Osterode. Tabuthema Tod: Im dritten Teil unserer Bestattungs-Serie beleuchtet Autorin Rita J. Sührig die Themen Trauerfeier und Beisetzung.

„Im Umgang mit den Toten zeigt sich die Kultur eines Volkes“ (Perikles 490-429 v. Chr.). Jede Kultur hat ihre eigenen Bestattungsrituale. In den letzten Jahren ist ein Wandel der Bestattungskultur – nicht nur in Deutschland – zu beobachten. Erst seit 200 Jahren werden Tote auf Friedhöfen beigesetzt. Jahrhundertelang hatte die Kirche das „Bestattungsmonopol“, vermittelte Trost, bestimmte die Rituale und stellte den Kirchhof zur Verfügung. Nach katholischer Lehre galt der Friedhof als geweihter Ort. Der Protestantismus brachte auch eine Reform des Bestattungswesens. Durch die Industrialisierung wuchsen die Städte und erforderte Friedhofsreformen vom Staat, was vor ca. 200 Jahren das kirchliche Bestattungsmonopol aufweichte.

Ende des 19. Jahrhunderts entstand das Bestattungsgewerbe und entwickelte sich mehr und mehr zu einer weltlichen Bestattungskultur.

Bestattung: Jeder entscheidet selbst

Auch in Deutschland lebende Muslime haben ihr eigenes Netz von Bestattungsunternehmen aufgebaut. Wie jemand „unter die Erde kommt“ entscheidet er oder sie per Verfügung selbst. Oder Menschen aus dem Familien- oder Freundeskreis oder Vertreter der Behörden übernehmen die Entscheidung. Schon in der Antike gab es die Feuerbestattung. Doch sie galt als heidnischer Brauch und war per Dekret von Karl dem Großen 800 n. Chr. unter Strafe verboten.

Die steigenden Zahlen der Feuerbestattungen heute verdeutlichen auch hier den gesellschaftlichen Wandel. 1978 fand in Thüringen die erste Leichenverbrennung in einem Krematorium statt.

Friedhöfe sind Spiegelbild der Gesellschaft

Die Zahl anonymer Bestattungen stieg in den 1990er Jahren. Als preiswerteste Bestattungsform stellt sich hier die Frage nach einem möglichen Zusammenhang steigender Armut. Da die gesetzlichen Krankenkassen im Todesfall kein „Sterbegeld“ mehr auszahlen, ist für viele eine Beerdigung im herkömmlichen Sinne nicht mehr bezahlbar. „Ich muss für meine Beerdigung sparen“, ist zu hören. Man will seinen Angehörigen, die vielleicht weit entfernt leben, keine finanzielle Last sein und verzichtet so auf eine tradierte Bestattung.

Und so sind auch die Friedhöfe ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Da gibt es Erd- und Urnenwahlgräber, Reihengräber und alternative Formen wie z.B. Baumgräber. Hier wird die Aschekapsel im Wurzelbereich des Baumes vergraben. Dann gibt es Urnengemeinschaftsanlagen – mit und ohne Namensnennung – oder die Beisetzung in einem Kolumbarium. Hier wird die Urne, meist für die Dauer von 20 Jahren, sichtbar in einem Gebäude abgestellt. Der Vorteil: die Urne kann mitgenommen werden, falls die Angehörigen umziehen sollten. Außerdem entfällt der Pflegeaufwand.

See, Weltraum, Diamant: Mehr alternative Bestattungsformen

In Deutschland ist eine Zunahme alternativer Bestattungsformen zu verzeichnen. Hierunter fällt auch die Seebestattung, wobei die Urne an einem bestimmten Ort im Meer versenkt wird.

Bei der „Weltraumbestattung“ wird die Asche des Verstorbenen in einem Gefäß in die Erdumlaufbahn gebracht. Dann gibt es den „Aschediamant“, der aus gepressten Teilen der Asche gewonnen wird und je nach Wunsch der Angehörigen zu einem Schmuckstück verarbeitet wird. Die restliche Asche muss bestattet werden.

