Braunschweig. Nachgefragt bei Geflüchteten und Menschen aus der Region Braunschweig-Wolfsburg: Wie blicken sie angesichts des Ukraine-Krieges zurück, wie voraus?
Ein ganzes Jahr ist es nun her, dass Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat. Der Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin am 24. Februar 2022 schockte viele – die Schreckensbilder aus Butscha, Irpin, Isjum, Bachmut, Kramatorsk oder Mariupol haben sich eingebrannt. Seit einem Jahr erleben Millionen Menschen in der Ukraine großes Leid, haben Bekannte, Familie oder ihr Heim zurückgelassen oder verloren.
In Deutschland wiederum flammten über das gesamte Jahr verschiedenste Debatten angesichts des Krieges in der Ukraine auf – zur Flüchtlingsunterbringung, zu Russland-Sanktionen, zu pro-russischen Autokorsos, zu Waffenlieferungen, zu Energiepreisen und -hilfen. Eines war allerdings in der Mehrheit schon ganz zu Beginn gewiss: die Solidarität mit und die Spenden für die Ukraine – auch aus der Region um Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter.
Unzählige Hilfskonvois voller Spenden rollten aus dem gesamten Braunschweiger Land in Richtung Osten an die ukrainische Grenze. Zahlreiche Kundgebungen folgten als moralische Unterstützung – sie werden auch am 24. Februar, zum Beispiel in Wolfsburg, stattfinden. Unsere Zeitung erreichten im Frühjahr 2022 zudem zahllose Mails mit Fragen zu Hilfsmöglichkeiten. Und: Einige Familien nahmen ukrainische Geflüchtete in ihre Reihen auf.
Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka hat Niedersachsen kurz vor dem Jahrestag für die Unterstützung im Ukraine-Krieg und bei der Aufnahme von Flüchtlingen gedankt. „Mehr als 100.000 meiner Landsleute haben Sicherheit und Schutz in Niedersachsen gefunden“, sagte Tybinka.
Zum Jahrestag des Krieges in der Ukraine möchten wir Ihnen einige Stimmen zum Thema aus der Region Braunschweig-Wolfsburg präsentieren – von Ehrenamtlichen, von Geflüchteten, von ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern.
Stimmen von Helferinnen und Helfern in der Region Braunschweig-Wolfsburg
Willi Heiland aus Ribbesbüttel im Landkreis Gifhorn hat nach Kriegsausbruch einen der ersten Hilfstransporte in die Ukraine organisiert und ist auch selbst Transporter gefahren. Seine Hoffnung nach einem Jahr: „Dass der Krieg schnell aufhört!“ Von seinen Besuchen in der alten Heimat und aus Gesprächen mit seiner Verwandtschaft dort weiß er: „Es sieht nicht rosig aus. Alles ist zerstört, viele sind geflüchtet und viele werden nicht wiederkommen. Daran hat das Land zu knabbern, wenigstens noch ein Jahrzehnt.“
Die Stimmung unter den Verwandten sei gedrückt: „Keiner weiß, was morgen ist. Die Ungewissheit ist anstrengend, manche schaffen nicht einmal den Tagesalltag zu bewältigen.“ Heiland wünscht sich, dass der Krieg nicht weiter mit Waffen gepusht wird. „Die sollen reden!“ Und wenn Politiker unbedingt wollten, das gekämpft werde, sollten sie das unter sich in einem geschlossenen Raum ausmachen, ohne das unschuldige Menschen dabei umkommen.
Nach Wolfenbüttel wiederum kamen viele ukrainische Flüchtlinge durch Verbindungen von Andre Volke und Henning Kramer. Dabei begann alles ganz klein: Als der Krieg in der Ukraine am 24. Februar 2022 ausbrach, bot Volke einem ukrainischen Freund Hilfe an. Später vermittelten sie immer mehr Wohnungen und Arbeitsplätze – und organisierten ein Netzwerk über Whatsapp. Derzeit kommen kaum neue Flüchtlinge an. Für die Unternehmer Volke und Kramer ist es eine Gelegenheit, wieder andere Schwerpunkte zu setzen: „Wir haben unsere Geschäfte sehr vernachlässigt. Da gibt es viel aufzuarbeiten.“
Valentina Dhovopola ist selbst vor etwa einem Jahr aus der Ukraine geflohen. Die Journalistin war geschockt: „Wir konnten es kaum glauben, dass so etwas in unserem Land passiert.“ Die Vorsitzende des Freundeskreises Gifhorn lebt seit Mitte März 2022 mit ihren Kindern in Gifhorn – erst in Wilsche, jetzt in der Südstadt. Im Dienste des Gifhorner Integrationsprojektes GIP hilft sie Landsleuten, sich hier im Alltag zurechtzufinden – und bei all den Behördengängen. Dhovopola spricht inzwischen fließend Deutsch.
