Förste. Der Erzählkreis der Dorfgemeinschaft Förste-Nienstedt erklärt den Wandel des Urlaubs – und wer eigentlich die ersten Besucher im Harz waren.

Passend zum Beginn der Urlaubssaison beschäftigt sich der Erzählkreis der Heimatkundlichen Dorfgemeinschaft Förste-Nienstedt mit dem Urlaubsgeschehen von früher und heute – dabei erläuterte Helga Häusler auch das Reisen im Allgemeinen. Denn gereist wurde seit Menschengedenken – ob Marco Polo, Hannibal, Kolumbus, Thomas Cook oder Mitglieder der Hanse: Sie alle bereisten bekannte und unbekannte Teile der Welt, doch sie fuhren nicht in den Urlaub. Sie wollten entweder neue Länder entdecken, unterwerfen oder Handel treiben. Noch im Mittelalter war das Reisen nicht nur beschwerlich, sondern vor allem gefährlich. Wer keinen Handel betrieb, blieb in seiner vertrauten Umgebung und verbrachte hier seine karge Freizeit.

Johann Wolfgang von Goethe war die bekannteste Person, welche bereits vor etwa 250 Jahren erstmalig den Harz bereiste. Die auf insgesamt vier Harzreisen gesammelten Erlebnisse und Beobachtungen fanden Niederschlag in seinen zahlreichen Veröffentlichungen. Mit „Faust“, seinem bekanntesten Werk, machte er den Brocken zu einem magischen Ort, dessen touristische Anziehungskraft bis heute ungebrochen ist.

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Mit Erfindung der Dampfmaschine und deren Einsatz in Lokomotiven und Schiffen, begann vor etwa 180 Jahren für Begüterte die Möglichkeit, auf schnellem Weg Urlaub am Meer oder in den Bergen zu verbringen. Die Zeit der Urlaube in der sogenannten Sommerfrische nahmen ihren Aufschwung. Wie berauschend die erste Reise mit einem Zug empfunden wurde, ist zum Beispiel vom bekannten dänischen Schriftsteller und Märchendichter Hans Christian Andersen überliefert. Über seiner erste Eisenbahnfahrt in Deutschland im November 1840 schrieb er: „Oh, welch großes Werk des Geistes ist doch diese Erfindung! Man fühlt sich ja mächtig wie ein Zauberer der Vorzeit! Wir spannen unser magisches Pferd vor den Wagen, und der Raum verschwindet; wir fliegen wie die Wolken im Sturm, wie der Zugvogel fliegt! Unser wildes Pferd wiehert und schnaubt, der schwarze Dampf entsteigt seinen Nüstern....“

Warum in die Ferne schweifen: Sommerliche Badefreuden an der unteren Sösebrücke um 1913.
Warum in die Ferne schweifen: Sommerliche Badefreuden an der unteren Sösebrücke um 1913. © Joachim Schwerthelm

Ein Privileg des Adels und von vermögenden Bürgern

Bis Ende des 19. Jahrhunderts war der Besuch der Küstenbäder an Nord- und Ostsee oder der führenden Kurorte mit Heilquellen ein Privileg des Adels und von vermögenden Bürgern. Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich auch die reichere Mittelschicht einen Urlaub an mondänen Orten leisten. Danach stießen Beamte dank privilegierter Urlaubszusagen ebenfalls zum illustren Kreis der Urlauber hinzu. Einige Zeit später folgten ihnen die in höheren Positionen tätigen Angestellten.

Die Freizeit in der Sommerfrische zu genießen, blieb bis in die 50er des letzten Jahrhunderts populär. Dieser Urlaub stand für eine familiäre Form der Freizeit in einem intakten Umfeld. Die Funktion von WhatsApp oder Instagram übernahmen damals die Fotoateliers am Urlaubsort. So ließ sich 1910 auch Familie Sindram aus Förste auf Borkum ablichten, um später die Urlaubserinnerungen mit der gesamten Familie teilen zu können.