Bestattungsrecht: Wandel noch nicht abgeschlossen

Das Friedhofs- und Bestattungsrecht hat in den letzten Jahren eine Liberalisierung erfahren und der Wandel ist noch nicht abgeschlossen. Zur Tradition des Abschiednehmens gehört die Trauerfeier. Hier erweist man dem Verstorbenen „die letzte Ehre“. Heute können Angehörige und Freunde des Verstorbenen die Trauerfeier mitgestalten. Das ist eine neue Entwicklung. Bei nicht-kirchlichen Bestattungen können Verwandte einen sogenannten „Freien Trauerredner“ beauftragen. Oder ein Angehöriger hält die Trauerrede. Häufig wird nicht-religiöse Musik gewählt.

Im kirchlichen Bereich ist eine Kombination zwischen Geistlichen und Familienangehörigen möglich, wobei z.B. der Geistliche den christlichen Teil abdeckt und das Familienmitglied den Lebensweg des Verstorbenen nachzeichnet.

Tradition vermittelt Sicherheit

Der Prozess der Säkularisierung ist unübersehbar. Dennoch sind die sogenannten „Kasualien“ weiterhin beliebt. Hier wird der Verstorbene noch einmal im Gottesdienst in den Abkündigungen namentlich genannt, manchmal in Verbindung mit dem Tauf- oder Konfirmationsspruch. Das ist insofern erstaunlich, da die Bedeutung von Kirche und die Inhalte des christlichen Glaubens rückläufig sind.

Warum also halten Menschen an der kirchlichen Bestattungsdienstleistung fest? Möglicherweise ist der Grund die Sachkompetenz, wenn es um Bestattungen geht. Darüber hinaus vermittelt Tradition das Gefühl von Sicherheit bei den vielen alternativen Bestattungsmöglichkeiten heute. Doch Gemeindezusammenlegungen, Personalrückgang und das Heranwachsen einer kirchenfernen Generation werden den Rückgang kirchlicher Bestattungen beschleunigen, wobei Säkularisierung nicht gleichzusetzen ist mit dem Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität.

Serie- Der Umgang mit dem Tod

In unserer Reihe zum Thema Tod beschäftigen wir uns mit den Aufgaben von Bestattern, den unterschiedlichen Beisetzungsmöglichkeiten, schauen einem Steinmetz und einer Floristin über die Schulter, befragen einen Vertreter der Stadt Osterode über Verordnungen, beleuchten protestantische, katholische und muslimische Beisetzungsriten und besuchen ein Krematorium.

Lesen Sie in der Serie bisher:

Tabuthema Tod- Was kostet eigentlich eine Bestattung?

Wer wird eigentlich Bestatter? Wie Menschen mit dem Tod arbeiten

Wie wir mit Toten umgehen, spiegelt auch unsere Kultur wider

Nachgefragt: Was machen eigentlich freie Trauerredner?

Interview mit Geistlichen:

Was passiert eigentlich wenn der Verstorbene aus der Kirche ausgetreten ist, die Familie dennoch ein christliches Begräbnis wünscht?

Dr. Johann-Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit Sitz in Berlin: Dann sollte man einfach das Gespräch mit seiner Kirchengemeinde suchen. Für eine seelsorgerische Begleitung stehen Pastorinnen und Pastoren immer zur Verfügung. Ob es am Ende ein christlicher Gottesdienst in einer Kirche oder eine Abschiedsfeier in einer Friedhofskapelle oder an einem anderen Ort wird, lässt sich am besten im direkten, seelsorgerischen Gespräch klären.

Nikolaus Nonn OSB (Ordines Santi Benedicti/Vom Orden des heiligen Benedikt) im Bistum Hildesheim: Hierauf kann ich nur ganz persönlich antworten, da ich weiß, das evangelische und katholische Kolleginnen und Kollegen das nicht selten anders handhaben. Tote zu beerdigen, ist nach dem Buch Tobit (Tob 1,17-20) eines der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit. Wie kann ich von der Barmherzigkeit Gottes predigen und dann selbst die Barmherzigkeit verweigern? Wenn ich gebeten werde, eine(n) Verstorbene(n) zu bestatten, ist es mir grundsätzlich egal, ob er katholisch, evangelisch oder sonst etwas ist. Natürlich werde ich das Begräbnis nicht verweigern, zumal das Begräbnis und der damit verbundene Gottesdienst eine wertvolle Trauerhilfe für die Hinterbliebenen ist.

