Braunschweig. Die Kritik eines Kriminologen an der Bischofskonferenz lässt aufhorchen. Das Bistum Hildesheim setzt auf Transparenz und externe Aufklärer.

Mit harschen Worten hat sich der frühere Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, Christian Pfeiffer, zu der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals innerhalb der Katholischen Kirche geäußert. Mit Blick auf die geringe Anzahl an laufenden Ermittlungsverfahren im Freistaat Bayern warf er der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und deren Vorsitzendem, dem Münchener Kardinal Reinhard Marx, Zensur vor. „Das war alles nur Show – mehr nicht“, sagte Pfeiffer in einem dpa-Interview . Marx habe eine ehrliche, transparente Aufarbeitung des Skandals verhindert. In den bayerischen Diözesen wurden 321 Beschuldigte ermittelt, von denen laut dpa 124 bereits gestorben sind. Stand heute würden noch 154 Personen verdächtigt. Derzeit sind lediglich vier Ermittlungsverfahren anhängig, was Pfeiffer zu dem Schluss kommen lässt, die Kirche sei an der Aufklärung nicht interessiert.

Ursprünglich hatte der Kriminologe Pfeiffer den Auftrag von der Katholischen Kirche zur Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels ihrer Geschichte erhalten. Die Zusammenarbeit war nach Differenzen über die Vorgehensweise beendet worden. DBK-Sprecher Matthias Kopp erklärte: „Herr Pfeiffer wiederholt einen Vorwurf, zu dem wir bereits 2013 Stellung bezogen haben. Damals wie heute ist deutlich geworden, dass von der Verhinderung einer transparenten Aufarbeitung in keiner Weise die Rede sein kann.“

So läuft die Aufklärung der Missbrauchsfälle im Bistum Hildesheim

Zu Pfeiffers Abrechnung will sich das Bistum Hildesheim nicht äußern. Man kommentiere das nicht, sagte Sprecher Volker Bauerfeld unserer Zeitung. Das Bistum arbeitet seit April 2019 systematisch an einer Aufklärung der Fälle, die das Bistum selbst betreffen. Sie fallen mit übergroßer Mehrheit in die Amtszeit des 1988 verstorbenen Altbischofs Heinrich Maria Janssen, der zwischen 1957 und 1982 die Diözese führte. Er selbst soll sich an Minderjährigen vergangen haben. Der aktuelle Bischof Heiner Wilmer hat schonungslose Aufklärung versprochen. Er hat eine externe Kommission ins Leben gerufen, die von Niedersachsens früherer Justizministerin, Antje Niewisch-Lennartz, als Obfrau geführt wird.

2012: Priester aus Salzgitter zu sechs Jahren Haft verurteilt

Laut Bauerfeld sind seit 1947 bis heute im Bistum Hildesheim mindestens 155 Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen. Von den 47 Beschuldigten seien 36 gestorben. „Die angezeigten Fälle reichen von Grenzverletzungen bis zu Fällen von schwerem sexuellen Missbrauch.“

In unserer Region hatte der Fall eines Salzgitteraner Priesters für Aufmerksamkeit gesorgt.Andreas L. war 2012 wegen sexuellen Missbrauchs in Hunderten von Fällen durch das Landgericht Braunschweig verurteilt worden. Ein Jahr später war er auch aus dem Priesterstand entlassen worden. Nach Angaben des Bistumssprechers erhielt ein weiterer Priester im Jahr 2009 eine achtmonatige Bewährungsstrafe und eine Geldstrafe. In zwei Fällen seien strafrechtliche Verfahren gegen Geldauflage eingestellt worden. „In weiteren Fällen sind die Verfahren wegen eingetretener Verjährung oder mangelnden Anfangsverdachts eingestellt worden.“ Zwei aktiven Priestern würden keine Missbrauchsvergehen zur Last gelegt, sondern Grenzverletzungen in der Öffentlichkeit. „Sie haben intensive Präventionsschulungen erhalten“, erklärt Bauerfeld. Der dritte noch aktive Priester sei ein jüngst beurlaubter Geistlicher (wir berichteten). Nach Informationen unserer Zeitung soll er aus der Region Duderstadt stammen. Die zuständige Staatsanwaltschaft hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, die Ermittlungen wegen Verjährung einzustellen.

