Förste. Tod ist Bestandteil des Lebens: Helga Häusler berichtet über die einstige Beerdigungskultur in den Osteroder Dörfern Förste und Nienstedt im Südharz.

„Umsonst ist der Tod…“ ist ein häufig zitierter Spruch, der mit dem Widerspruch endet… „und der kostet das Leben“. Hier kommt zum Ausdruck, dass für alles im Leben bezahlt werden muss. Trotzdem verbirgt sich darin auch eine gewisse Scherzhaftigkeit, welche das Wissen um den Tod mildert.

In allen Religionen dieser Welt wird dem Tod größte Aufmerksamkeit gewidmet. Er nahm zu allen Zeiten einen hohen Stellenwert ein. In früheren Jahrhunderten war der Tod Bestandteil des Lebens. Weil der Tod den Menschen allgegenwärtig war, war die Angst vor dem Tod weitaus geringer als es heute der Fall ist. In einigen alten Schriften wird der Tod sogar als Freund, als Gevatter, Sensemann und Erlöser bezeichnet. In dem Märchen „Gevadder Tod“ der Brüder Grimm tritt er sogar als Pate auf.

Bis über den Anfang des 20. Jahrhunderts hinaus, waren die Familien groß und das Durchschnittsalter und die Lebenserwartung wesentlich geringer als heutzutage. Ursache war die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, mangelnde medizinische Versorgung und die oftmals schlechte und unzureichende Ernährung. Somit kamen die Menschen öfter mit dem Tod in Berührung als heute. So trafen sie schon zu Lebzeiten Vorsorge. Die Erbfolge war vielfach bereits geklärt.

Das meist selbst angefertigte Totenhemd aus Stoff – nicht aus Papier – lag bereit. Nicht selten gehörte es sogar zur Aussteuer. Üblich war auch das Bekleiden weiblicher Leichen mit ihrem Brautkleid oder dem „guten Kleid“, der männlichen mit dem „guten Anzug“. Den Sarg lieferte der ortsansässige Tischler.

Da es heute bedeutend weniger „Großfamilien“ gibt, sind die Menschen gegenüber heute ungeübter im Umgang mit Sterbenden und mit dem Tod, auch weil viele Bräuche, die früher den Todesfall und die Trauer begleiteten, in Vergessenheit geraten sind. Im Gegensatz dazu ist die Angst vor dem Sterben gewachsen. Sicher spielt auch das häufige Abhandenkommen des christlichen Glaubens, der eine Wiederauferstehung verkündet, eine wesentliche Rolle. Nicht einmal das Versprechen, dass nur der Körper, aber nicht die Seele stirbt, mindert kaum die Angst vorm Tod.

Früher war es üblich, dass der Sterbende im Kreis seiner Familie verblieben. Im heutigen durchorganisierten Lebensrhythmus wird oft einsam gestorben. So im Krankenhaus oder einsam daheim, weil die Nachkommen weit entfernt wohnen. Allgemein spricht man aber möglichst nicht über das Sterben und den Tod, obwohl er täglich durch Kriege und Katastrophen gegenwärtig ist. Er scheint ein Tabuthema zu sein.

Dem Tod von der Schippe gesprungen

In einem Gespräch mit meiner Tante Emma Fröhlich, eine resolute Frau und Mutter des ehemaligen Bademeisters im Schwimmbad Osterode, schilderte sie ihre eigene Begegnung mit dem Sterben und dem Zeitraum bis zum Tod, in einem Krankenhaus.

