ziel: ein Komplett-Umbau bei Volkswagen

Die Zukunft von VW sollte zumindest nach Meinung von Rosswog und Gradl allerdings vollkommen anders aussehen als die Gegenwart. Sie träumen von menschenfreundlicheren Arbeitsabläufen und sinnstiftenden Tätigkeiten. Sie hätten mal eine Werksführung gemacht, erzählt Rosswog. „Die Einzigen, die da glücklich aussahen, waren die Roboter.“

Die Arbeit an den Montagelinien mache die Mitarbeiter kaputt. Aber auch in den Büros vermuten sie jede Menge Mitarbeiter, die sich mit Bullshit-Jobs beschäftigen und deren Arbeitsergebnisse nie zur Umsetzung kommen.

Straßenbahnen statt Autos, Klimaschutz statt Profitstreben

Der Verkehrswende-Aktivist Tobi Rosswog (32) hat zwei Jahre ohne Geld gelebt und ein Buch darüber geschrieben. Ihn treiben neben dem Klimaschutz soziale Fragen um.
Der Verkehrswende-Aktivist Tobi Rosswog (32) hat zwei Jahre ohne Geld gelebt und ein Buch darüber geschrieben. Ihn treiben neben dem Klimaschutz soziale Fragen um. © Darius Simka/regios24

Die Aktivisten streben zudem eine Umverteilung an: Statt der reichen Familien Porsche und Piëch und dem Emirat Katar sollten ihrer Meinung nach die Mitarbeiter und die Allgemeinheit von den Gewinnen profitieren. Ausschüttungen an die Großaktionäre in Größenordnungen wie bislang könne sich das Unternehmen nach seinem Umbau zum Straßenbahn-Produzenten nicht mehr leisten.

Ihren Einsatz halten die Aktivisten für nötig, weil das Land Niedersachsen seine Sperrminorität nicht nutze, um das Profitstreben zugunsten des Klimaschutzes einzudämmen. Weil der Rat nur begrenzte Einflussmöglichkeiten habe. Und weil Oberbürgermeister Dennis Weilmann sich wie ein „Bettvorleger“ (Rosswog) der Volkswagen-Spitze benehme – etwa als er dieser, überrascht von der plötzlichen Trinity-Kehrtwende, prompt sein vollstes Vertrauen aussprach.

Verkehrswende soll Wolfsburg attraktiver machen

Wenig halten die Verkehrswende-Aktivisten auch von den bisherigen Bemühungen zur Attraktivierung der Wolfsburger Innenstadt. Weniger Straßen, Parkplätze und Autoverkehr und mehr Parks und öffentliche Begegnungsorte würden ihrer Meinung nach viel bewirken, nicht aber bunte Bänke vor dem Kunstmuseum.

Dass manch autobegeistertem Wolfsburger schon die Wege von den Tiefgaragen am Nord- und Südkopf in die Fußgängerzone zu weit erscheinen, halten sie für eine Frage der Gewohnheit. „Natürlich wollen die überall mit dem Auto hin“, so Bleibaum. „Weil man es ihnen ermöglicht.“

Bei allen Unterschieden wollen sie gemeinsam etwas erreichen

Die Menschen, die im Projekthaus im Amselweg ein- und ausgehen, haben unterschiedliche Überzeugungen und Lebensstile. Rosswog lehnt Lohnarbeit ab, will auch kein Eigentum besitzen. Seine Einnahmen aus Buchverkäufen und Vorträgen teilt er mit anderen Aktivisten. „Das ist nicht mein Geld, sondern geht in eine gemeinsame Ökonomie. Am Ende ist genug für alle da“, erklärt der 32-Jährige.

Torsten Bleibaum (56) arbeitet im Volkswagen-Kraftwerk. Er hat sich den Amsel-Aktivisten angeschlossen, um etwas für den Radverkehr in Wolfsburg zu erreichen. 
Torsten Bleibaum (56) arbeitet im Volkswagen-Kraftwerk. Er hat sich den Amsel-Aktivisten angeschlossen, um etwas für den Radverkehr in Wolfsburg zu erreichen.  © Darius Simka/regios24

Gradl lebt ganz für die Sache. Der VW-Mitarbeiter Bleibaum ist auch deshalb gegen den Ausbau der A 39, weil er befürchtet, dass dadurch nur noch mehr Staus produziert werden – um und in Wolfsburg. Er will weiterhin möglichst bequem unterwegs sein. Mit dem Fahrrad und mit dem Auto.

Und während die CDU-Ratsfraktion und die Junge Union kürzlich vor potenzieller Gewalt der Aktivisten warnten, steht der ehemalige CDU-Kreisvorsitzende und Schienenverfechter Rolf van Geuns-Rosch mit ihnen im Austausch – trotz unterschiedlicher Meinungen zum Straßenbau oder zum Protest gegen VW. Das ist vielleicht die Stärke der Amsel-Strategie: Sie lassen Differenzen Differenzen sein und konzentrieren sich auf ihre gemeinsamen Ziele, um damit weiterzukommen.

Amsel 44 hat Wolfsburger vernetzt

Die Klimabewegten von außerhalb dürften irgendwann weiterziehen. Dass Volkswagen dann Straßenbahnen statt Pkw produziert, kann man bezweifeln. Doch Rosswog ist sich sicher, auf jeden Fall Spuren zu hinterlassen: Der Nabu, der ADFC und andere Organisationen in Wolfsburg erhielten Impulse für ihre künftige Arbeit, sagt er. Und Menschen, die bislang gar nicht erst aktiv wurden, weil sie glaubten, sowieso nichts ausrichten zu können, erlebten, dass sich doch etwas bewegen lasse. So würden sie gestärkt.

Torsten Bleibaum bestätigt, dass Rosswog und seine Mitstreiter es in einem halben Jahr geschafft hätten, die Verbände in Wolfsburg miteinander zu vernetzen. „Wir werden Projekte hier in Wolfsburg in Zukunft zusammen machen“, ist er sicher. „Das gab es vorher nicht.“

Beim Aktionstag am Sonntag wird Nordkopf autofrei

Erst einmal hoffen die drei Männer, dass viele Wolfsburger am Sonntag, 7. Mai, zum Verkehrswende-Aktionstag auf den gesperrten Abschnitten der Porschestraße und Poststraße kommen und erleben, „wie schon ein kleiner autofreier Teil der Innenstadt guttut“ (Gradl). Im vergangenen Herbst starteten die Aktivisten klein, mit einem Programm auf einigen gesperrten Stellplätzen.

Dieses Mal sind rund 50 Workshops geplant, hunderte Teilnehmer werden erwartet. „Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt“, sagt Rosswog.

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