Das Bistum hat sich für den Weg der Transparenz entschieden. Es arbeitet eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen und setzt auf externe Aufklärung. Bischof Heiner Wilmer, der am 1. September 2018 die Amtsgeschäfte von Norbert Trelle übernahm, erklärte im April 2019: „Wir möchten eine offene, schonungslose und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung des Unrechts. Ich bin Frau Niewisch-Lennartz, Herrn Hackenschmied, Herrn Dr. Mosser und Herrn Schrimm sehr dankbar, dass sie diese wichtige Aufgabe übernehmen. Sie sind absolut unabhängig von unserer Kirche und daher bestens geeignet, Licht ins Dunkel zu bringen.“ Wilmer hatte gerade der Öffentlichkeit die Kommission vorgestellt, die unter Leitung von Obfrau Antje Niewisch-Lennartz, der ehemaligen niedersächsischen Justizministerin, aufklären soll, inwieweit sich nicht nur Altbischof Janssen, sondern auch andere Klerikale und Mitarbeiter in von der katholischen Kirche betriebenen Einrichtungen schuldig gemacht haben.

Der Sprecher des Bistums, Volker Bauerfeld, erläutert gegenüber unserer Zeitung das Ziel, das Wilmer mit der Einberufung der Experten verfolgt. Mit dem Verweis auf Zuständigkeiten sagt er aber auch: „Wir wollen uns in diesen Prozess nicht einmischen und wollen auch nicht der Öffentlichkeit vermitteln, dass wir das tun. Wir müssen insbesondere über strafrechtlich relevante Erkenntnisse informiert werden. Es soll aber nicht der Eindruck entstehen, dass wir uns dazwischenschalten, falls es unangenehm wird.“ Bischof Wilmer habe die Aufarbeitung dieses Kapitels der Kirchengeschichte zur „Chefsache“ erklärt. Man wolle sich aber nicht den Vorwurf der Befangenheit gefallen lassen. Daher habe man sich entschieden, auf Aufklärung von außen zu setzen.

Antje Niewisch-Lennartz lobt im Gespräch mit unserer Zeitung die Zusammenarbeit mit dem Bistum. Die Vorwürfe des Kriminologen Christian Pfeiffer, die Bischofskonferenz verhindere eine Aufklärung, träfen in ihrem Fall nicht zu. „Wir bekommen alle Informationen und wir dürfen diese auch veröffentlichen“, erklärt sie. Das wären auch die Bedingungen gewesen, die Arbeit aufzunehmen und diese wären ab dem ersten Tag durch die Mitarbeiter des Bischofs erfüllt worden. Zu den Aufgaben der gelernten Juristin als Obfrau gehört es auch, Gespräche in Einrichtungen der Kirche zu führen. Sie verweist auf die eingerichtete Internetseite wissenteilen-hildesheim.de, auf der sich Betroffene informieren können. „Ich appelliere auch an Kirchenmitarbeiter, die sich womöglich dem Schweigegebot verpflichtet fühlen, sich zu melden. Das Schweigegebot haben sowohl der Bischof als auch der Papst in dieser Frage ausgesetzt “, sagt Niewisch-Lennartz. Die nächste Gesprächsrunde ist für den 5. Februar in Duderstadt terminiert.

„Waren die Strukturen schuld, dass es zu sexuellem Missbrauch kam?“

Für das Bistum ist die wesentliche Frage: Welche Strukturen und Bedingungen in der Amtszeit von Altbischof Janssen haben die sexuelle Gewalt gefördert? Handelt es sich um die Verfehlungen einzelner oder geschah der Missbrauch aufgrund systemischer Strukturen? Antworten erhofft sich Bischof Wilmer von der Kommission und auch von externen Beratern, deren Erkenntnisse in die Präventionsarbeit einfließen sollen, damit sich Vergleichbares nicht wiederholt. Das Bistum hat vier Ansprechpartner, die nicht von der Kirche bezahlt werden, benannt. An diese können sich Menschen wenden, die entweder Verdachtsfälle melden oder über Erlebtes sprechen wollen. Eine Art Frühwarnsystem, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Eine der regionalen Beraterinnen ist Diplom-Psychologin Michaela Siano, die im Landkreis Helmstedt arbeitet. Die Koordination der Beraterstellen hat Andrea Fischer, frühere Bundesgesundheitsministerin, übernommen.

Bistumssprecher Bauerfeld sagt: „Oft melden sich Betroffene erst nach Jahren, weil sie sich dafür schämen, was ihnen angetan wurde.“ Auch hier könnten externe Berater einen anderen Zugang finden. In den regionalen Beraterstellen hätten sich bislang mehrere Dutzend Menschen gemeldet. „Es geht im Großteil um Fälle der Grenzverletzung wie das Auflegen einer Hand auf die Schulter und nicht um sexuelle Gewalt.“ Dennoch gehe man solchen Hinweisen intensiv nach. So sei es wichtig, sich auch in die Täter zu versetzen. „Es fängt mit einer vermeintlich unverfänglichen Berührung an, es folgen Geschenke und am Ende steht ein Missbrauch.“