Familie Sindram (Anna mit Kindern Ludwig, Anne-Marie und Ingeborg) 1910 auf Borkum.
Familie Sindram (Anna mit Kindern Ludwig, Anne-Marie und Ingeborg) 1910 auf Borkum. © Joachim Schwerthelm

Wer sich keinen Urlaub in der Ferne leisten konnte, besann sich auf das eigene Umfeld. In Förste war es zum Beispiel die Söse, der Mühlenteich und später der Kiessee, wo man den Alltag für ein paar Stunden vergessen konnte.

Buntes Urlaubstreiben in den Sommerferien in Bad Sachsa

Nutznießer des Urlaubs in der Sommerfrische waren unter anderem sämtliche harzer Städte und Gemeinden. Selbst in kleinsten Ansiedlungen wie im versteckt liegenden Festenburg gab es für die urlaubende Gäste ein großes Kurhaus. Helga Häusler erinnerte sich an eine Episode aus ihrer Kindheit. Sie hatte das Glück in den 1950er Jahren in den Sommerferien stets für eine Woche ihre Tante Frieda und Onkel Ernst in Bad Sachsa, besuchen zu dürfen. Dort herrschte immer buntes Urlaubstreiben. Doch im Sommer 1953 hieß es auf einmal: „Dieses Jahr schläfst du zwischen uns auf der Besucherritze.“

Tante und Onkel hatten ihr freies Zimmer der Kurverwaltung gemeldet und erhielten dadurch die Zuweisung für zwei Personen. Namen und Adresse gab es nicht. Vielmehr wurden die Gastgeber zur Busankunft hinbestellt, die Gäste stiegen aus und jemand von der Kurverwaltung rief von einer Liste die Namen der Gastgeber auf. So fand man sich zusammen. Doch die eifersüchtige Tante brachte das Verteilungssystem ins Wanken. Ihr waren die beiden zugewiesenen Ruhrstädterinnen zu hübsch. Erst als ein älteres Ehepaar dem Bus entstieg, nickte sie wohlwollend mit dem Kopf.

Kommunikation per Post

Da das Festnetztelefon lange Zeit keine große Verbreitung hatte, fand die Kommunikation mit den Gastgebern und später mit den zurückgebliebenen Angehörigen in der Regel schriftlich statt. Die glückliche Ankunft und der Urlaubsverlauf wurde so per Brief oder Postkarte verkündet. Dabei gaben Textkünstler mitunter kurz und launig schriftlich Auskunft über das Reisegeschehen. So lautete die Nachricht manchmal: „Angelangt. Gott gedankt. Gruß und Kuss. Schluss!“ oder „Durch Wald und Au ging’s heute im Schritt. Nahm meine Frau im Schlepptau mit“.

Wer jedoch ein Moped, Motorrad oder sogar eines der ersten Autos besaß, der bereiste nicht nur Deutschland auf eigene Faust. Denn Rudi Schurickes Lied „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ lockte schon früh zahlreiche Touristen auf die noch abenteuerliche Fahrt über die Alpen nach Italien. Wer nicht so weit reisen mochte, den zog es an die Nord- und Ostsee.

Lebhaft in Erinnerung blieb Joachim Schwerthelm 1961 der Ausspruch seiner jüngeren Schwester. Beim ersten Urlaub in Cuxhaven ging es zur Belohnung zu allererst ans Meer. Schließlich saß man bereits über fünf Stunden brav im Auto, denn an eine Autobahn bis zur Nordsee war damals nicht zu denken. Auf der Deichkrone angekommen, entfuhr ihr, nichts von Ebbe und Flut wissend, der entrüstete Satz: „Da ist ja gar kein Wasser“.

Zeitgleich kamen vermehrt Urlaubsreisen mit dem Bus auf. Hier bot zum Beispiel der Reichsbund eine günstige Möglichkeit, für einen bezahlbaren Preis für ein paar Tage dem Alltagstrott zu entfliehen. Die Kreisverkehrsbetriebe betrieben nicht nur die Bimmelbahn. Auch sie boten per Reisebus Komplettpakete für begehrte Urlaubs- und Reiseziele an.

