Gifhorn. Svyatoslava Blashchuk aus Kiew lebt mit Sohn und Tochter bei ihren Eltern in Gifhorn. Was sie auf der Flucht aus der Ukraine erlebt hat, ist heftig.
Svyatoslava Blashchuk ist froh: Sie ist in Sicherheit, lebt mit ihren beiden Kindern bei ihren Eltern in Gifhorn. Noch bis kurz nach Kriegsbeginn war sie in ihrer alten Heimat, in Kiew. Ihren Mann Oleg Shevtsov musste sie bei der Flucht aus der Ukraine zurücklassen. Sie hat ihn seit August nicht gesehen.
„Wir sind am 24. Februar um 5 Uhr aufgewacht“, erinnert sich die 40-Jährige, „es hatte einen Stromausfall gegeben.“ Die Uhren blinkten. Aber von den Bombenexplosionen auf dem nahe gelegenen Militärflughafen hat die Familie in ihrer Wohnung im Stadtzentrum nichts gehört. „Westlich des Flusses Dnepr konnte man die Einschläge hören“ – das hat sie von Freunden erfahren.
Ihr Mann habe es dann im Internet gelesen: Russland hatte begonnen, die Ukraine anzugreifen. „Unsere Koffer waren schon am Wochenende fast fertig gepackt“ – denn durch die Nachrichten der vergangenen Tage waren Blashchuks vorgewarnt. „Um 8 Uhr waren wir schon im Auto und sind Richtung Moldau gefahren. Abends waren wir an der Grenze.“
Die Eltern holten Mutter und Kinder von der polnischen Grenze ab
Die Familie durfte die Grenze aber nicht passieren – wehrfähige Männer durften das Land nicht verlassen. Also steuerten Blashchuks erst einmal die Stadt Lwiw an, wo der Patenonkel ihres Sohnes wohnte. Was nun? „Ich wollte nicht allein nach Deutschland fahren, 1500 Kilometer!“ Allerdings war auch Lwiw nicht sicher vor Raketen. Dann versprachen die Eltern, Svitlana und Klaus Meister, die schon seit 2000 zusammen in Gifhorn leben, sie und ihre beiden Kinder, damals 8 und 9 Jahre alt, an der polnischen Grenze abzuholen.
„Wir mussten dort zwei Tage lang warten, so lang war die Schlange“, berichtet Svyatoslava Blashchuk. Ihr Mann Oleg begleitete sie bis zur Grenze, kehrte später wieder in die Wohnung in Kiew zurück. Bei der Frage, wie der Abschied an der Grenze war, verschlägt es ihr fast die Sprache, Blashchuk hat Tränen in den Augen. „Ich habe nie gedacht, dass es so lange dauert. Ich dachte nach zehn Tagen ist alles vorbei.“
Die ersten Monate in Gifhorn habe sie die Situation auch nicht richtig realisiert: „Ich habe nicht geweint, da hat man keine großen Gefühle.“ Täglich, von morgens bis abends habe sie die Nachrichten verfolgt, wie viele Menschen wieder getötet wurden. Allmählich wurde ihr klar, dass der Krieg zum Dauerzustand wurde. „Manche sagen, er dauere wohl fünf oder gar acht Jahre! Ich glaube, wir haben gar nicht so viele Menschen und Waffen dafür.“
Es gibt schon lange keine guten Nachrichten mehr aus der Ukraine
Das Jahr in Gifhorn zog sich hin. Ihre Stimmung hob und sank sich in Wellen. „Mal hast du eine Zeit lang gute Laune, mal schlechte.“ Aber im Augenblick befinde sich Blashchuk in einem Tief. Das habe mit dem Jahrestag zu tun, aber auch damit, dass es schon lange keine guten Nachrichten aus der Ukraine gab. „Es gibt schwere Kämpfe. In Bachmut ist das wie im Ersten Weltkrieg.“ Facebook sei für die Ukrainer DIE Plattform, um mit Verwandten, Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben. Darüber erfahre sie auch, wer im Krieg gefallen ist – „viele gute, viele kluge Menschen“. Über Facebook werden auch Spendenaufrufe geteilt. „Mein Mann arbeitet in der IT, er spendet viel Geld.“ Das werde gebraucht für Drohnen, Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und medizinische Geräte.
Mit Oleg hält sie in Videotelefonaten Kontakt. „Fast jeden Tag macht er mit den Kindern zusammen Hausaufgaben.“ Ihr Sohn geht zwar in die Grundschule in Gamsen und ihre Tochter auf das Humboldt-Gymnasium, aber nebenbei haben sie auch noch Aufgaben für ihre ukrainische Schule zu machen. „Sie gehen hier sehr gern zur Schule, haben Freunde kennengelernt. Aber sie vermissen ihren Vater!“
Einmal ist die ganze Familie noch mal für ein paar Tage nach Hause gefahren: im vergangenen August. Es war Sommer, die vier gingen in einem Restaurant draußen auf der Terrasse essen, die Kinder spielten auf dem Spielplatz im Taras Shevchenko Park, spazierten mit dem Großvater am Alfavito-Hotel entlang. Am 10. Oktober gab es einen großen Angriff auf Kiew – Sommerterrasse und Spielplatz wurden dabei komplett zerstört, das Hotel am 31. Dezember. Überall sind heute Bombentrichter. „In der Nähe unserer Wohnung ist ein Kraftwerk, das wollten die Russen zerstören. Unsere Fenster blieben heil, aber nicht die der Schule unserer Kinder.“
Svyatoslava Blashchuk ist dankbar, zurzeit in Deutschland sein zu können. „ich und meine Kinder sind in Sicherheit. Aber es war nie unser Plan, in Deutschland zu leben. Es ist schwer, keine Kontrolle mehr über das eigene Leben zu haben.“ Arbeiten in Deutschland? Ja, sie hat an einer Berufsorientierung teilgenommen. Aber: „Wer braucht in Gifhorn eine studierte Soziologin?“ Am liebsten würde sie wieder nach Hause gehen, aber sie müsse warten. „Ich will im Augenblick keine Pläne machen.“
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