Stimmen von ukrainischen Geflüchteten in der Region Braunschweig-Wolfsburg
Als am 24. Februar Bomben und Raketen in Charkiv einschlagen, zögert Olha Berezhina nicht lange. Sie flieht mit ihren beiden Kindern, um der Zerstörung zu entkommen. Bereits Wochen zuvor sei absehbar gewesen, dass es zum Krieg kommen würde, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. „Ich habe vorher viel an Wohlstand gedacht. Aber jetzt denke ich: Sicherheit ist das Wichtigste.“ Den Kindern gelingt die Integration in Wolfenbüttel unterschiedlich gut – auch bei Berezhina stellt sich nur langsam ein neues Heimatgefühl ein. Während eines Harz-Ausflugs bei Schnee fühlte es sich zuletzt an „wie zuhause in Charkiv im Winter“. Dorthin zurück will sie nicht.
Olga Boncheva wiederum floh mit ihrer 16-jährigen Tochter aus Mariupol und wohnt seit März in Salzgitter-Thiede. „Mariupol ist vollkommen kaputt”, sagt sie und weint: „Ich weiß nicht, wie man dort überhaupt leben kann.” Sie habe studiert und die Finanzen einer Arztpraxis verwaltet. Für eine Weiterbildung hier benötigt sie ein B2-Sprachniveau. „Deutsch ist schwierig, aber ich lerne es. Ich muss, und ich möchte.”
Deutsch lernen – das bestimmt auch den Alltag von Yuliya, Roma, Mykhail und Lydiya in Gebhardshagen. Die Familie ist froh, hier sein zu dürfen. „Wir haben eine Wohnung, Essen, bekommen Leistungen. Das macht nicht jedes Land“, sagt Yuliya. Noch hätten sie keine Arbeit. „Das braucht noch Zeit“, gesteht sie. Doch sie fühle sich integriert, „wir haben Bekannte und Freunde – aus der Ukraine und aus Deutschland“. Helfer Marco Schübbe sei ihr Talisman: „Ich weiß nicht, was wir ohne ihn machen würden.“
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Bei den Gesprächen in Wolfsburg kommt immer großes Lob durch, das die vor dem Krieg Geflüchteten den Wolfsburgern zollen. Svitlana Bronska aus Slavansk sagt: „Wir wurden hier sehr gut aufgenommen. Und in den Flüchtlingsheimen, in denen wir zuerst wohnten, gab es sogar Spielplätze für die Kinder. Ich weiß von anderen Ukrainern in anderen Städten, dass das nicht überall so ist.“ Die Geflüchteten haben zudem in Wolfsburg inzwischen ein kleines Netzwerk gegründet, in dem sie sich austauschen, Erfahrungen weitergeben, sich gegenseitig Mut zusprechen. Zusammenhalt sei wichtig, sagen sie. Die meisten von ihnen wollen allerdings in ihre Heimat zurück, sobald der Krieg zu Ende ist. „Das Heimweh ist sehr groß“, sagt etwa Elena Derkach.
Svyatoslava Blashchuk ist froh: Sie ist in Sicherheit, lebt mit ihren beiden Kindern bei ihren Eltern in Gifhorn. Noch bis kurz nach Kriegsbeginn war sie in ihrer alten Heimat, in Kiew. Ihren Mann Oleg Shevtsov musste sie bei der Flucht aus der Ukraine zurücklassen. Über Videotelefonate halten sie Kontakt, aber: „Die Kinder vermissen ihren Vater!“ Im August fuhr die ganze Familie noch einmal für ein paar Tage nach Hause – im Gespräch mit unserer Zeitung schildert sie die Situation im Februar und August 2022. „Es ist schwer, keine Kontrolle mehr über das eigene Leben zu haben.“
Ein Baby – endlich ein zweites Kind. Es war nach 16 Jahren Warten und Hoffen die Glücksnachricht schlichtweg. Wie schnell sich die Situation für die Familie dann drehte – es ist kaum in Worte zu fassen. Olga P. war im zweiten Monat schwanger, als Russland die Ukraine überfallen hat. „Erst haben wir gedacht, wir bleiben“, erzählt sie. Alle Behörden hätten gesagt, dass die Angriffe bald wieder vorbei seien. Ein schwerer Irrtum. Die Familie ist mittlerweile im Landkreis Peine untergekommen – das Kind als Frühchen im Braunschweiger Klinikum auf die Welt gekommen.
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Straßenumfrage zum Ukraine-Krieg in der Region Braunschweig-Wolfsburg
Dass der Ukraine-Krieg noch heute viele Menschen im Braunschweiger Land bewegt, haben wir bei unseren Straßenumfragen in den vergangenen Tagen erlebt. Angst, Sorge, Hoffnung – hier ein Auszug der Stimmen.
Stimmen zum Ukraine-Krieg aus der Region Braunschweig-Wolfsburg
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