„Wegen einer schweren Krankheit brachte man mich ins Krankenhaus. Ich wusste, dass mein Zustand kritisch war. Irgendwann wachte ich im Badezimmer der Klinik auf. Die Tür stand einen Spalt auf. Die Türklinke war mit einem Mulltuch umwickelt. Da wusste ich sofort, dass man meinen Tod erwartete, denn Sterbende schob man da hinein. Ich war natürlich sehr schockiert. Aber nur für einen kurze Weile. So laut ich konnte habe ich dann gerufen. Na ja, eher geschrien. Eine Schwester schaute mit kugelrunden Augen zur Tür hinein. Sie war sehr erschrocken. Ich sterbe noch nicht, rief ich ungehalten. Gebt mir lieber einen großen Pott mit Kamillentee. Dann werde ich auch wieder. Mehrere Pötte habe ich mir hinter die Binde gegossen. Danach bin ich von der Pritsche gestiegen – sozusagen dem Tod von der Schippe gesprungen und noch dazu dem Teufel ein Schnippchen geschlagen!“, lachte sie. Den Tipp mit dem Kamillentee wollte ich mir dringend merken.

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Daheim waren normalerweise Familienmitglieder, auch enge Verwandte, manchmal Arzt und Pastor im Sterbezimmer versammelt. Man saß ruhig und still beisammen. Soweit es möglich war, sprach man mit dem Sterbenden, im Rahmen des Möglichen sogar über Testament und Erbschaft. Um das Sterben zu erleichtern, bzw. zu beschleunigen entfernte man dem Sterbenden sein Kopfkissen. Das erschwerte die Atmung. War der Tod eingetreten, benachrichtigte man den Arzt, der den Totenschein ausstellte.

Angehörige, die beim Ableben zugegen waren, durften dann bei der Gemeinde, die zugleich Standesamt war, die Beurkundung veranlassen. Größtenteils verlief dieser Akt sehr emotionell. Ein aufrichtiges Beileid von amtlicher Seite schien stets zu wirken. Aus Gründen der Pietät schaltete man das Radio aus. Solange der Verstorbene im Hause war, durften nur wichtige Nachrichten verhalten abgehört werden. Die Zimmer wurden verdunkelt, die Uhr angehalten, der Spiegel mit einem Tuch verhängt.

Fenster öffnen, damit die Seele hinausfliegen kann

Ein alter Aberglaube gebot, das Fenster zu öffnen, damit die Seele hinausfliegen konnte. Es muss sich um einen sehr alten Glauben gehandelt haben. Denn auch Friedrich II, der Italienkaiser, soll in der Stunde seines Todes am 13. Dezember 1250 gespannt gewesen sein, ob seine Seele tatsächlich seinen Körper verlassen würde.

Die Nachricht über das Ableben überbrachte man den hiesigen Angehörigen, Nachbarn und Freunden möglichst persönlich, Auswärtigen allerdings schriftlich per Telegramm. Eine Anzeige in der Zeitung sorgte für die allgemeine Bekanntgabe.

Der Pastor sowie die Träger wurden benachrichtigt und das Läuten bestellt. Beileidsbesuche gehörten zum guten Ton. Das sogenannte Ausläuten erfolgte in früheren Zeiten im Sommer um acht und im Winter um neun Uhr. Heutzutage ist die Uhrzeit auf acht Uhr festgesetzt. Es läuteten – bis heute – beide Glocken zugleich eine Viertelstunde lang. Im Anschluss daran schlug die Betglocke neun Schläge, weil Jesus in der 9. Stunde, also nachmittags um drei Uhr verstorben war. Ältere Generationen nannten diese Uhrzeit am Karfreitag „die stille Stunde“.

Bis in die 70er Jahre benötigte man zwei Personen, welche je eine Glocke per Hand in Bewegung setzten. Namentlich bekannt sind die Nienstedter Einwohnner Jürgen Griebner, Wilhelm und Ida Sindram.

Beerdigung von Bauer Karl Otto im Juni 1944 in Förste.
Beerdigung von Bauer Karl Otto im Juni 1944 in Förste. © Familie Otto

Sohn Dieter Sindram und Wilhelm Lange, Sohn der Kirchendienerin Elli Lange, durften im jugendlichen Alter hin und wieder mithelfen. Eine elektrische Installation beendete diese anstrengende Tätigkeit. Ein Knopfdruck genügte, um die schweren Glocken zum Schwingen zu bringen.

