Wolfsburg. Infrastruktur, Kader und Trainerfrage: Bei den Bundesliga-Fußballerinnen des VfL Wolfsburg stehen zahlreiche dringliche Projekte an.

Topspielerinnen verlassen den Klub, am Montag war der Abschied von Weltklasse-Stürmerin Ewa Pajor bekannt geworden. In der vergangenen Woche gab’s das plötzliche Aus für Geschäftsführer Sport Marcel Schäfer, der die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg vor gut einem Jahr übernommen hatte und unbürokratisch für noch mehr Professionalität am Elsterweg gesorgt hatte. Auffällig: In der knappen offiziellen Mitteilung zu seinem Abschied fiel kein Wort zu den Fußballerinnen.

Das Marcel-Schäfer-Aus erwischte auch die Fußballerinnen kalt. In dem Klub-Statement zu seinem Abschied ging es mit keiner Silbe um die erfolgreiche Abteilung vom Elsterweg, die Schäfer im vergangenen Jahr mit übernommen hatte.
Das Marcel-Schäfer-Aus erwischte auch die Fußballerinnen kalt. In dem Klub-Statement zu seinem Abschied ging es mit keiner Silbe um die erfolgreiche Abteilung vom Elsterweg, die Schäfer im vergangenen Jahr mit übernommen hatte. © regios24 | Darius Simka

Wie schwer sein VfL-Aus für die amtierenden DFB-Pokalsiegerinnen tatsächlich wiegen wird, muss sich zeigen und wird auch damit zusammenhängen, wie sehr der künftige starke Mann dieses Aufgabenfeld im Blick hat. Bei den Wölfinnen müssen dringend Weichen für die Zukunft gestellt werden, wenn der Klub auch in den kommenden Jahren die Chance haben möchte, zumindest national Titel zu gewinnen und in der Champions League die Gruppenphase zu erreichen. Es sind vor allem drei Baustellen, für die es Lösungen bedarf.

Infrastruktur:

Es ist das drängendste Thema, das bei den Wölfinnen unbedingt angegangen werden muss. Das AOK-Stadion ist spitze, auch die Trainingsplätze sind in einem Top-Zustand. Das große Aber: Kabinen plus Trainerbüro sowie der administrative Bereich am Elsterweg platzen aus allen Nähten. 2019 war der dringende Umzug aus provisorischen Baucontainern in den Keller des Leistungszentrums erfolgt. Ein Fortschritt aus Klubsicht, doch schon damals längst nicht mehr internationaler Standard. In den vergangenen Jahren ist noch einmal mehr Dynamik in die Entwicklung des Frauenfußballs auf allen Ebenen gekommen. Auch national: Eintracht Frankfurts Frauen haben komplett neue Räumlichkeiten im „Deutsche-Bank-Park“ erhalten, der FC Bayern ist mit seinem Campus in München seit einigen Jahren Vorreiter.

Ein Hintergrund, der wenig Charme versprüht: Die Waschbeton-Wand des Laufschlauchs am Wolfsburger Elsterweg.
Ein Hintergrund, der wenig Charme versprüht: Die Waschbeton-Wand des Laufschlauchs am Wolfsburger Elsterweg. © regios24 | Sebastian Priebe/regios24

Mal ganz abgesehen vom Platzproblem des VfL: Ein Hingucker ist das Areal nur bedingt, wenn man allein an die Waschbetonwand des Laufschlachs hinter dem Trainingsplatz denkt – es ist schwer vorstellbar, wie der Klub damit weiter Talente nach Wolfsburg locken will, die inzwischen auch Topklubs wie FC Barcelona, Real Madrid, Manchester City etc. mit modernen Trainingsmöglichkeiten (und höherem Gehalt) umwerben. Nur mit kurzen Wegen und der Möglichkeit, sich sportlich in aller Abgeschiedenheit zu entwickeln, wird der VfL in Zukunft nicht mehr wuchern können. Vor allem, wenn es sportlich so durchwachsen läuft wie in der aktuellen Saison. Gut möglich, dass erstmals seit 2013 kein Titel gefeiert werden kann.