Vorreiter für Jugendfreizeiten in Förste: MTV und Ortsjugendring

In Förste war der Ortsjugendring in Kooperation mit dem MTV Vorreiter für Jugendfreizeiten. Ende der 1960er Jahre lag das Zielgebiet im Westerhöfer Wald. In Tunnelnähe entstand auf dem Holzverladeplatz ein Zeltdorf. Dank Sachspenden von Förster Firmen war die Sommerfreizeit für die Kinder kostenlos. Später ging es zu Fuß in eine feste Unterkunft nach Wildemann und darauf erweiterte sich der Radius nach Oderbrück. Mit finanzieller Unterstützung durch den Kreisjugendring waren ab den späten 1970er Jahren Freizeitreisen nach Österreich möglich. Neben zahlreichen Unternehmungen ist bei allen bis heute die Audienz beim ebenfalls in Sankt Gilgen urlaubenden Bundeskanzler Helmut Kohl in Erinnerung geblieben.

Der Förster Kiessee, Surferparadies der frühen 80er Jahre
Der Förster Kiessee, Surferparadies der frühen 80er Jahre © Joachim Schwerthelm

Trotz der vielfältigen Möglichkeiten seinen Urlaub zu verbringen, wurde daheim oft jede Möglichkeit genutzt, um sich nach Feierabend oder über das Wochenende zu entspannen. Da wurde dann der Kiessee zwischen Förste und Eisdorf zur Surferoase. Wer noch mehr Natur liebte, den zog es an die noch heute beliebten Badeseen in den Harz. Andere suchten die Ruhe auf dem Land. Das machte sich das Fremden- und Verkehrsamt der Stadt Osterode zunutze und warb dafür 1970 in ihrem Urlaubsprospekt.

Auch in der DDR verreiste man gern

Reiselustig waren die Deutschen auf der anderen Seite der Grenze ebenfalls. Urlaub unterlag in der ehemaligen DDR jedoch der staatlichen Lenkung. Die Wahl des Ferienziels war zwar möglich. Da die Nachfrage stets größer als das Angebot war, war es aber ungewiss, ob der zugeteilte Urlaubsort an der Ostsee, im Mittelgebirge oder in den sogenannten sozialistischen Bruderländern stattfinden konnte. Beschwerlich konnte es beim Individualurlaub werden, berichtete Karin Knoblauch. Mit dem Auto wollten im Jahr 1989 ihre Bekannten nach Bulgarien fahren. Bereits an der tschechischen Grenze gab es lange Wartezeiten. Nicht anders ging es bei der Einreise nach Ungarn zu. Am Grenzübergang nach Rumänien summierte sich die Wartezeit auf 20 Stunden. Endlich im Land, folgte in der Grenzregion der nächste Schreck: Es gab kein Benzin. Nächste Lieferung: vielleicht in zwei oder drei Tagen. Und etwas zu Essen zu kaufen, das war so gut wie unmöglich. Es hieß lapidar: „Habt ihr euch nichts mitgebracht?“. So konnte es passieren dass von 14 Tagen Urlaub eine Woche mit der An- und Abreise verloren ging.

Elefantenritt in Laos
Elefantenritt in Laos © Joachim Schwerthelm

Mit Beginn der 1970er Jahre zog es immer mehr Reisende in südliche Gefilde – und dorthin musste es schnell gehen. Der Flugtourismus nahm immer größere Fahrt auf. Die Charterfluggesellschaft des größten deutschen Urlaubskonzerns nahm vor genau 50 Jahren als Hapag-Lloyd den Flugbetrieb auf. Mit jedem Jahr wurden die Reiseziele exotischer. Heute wird den Touristen der Urlaub in fernen Ländern mit einer Mischung aus Kultur, Natur, Sensationen und Erholung schmackhaft gemacht.

Trotz der kaum noch zu überblickenden Möglichkeiten, weltweit seinen Urlaub zu verbringen, ist Deutschland nach wie vor das Reiseziel Nummer eins der deutschen Touristen. Darüber berichtet etwa das Handelsblatt. Nirgendwo urlauben mehr Bundesbürger als zwischen der deutschen Küste und den Alpen.

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