Auch den Totengräber musste man früher selbst informieren. Ihn hatte man auch privat zu entlohnen. Das änderte sich später. Über eine große Zeitspanne hinweg bekleidete Werner Oppermann aus Förste die Position des Totengräbers. Wann er diese Tätigkeit aufnahm ist nicht zu ermitteln. Er beendete sie am 9. November 1979. Da er in dieser Zeit obendrein noch eine eigene Gärtnerei betrieb, ließ man dort meist auch die Kränze und Sträuße binden.

Nach dem 9. November 1979 übernahm Günther Lüdtke aus Förste die Tätigkeit bis 15. Juli 1980. Im Anschluss waren Rudi Limburg bis 23. November 1984 und ab 1. Januar 1985 Hans Zeisberg angestellt. Heute ist die Firma Klie aus Dorste für alle Friedhofsangelegenheiten, einschließlich der Funktion eines Totengräbers zuständig.

Nicht immer wurde sofort eingesargt. Den Sarg lieferte ein dörflicher Tischler, der später auch die Einsargung vornahm. Häufig verblieb die Verstorbenen bis dahin in ihrem Sterbebett. Aufgebahrt wurde in der guten Stube, im Schlafzimmer oder auf dem Flur.

Totenfrau übernimmt Versorgung der Verstorbenen

Die Versorgung der Verstorbenen übernahmen Totenfrauen. Bis etwa Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Förste und Nienstedt noch eine Totenfrau, in den Städten noch länger. Sie trug immer eine schwarze Schürze, die ihr als Geschenk später überlassen wurde. Sie hatte vorgeschriebene Aufgaben zu verrichten: Die Augen des Verstorbenen mussten geschlossen, die Kinnbinde angelegt und die Hände gefaltet werden. Auch das Waschen und Kämmen gehörte dazu. Essigtücher und Essig gefüllte Gefäße sollten unangenehme Gerüche vertreiben. Zum Schluss zog sie ihnen das Totenhemd oder andere besondere Kleidungsstücke an. Bis zur Aufbahrung im Haus kam sie täglich. Die Totenfrau zeigte in diesen Zeiten auch den Sterbefall beim Standesamt an. Aber nur die besser gestellten Familien konnten sich die Dienste einer Totenfrau leisten. Schätzungsweise entlohnte man sie mit etwa drei Mark.

Werner Binnewies, geb. 1925, berichtete, dass seine Urgroßmutter mütterlicherseits als Totenfrau in Förste tätig war. Da sie sehr früh Witwe wurde und Kinder hatte, konnte sie ihren Lebensunterhalt irgendwann nicht mehr bestreiten. Sie bat den „Bauermeister (Bürgermeister) Sindram“ um Hilfe. Der schlug die Tätigkeit einer Totenfrau vor. Lieber das, als gar nichts! Aber jedes Mal, wenn sie tätig gewesen war, verweigerten ihre Kinder das Essen. Sie hatte mit ihren Händen eben die Toten angefasst. Das Schrubben mit Wasser und Seife galt nicht. Trotzdem aßen die Kinder häufig tagelang nichts.

Trauergesellschaft mit Totenwagen um 1950.
Trauergesellschaft mit Totenwagen um 1950. © Archiv Joachim Schwerthelm

Die Aufbahrung von Verstorbenen im Haus dauerte drei Tage. Bis zu welchem Zeitpunkt diese Sitte der Totenwache üblich war, ist nicht nachweisbar. Die Totenwache sollte sicherstellen, dass kein Scheintod vorliegt. Das kam schon mal vor, auch in Förste. Außerdem wollte man die Leiche vor Ratten und Mäusen schützen. Insgeheim fürchtete man aber auch die Macht des Toten als Wiedergänger. Man achtete streng darauf, dass der Verstorbene mit dem Gesicht gen Osten zeigte und die Füße nicht nackt waren.

Der Volksmund berichtet auch über einen Reisepfennig, den man Verstorbenen in die geschlossenen blumengeschmückten Hände legte. Nach dem Einsargen bedeckte man den Sarg mit dem schwarzen Leichentuch. Darauf stellte man eine einzelne weiße Kerze, die in einem silbernen Leuchter steckte, den man ausschließlich für diesen Zweck bei Kaufmann Hente ausleihen konnte.