Ralf Kellermann gewährte 2019 einen Einblick in den neuen Kabinentrakt der VfL-Fußballerinnen im Keller des Leistungszentrums am Elsterweg.
Ralf Kellermann gewährte 2019 einen Einblick in den neuen Kabinentrakt der VfL-Fußballerinnen im Keller des Leistungszentrums am Elsterweg. © regios24 | Helge Landmann

Die Dringlichkeit, auch in Wolfsburg zunächst vor allem in Steine zu investieren, um in wenigen Jahren wieder vorne dabei zu sein, ist bekannt und bei den entscheidenden Stellen hinterlegt. Das müsste nicht zwingend am Elsterweg passieren, zumal es hier keine Möglichkeit gibt, in der Fläche zu wachsen. Es deutet sich aber an, dass es so kommen wird.

Hier ist eine schnelle Entscheidung gefragt, nach der es jedoch nicht aussieht. Indiz dafür: Auch der am Elsterweg ansässige VfL e. V. müsste in dieses Projekt, das die Fußball-GmbH betrifft, mit eingebunden werden. Und dessen Geschäftsführer Stephan Ehlers hat gerade seinen Abschied zum MTV Wolfenbüttel angekündigt. Unter anderem, weil es mit dem Umbau des Elsterwegs, eines seiner Herzensprojekte, nicht entscheidend voranging.

Kader:

Schon in diesem Jahr ist der Umbruch einschneidender als je zuvor: Rechnet man Winter-Abgang Felicitas Rauch dazu, dann verlieren die Wölfinnen mit ihr, Lena Oberdorf, Ewa Pajor und Dominique Janssen vier Stammkräfte. Schwerwiegende Abgänge hat es immer schon gegeben, so hoch wie jetzt war die Dichte noch nie. Und das auch von Spielerinnen, die mit dem Klub sehr lange und emotional verbunden sind wie der Weltklasse-Stürmerin Ewa Pajor. Die Polin nutzt wie Oberdorf (verstärkt VfL-Konkurrent FC Bayern) eine Ausstiegsklausel in ihrem Vertrag, wird zum FC Barcelona gehen.

Wolfsburgs Jule Brand präsentiert sich seit Wochen in Topform. Sie hat ihre Ausstiegsklausel für dieses Jahr nicht gezogen, gilt aber als sicherer Abgang für den kommenden Sommer.
Wolfsburgs Jule Brand präsentiert sich seit Wochen in Topform. Sie hat ihre Ausstiegsklausel für dieses Jahr nicht gezogen, gilt aber als sicherer Abgang für den kommenden Sommer. © regios24 | Darius Simka

Auch Jule Brand hatte eine Klausel, hat diese aber verstreichen lassen. Ein ablösefreier Weggang im Sommer 2025 gilt fast als sicher. Immerhin möglich, dass das Thema im Sommer noch einmal aufkommt, wenn die 20-Jährige weiter solche Topleistungen bringt wie in den vergangenen Wochen, in denen sie sich nicht nur in der ersten Elf festgespielt hat, sondern auch zu überzeugen wusste. Der VfL hat bei ihr aber alle Zügel in der Hand.

Mit den Zugängen von Janina Minge (SC Freiburg) fürs Mittelfeld und Caitlin Dijkstra (Twente Enschede) hat der VfL weiter ein starkes Gerüst für die kommende Saison. Gleichwohl sind weitere Zugänge wichtig, auch mit Blick auf den Sommer 2025. Dabei lohnt sich immer auch ein Blick zu Stroots Ex-Klub FC Twente, wo beispielsweise der Vertrag von Linksverteidigerin Marisa Olislagers (23/10 Länderspiele) ausläuft. Sie ist bei der gleichen Berateragentur wie der VfL-Coach.

Innenverteidigerin Caitlin Dijkstra kommt im Sommer von Twente Enschede, gilt als Eins-zu-eins-Ersatz für Dominique Janssen, die den Klub verlässt.
Innenverteidigerin Caitlin Dijkstra kommt im Sommer von Twente Enschede, gilt als Eins-zu-eins-Ersatz für Dominique Janssen, die den Klub verlässt. © IMAGO/Sports Press Photo | IMAGO/LEITING GAO / SPP

In einem Jahr dürfte es zu einem noch nie dagewesenen Umbruch kommen: Stand heute laufen die Verträge von Alexandra Popp, Marina Hegering, Kathrin Hendrich, Svenja Huth, Rebecka Blomqvist, Sveindis Jonsdottir, Lena Lattwein, Tabea Sellner, Vivien Endemann, Brand, Lynn Wilms und Kristin Demann aus – und das sind nur die Feldspielerinnen. Auch Deutschlands Nummer 1 Merle Frohms sowie ihre Torhüter-Kolleginnen Lisa Schmitz und Anneke Borbe sind bis dahin gebunden. Es wartet viel Arbeit auf VfL-Macher Ralf Kellermann, den Direktor Frauenfußball des Klubs. Er hatte ihn an die europäische Spitze geführt, seit 2013 holte Wolfsburg immer mindestens einen Titel.