Ulrike Schimmelpfeng, Superintendentin des Kirchenkreises Harzer Land: Wenn sich Angehörige, die Kirchenmitglied sind, eine christliche Trauerfeier wünschen, dann ist dies aus seelsorgerlichen Gründen für diese Angehörigen selbstverständlich möglich. Dabei respektieren wir aber den Willen des Verstorbenen, indem wir zum Beispiel auf behutsame Weise benennen, dass er oder sie kein Kirchenmitglied war, den Angehörigen aber eine christliche Begleitung wichtig war.

Hat sich die Art der Beisetzungsfeier im Laufe der letzten Jahre gewandelt?

Johann-Hinrich Claussen: Ein klares Ja. Bei vielen Menschen geschieht nach ihrem Tod gar nichts mehr. Das ist traurig. Häufig aber möchten Angehörige mehr an der Gestaltung beteiligt werden. Das ist sehr erfreulich. Mit dem Pastoren oder der Pastorin kann eine gemeinsame Vorstellung entwickelt werden, was eine schöne und angemessene Feier sein soll. Dabei kann die Tradition sehr hilfreich sein, sie ist aber kein Gesetz.

Nikolaus Nonn OSB erinnert sich in diesem Zusammenhang noch gut an seine Grundschulzeit: „Da wurden wir, die den Ministrantendienst versahen, für zwei Stunden vom Unterricht befreit, um beim Requiem und bei der anschließenden Beisetzung zu ministrieren. Das lief immer gleich ab, ohne große Individualität. Heute hat sich das deutlich geändert. Als Vorsteher in der Begräbnisliturgie kann ich nicht irgendwelche Floskeln aussprechen, sondern muss die Individualität der verstorbenen Person und der Hinterbliebenen thematisieren.“

Auch Ulrike Schimmelpfeng beobachtet in den vergangenen Jahren einen Wandel der Beisetzungsfeiern: „Die Tendenz von Erd- zu Urnenbestattungen gibt es ja schon seit Jahrzehnten; doch besonders durch die Coronabeschränkungen mussten Trauerfeiern zeitlich gezwungenermaßen im allerkleinsten Familienkreis gestaltet werden, was auch diese Tendenz zu Kleinsttrauerfeiern massiv verstärkt hat. Man nimmt damit Freunden, Bekannten, Nachbarn oder Arbeitskollegen die Möglichkeit des Abschieds. Angehörigen wird nicht an jener Stelle kondoliert, wo das Weinen erlaubt ist, nämlich am Grab, sondern irgendwann später beim nächsten zufälligen Treffen oder gar nicht mehr. Der Tod gehört noch weniger zum Leben dazu. Jüngere Menschen lernen nicht nach und nach, wie wir angemessen mit dem Tod umgehen können, was wir sagen und tun können. Das gesellschaftliche Wissen darüber und Gefühl dafür, wie wir uns gut von einem Menschen verabschieden können, geht verloren.

Bei der Gestaltung von Trauerfeiern kommt es vermehrt vor, dass die Vorstellungen zwischen kirchlichen Mitarbeitenden und Trauerfamilien etwas auseinandergehen, was man schön an der Musik festmachen kann. Pastorinnen und Pastoren legen meist Wert darauf, dass auch gemeinsam gesungen wird. Familien sehen sich dazu kaum in der Lage und wünschen sich viel mehr die Einspielung von Lieblingsstücken der Verstorbenen. Für beides gibt es gute Gründe. Der Gesang durch nicht ganz so nah Betroffene bei einer Trauerfeier kann stärkend sein und Hoffnung ausdrücken. Aber viele der gängigen Lieder sind nicht leicht verständlich, im Singen fühlen sich immer mehr Menschen unsicher. Da müssen auch wir als Pastoren mehr auf die verschiedenartigsten Bedürfnisse eingehen. Ich empfehle aber allen Angehörigen, das in Ruhe mit dem Pastor oder der Pastorin zu besprechen, denn wir haben viel Erfahrung mit einer angemessenen und schönen Gestaltung von Trauerfeiern.