Regelmäßig Probe liegen

In der Wassergasse in Förste wohnte ein Ehepaar Witthuhn. Schon zu Lebzeiten hatte Opa Witthuhn für seine eigene Beerdigung vorgesorgt. Denn in der Mitte seines Wohnzimmers hatte er seinen Sarg platziert, in dem er sich hin und wieder hineinlegte. „Ich muss doch ausprobieren ob es mir bequem ist!“, verteidigte er sich, wenn er darauf angesprochen wurde.

Eine weitere Anekdote ist zum Beispiel in den Aufzeichnungen von Karl Köwing zu lesen: Ende des 19. Jahrhunderts baute der Baron von Oldershausen auf seinem Hof in Förste eine eigene Kapelle und hielt sich einen eigenen Prediger, der ein eigenartiger Mann gewesen sein muss. Denn er soll sich seinen eigenen Sarg schon zu Lebzeiten anfertigen lassen haben mit der Aufschrift: „Oh, wie sanfte wird’ ich rasten in diesen schlichten Tannenkasten. Daran keine Farbe prahlet, den kein Tischler hat vermahlet, der mit Spänen angefüllt, der nur 18 Groschen gilt.“

Die sogenannte Totenfeier fand immer eine halbe Stunde vor dem Gang zum Friedhof statt. Übrigens waren Beisetzungen sonntags auch möglich. Zwei Beisetzungen am selben Tag war ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Vorm Losgehen servierte man den Trägern und dem Kutscher Kaffee und Kuchen. Im Anschluss bot man eine Zigarre und ein Schnäpschen.

Der Pastor hielt im Hausflur, wo der Tote aufgebahrt war, eine Trauerandacht. Alle nahen Verwandten nahmen daran teil. Der Leitfaden seiner Predigt basierte eigentlich immer auf dem Konfirmations- oder Trauspruch des Verstorbenen. Vielfach schlug er auch die Bibel an einer beliebigen Stelle auf und verlas den dort gefundenen Text. Am Ende der Trauerfeier sprach er immer den üblichen Spruch: „Wohlauf, wohlan zum letzten Gang. Der Weg ist kurz, die Ruh’ ist lang.“ Ein anderer Ausspruch: „Wohlan, wohlauf! Keine Bleibe ist in diesem Erdenhaus!“

Bevor der Sarg auf den Wagen geschoben wurde, betete der jüngste Träger das „Vaterunser“ und las einen Gesang bzw. Choral, der durch beliebiges Aufschlagen aus einem der Leiche unter dem Kopfkissen des Sterbebettes gelegten Gesangbuches ermittelt wurde. Sitte war auch, dass bei Kindern die Mitschülerinnen Blumen in den Sarg legten. Das ist auch vom Tod der kleinen Tochter des Dorflehrers Kabus bekannt. Kindersärge waren weiß.

Grabgestaltung Mitte der 50er Jahre.
Grabgestaltung Mitte der 50er Jahre. © Archiv Helga Häusler

Zur angesetzten Uhrzeit der Beerdigung, normalerweise um 15 Uhr, versammelten sich die Trauergäste vor dem Hause. Der Pferde-bespannte schwarze Leichenwagen fuhr vor. Die Pferde waren nicht immer dieselben. Es waren zuweilen die Pferde des jeweiligen Ackermanns oder die eines großen Bauernhofs. Sie waren gestriegelt und die Hufe mit schwarzer Schuhcreme eingestrichen. Kein Makel zeigte das schwarze Ledergeschirr. Das Gespann für den Leichenwagen stellte der eigene Hof oder der Pflugmann der betroffenen Familie. Der Kutscher, meistens der Ackermann, trug schwarze Trauerkleidung, einen Zylinder und Handschuhe. Einige Kränze, die bereits am Vormittag im Trauerhaus abgegeben worden waren, legte man dekorativ auf den Totenwagen. Alle weiteren Kränze trugen die Trauergäste den langen Weg vom Trauerhaus zum Friedhof in Nienstedt. Ein Kranz mit Schleife kam den sehr nahen Verwandten zu. Für alle weiteren genügte ein Kranz ohne Schleife. Gestecke, wie sie heute bekannt sind, gab es nicht.