Aktuell drohen die Fußballerinnen den Anschluss zu verlieren, Eigner Volkswagen hat allerdings seine Unterstützung angesagt. „Wir sind sehr stolz auf unsere Fußballmannschaft der Frauen. Wettbewerb hat etwas Gutes, sich selbst noch mal anzuspornen und besser zu werden. Wir werden diese Entwicklung mitmachen“, kündigte VW-Chef Oliver Blume in unserer Zeitung an. Diesen Worten sollten jedoch schnell Taten folgen.

Trainerfrage:

Bei Tommy Stroot ist es ebenfalls offen. Der Trainer, der 2021 für Stephan Lerch übernommen hatte, und im ersten Jahr gleich das nationale Double holte, ist noch ein weiteres Jahr an den VfL Wolfsburg gebunden. Hinweise zu einem (vorzeitigen) Abschied gibt es keine. Im Gegenteil: In der vergangenen Woche bestätigte der Coach noch einmal Gespräche zwischen ihm und dem Klub sowie die Bereitschaft, mit ihm verlängern zu wollen. Dass mit Carin Bakhuis in der kommenden Saison eine Co-Trainerin kommt, mit der er schon bei Twente Enschede vertrauensvoll wie erfolgreich zusammengearbeitet hat, ist eher ein Zeichen dafür, dass sich hier nichts ändert. Aber auch Stroot will eine weitere Professionalisierung des Klubs sehen.

Der Vertrag von Cheftrainer Tommy Stroot läuft im kommenden Sommer aus. Beide Seiten befinden sich in Gesprächen, der Coach hatte zuletzt anklingen lassen, dass es für ihn beim VfL über den Sommer 2025 hinaus weitergehen könnte.
Der Vertrag von Cheftrainer Tommy Stroot läuft im kommenden Sommer aus. Beide Seiten befinden sich in Gesprächen, der Coach hatte zuletzt anklingen lassen, dass es für ihn beim VfL über den Sommer 2025 hinaus weitergehen könnte. © regios24 | Darius Simka

Dass der Trainer womöglich einen radikalen Umbruch mit jungen Talenten moderieren muss, gilt nicht als Ausschlusskriterium. Hier hatte er bei Twente in den Niederlanden als zweifacher Meister mit einem Underdog große Erfolge gefeiert. Als sicher gilt: Eine offene Trainerfrage will der VfL nicht mit in die neue Saison nehmen, allerspätestens im Laufe der Vorbereitung wird hier eine Entscheidung fallen. Von den großen Baustellen dürfte es diejenige sein, die der Klub am schnellsten schließen kann.

Fazit:

Seit Montagabend (Verfolger Hoffenheim spielte nur 1:1 gegen Köln) hat der VfL in der Bundesliga zumindest einmal Platz 2 bei sieben Punkten Vorsprung vier Spiele vor Schluss sicher, strebt am 9. Mai (16 Uhr) gegen den FC Bayern den zehnten DFB-Pokalsieg in Serie an und hat auch seinen Platz im erstmals vor der Saison 2024/25 ausgetragenen Supercup als Liga-Zweiter so gut wie sicher. Auch die Mannschaft ist weiterhin wettbewerbsfähig, wird um die internationalen Plätze mitspielen, aber viel deutlicher als Underdog im Vergleich zu München. Es gibt mit Blick in die fernere Zukunft aber reichlich Arbeit am Elsterweg, das Schäfer-Aus kam auch für sie zur Unzeit, zumal der Blick auf Geschäftsführer-Ebene sich auf die kriselnden Männer konzentriert. Die Zeit, die Abteilung zukunftsfähig zu machen und die großen Baustellen abzuarbeiten, drängt aber.