Ich beobachte, dass in Familien zu wenig darüber gesprochen wird, welche Bestattungsart nicht nur von den Älteren, sondern auch von deren Kindern gewünscht wird, die die Bestattung dann gestalten und mit der gewählten Grabart leben müssen. Auch sehe ich es als ein Problem an, dass der Zugang zu Gräbern, um (auch) dort zu trauern, bei manchen Bestattungsformen nicht oder schwer möglich ist, wie z.B. in manchen Bestattungswäldern. Bei der Entscheidung für einen Ort einer Bestattung ist häufig nicht im Blick, wie hilfreich es sein kann, zu einem Ort hinzugehen, wo die Trauer ihren Patz hat, und von dort dann auch wieder wegzugehen.“

Gibt es heute mehr freie Trauerredner oder werden weiterhin hauptsächlich Pfarrerinnen und Pfarrer angefragt?

Johann-Hinrich Claussen: Genaue Zahlen kenne ich nicht. Wichtig ist mir aber, dass die alte Konkurrenz zwischen säkularen Trauerrednern und kirchlichen Seelsorgern schwindet. Denn wir haben gemeinsam eine große Aufgabe, deutlich zu machen, dass es wichtig ist, mit einer schönen Feier unsere Toten zu verabschieden und uns gemeinsam zu stärken.

Ulrike Schimmelpfeng: Da die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt, steigt auch die Zahl der weltlich gestalteten Trauerfeiern. Was uns zu schaffen macht: Es kommt vermehrt vor, dass nichtkirchlich eingestellte Angehörige den Verstorbenen, die einer christlichen Kirche bewusst angehören, keine christliche Trauerfeier ermöglich. Das finde ich bitter.

Pater Nikolaus Nonn: Natürlich werden heutzutage vielfach Trauerrednerinnen und Trauerredner engagiert, weil die kirchliche Sozialstation nicht mehr vorhanden ist. Und bei der kleiner werdenden Zahl der Diakone und Priester ist es in unserer Kirche schon seit geraumer Zeit üblich, dass nicht nur Priester, Diakone und andere Pastorale Mitarbeiter beerdigen, sondern dass dies von gut ausgebildeten Damen und Herren ehrenamtlich im Auftrag der Kirche übernommen wird. Ich habe keine tagesaktuellen Zahlen, aber in unserem Bistum gibt es deutlich mehr ehrenamtliche ,Laien’, die beerdigen, als es Priester gibt.

Hohe Kosten der Friedhöfe

Superintendentin Ulrike Schimmelpfeng benennt noch ein weiteres, immer größer werdendes Problem: Die hohen Kosten unserer Friedhöfe. Darum müsse sich die Gesellschaft kümmern.

„Es kann ja nicht sein, dass eine Frau ihren Mann teilweise Hunderte von Kilometern entfernt begraben muss, weil der dortige Friedhof billiger ist. Zugleich können wir als kirchliche Träger von Friedhöfen unsere Kosten auch nicht einfach beliebig senken, da uns die Kalkulation genau vorgegeben ist. Dort, wo auf Dörfern noch geringere Gebühren erhoben werden, liegt as häufig an sehr viel ehrenamtlicher Arbeit, die in die Pflege der Gesamtanlage eines Friedhofs gesteckt wird. Man kann auch einen Friedhof nicht so einfach aufgeben wie ein nicht mehr solventes Geschäft, denn die Ruhezeiten bestehen ja über 20, 25 oder 30 Jahre.“

Neu diskutieren

Dies seien Fragen, so Schimmelpfeng, die im Miteinander als Gesellschaft neu diskutiert werden müssten. „Welche Orte, welchen Platz sollen unsere Toten in unseren Städten und Dörfern haben? Zugespitzt formuliert: Sollten sich nur mehr vermögendere Menschen eine individuelle, für Angehörige erreichbare Grabstelle leisten können?“

Pater Nikolaus Nonn hat zusammen mit Dr. Nicole Stockhoff im Bonifatius Verlag das Buch „Das letzte Geleit. Wenn Laien Beerdigungen übernehmen“ (Paderborn 2021) herausgegeben. Dem Buch vorangestellt sind vier „Blitzlichter“, in denen Ehrenamtliche ihre Erfahrungen mit dem Dienst schildern.