Vor dem Sarg gingen die Vereine und Verbände. Danach folgte der Pastor vor dem Totenwagen. Die Träger gingen neben dem Wagen. Dahinter gruppierten sich die Trauergäste in der folgenden Reihenfolge: Ehepartner, Kinder, Geschwister, weitere nahe Verwandte, Nachbarn und Bekannte. Diese Folge war ein ungeschriebenes Gesetz.

Wenn der Totenwagen über die Sösebrücke zwischen Nienstedt und Förste fuhr, läuteten die Kirchenglocken; sie begleiteten den Trauerzug bis zum Friedhof. Weil noch keine Leichenhalle vorhanden war, hielt der Pastor seine Predigt am Grab. Fast immer war es eine kurze Biografie aus dem Leben des Verstorbenen. Bis zum Bau der Friedhofskapelle war es üblich, dass die Verstorbenen von Nachbarn oder Vereinsmitgliedern zu Grabe getragen wurde. Diese Sitte hat sich bis in die heutige Zeit bewahrt.

Gab es hierfür keine Möglichkeit, stand eine fest angestellte Trägerschaft zur Verfügung. Nach der Beisetzung fanden sich Verwandte, Pastor und Nachbarn zum sogenannten Leichenschmaus im Trauerhaus ein.

„Das Fell versaufen“

Im Volksmund hielt sich dafür die pietätlose Redensart „das Fell versaufen“. Man reichte Kaffee, Zuckerkuchen oder Semmel. Die Träger und Kutscher waren zur Kaffeetafel nicht eingeladen.

Wie viel Trauer muss es sein? Das Tragen schwarzer Trauerkleidung nahm man sehr genau. Mindestens das Trauerjahr musste eingehalten werden. Besonders streng hatten die Witwen und Witwer sowie Verwandte ersten Grades diese Vorschrift zu beachten. Auch durften sie während dieser Zeit an keiner Festlichkeit teilnehmen. Helle Kleidung ließ man bei der Reinigung Vollmer in Osterode dunkel einfärben. Verwandten zweiten Grades war das Ablegen der Trauerkleidung bereits nach sechs Wochen gestattet. Männer kleideten sich dunkel oder trugen eine schwarze Armbinde. Für Kriegerwitwen war die Zeit der Trauer sogar gesetzlich geregelt. Mündlich überliefert ist auch, dass, wenn auch selten, Trauerschmuck mit schwarzen Steinen getragen wurde. Weiße Perlen ließ man auch als Trauerschmuck gelten.

Am Sonntag nach dem Begräbnis war es Sitte, dass die Angehörigen den Gottesdienst besuchten. Der Verstorbene wurde dann „abgelesen“, also der Sterbefall der Gemeinde mitgeteilt. Abergläubisch sagte man: Wenn ein Toter über den Sonntag liegt, also noch nicht bestattet ist, zieht er einen Lebenden nach. Oder schlägt man (örtlich gemeint) gedanklich ein Dreieck vom Sterbehaus, so folgen zwei weitere Sterbefälle innerhalb des Dreiecks. Älteren Menschen in Förste und Nienstedt ist dieser Aberglaube noch heute geläufig.

Der Totenwagen stand früher im Förster Spritzenhaus. Die Unterhaltung und Pflege oblag der Gemeinde Förste. Der Gemeindediener Töpperwien war dafür zuständig. Den Totenwagen, das alte Spritzenhaus und den Gemeindediener gibt es nicht mehr. Auch gehört ein langer Trauerzug von Förste nach Nienstedt der Vergangenheit an. Diese alte Tradition übernimmt heute das Fahrzeug eines Bestatters. Dieser übernimmt auch fast alle Formalitäten. Mit Inbetriebnahme der Friedhofskapelle/Leichenhalle gibt es seit 1964 auch keine Aufbahrungen im Haus des Verstorbenen mehr. Die Angelegenheiten mit dem Tod werden den Angehörigen weitgehend abgenommen.

Auch haben die Feuerbestattungen Einzug gehalten, obwohl sie aus religiösen Erwägungen umstritten waren. Erst 1911 wurden Feuerbestattungen per Gesetz in Preußen zugelassen. Menschen, die laut Beamtendeutsch „keiner Kirche usw. zugehörig“ sind, werden auch auf unserem kirchlichen Friedhof bestattet. Die Trauerreden von freien Predigern und professionell ausgebildeten Trauerrednern ersetzen dabei den Pastor. Auch Selbstmörder finden die letzte Ruhestätte auf dem Nienstedter Friedhof.

Glocke stürzt aus Halterung

Im Oldershäuser Gutspark liegt die 1869/70 von Franz von Oldershausen erbaute Begräbniskapelle. Eine im Innern der Kapelle angebrachte Sandsteintafel – leider nicht mehr lesbar – soll von der Stiftung zu Ehren der verstorbenen Gattin des Barons, die amerikanische Gräfin Julie von Vultee, berichten. Als sie 1869 starb, wurde sie zunächst auf dem Nienstedter Friedhof beigesetzt, um dann 1870 in der ihr zu Ehren erbauten Begräbniskapelle zur letzten Ruhe gebettet zu werden. Danach sind noch acht Erwachsene und ein Kind beigesetzt worden. Als die letzte Beisetzung 1963 erfolgte, läutete man nach der Trauerfeier noch einmal die in dem kleinen Türmchen über dem Portal angebrachte Glocke. Währenddessen stürzte sie aus der Halterung ohne jemandem zu verletzen. Heute wird sie im Dorfmuseum aufbewahrt. Seit 2002 steht die Kapelle unter Denkmalschutz.

Das Mausoleum von Oldershausen im Oldershäuser Gutspark.
Das Mausoleum von Oldershausen im Oldershäuser Gutspark. © Archiv Helga Häusler

Pastor Wicke (1975 bis 2011) schreibt in dem Protokoll der Kirchvorstandssitzung vom 12. Dezember 1986: „Es gibt eine Skizze über die ehemalige Pastorengruft, die sich unter dem Kirchturm befindet, in der Chronik von Pastor Martini (1948 bis 1962), geschrieben in den 1950er Jahren.“ Die alte Pastorengruft musste dem Kirchenumbau in den Jahren 1987/1989 weichen. „Das dicke Mauerwerk und Gewölbe sind während der Bauphase ein großes Hindernis gewesen“, berichtet Dieter Rosenkranz, seinerzeit Kirchenvorstands-Vorsitzender.

Noch bis ins 20. Jahrhundert ließen die Bewohner von Marke ihre Toten in Kalefeld bei der Weißenwasserkirche bestatten. Besonders bei Wind und Wetter war die Überführung auf den kurvenreichen, oft steilen und holprigen Straßen des Westerhöfer Waldes mit Pferd und Wagen gefährlich. Ein Zeitzeuge erzählt: „So ist es tatsächlich passiert, dass der Sarg vom Wagen rutschte, sich der Deckel öffnete und der Tote herausfiel. Mein Chef und ich waren zu Tode erschrocken. Aber wir brachten alles wieder in Ordnung, sodass wir mit einem unversehrten Sarg in Kalefeld ankamen. Über das Malheur haben wir eisern geschwiegen – bis heute.“

Die über Jahrhunderte währende Tradition der Beerdigung vom Haus des Verstorbenen aus ging mit dem Bau der Friedhofskapelle 1964 zu Ende. Vor allem der stark angestiegene Straßenverkehr, den die Trauerzüge stauten, ließ diese Form nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Auch die alten Trauersitten werden kaum noch gepflegt, weil sie größtenteils in Vergessenheit geraten sind.