Bad Lauterberg. Das Forschungsprojekt STAYin(g)Rural ergibt: Viele Südharzer wollen bleiben – doch gerade junge Menschen befürchten, fortziehen zu müssen.

Leben im Südharz – wer tut sich das eigentlich an? Und warum? Das wollten Franziska Lengerer und Dr. Annett Steinführer vom Johnann-Heinrich-von-Thünen-Institut herausfinden und befragten dazu im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts STAYin(g)Rural rund 1.000 Menschen.

Und was haben sie herausgefunden? Ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu der Region, die Landschaft und eine Vorliebe für das Leben auf dem Land sind Gründe, weshalb sich Menschen dafür entscheiden, im Südharz zu leben.

Anders als bei anderen Studien, so Steinführer, lag der Fokus nicht auf der Frage: Was zieht die Leute fort? Vielmehr wollte man herausfinden, weshalb die Menschen im Südharz bleiben beziehungsweise herziehen. Dazu haben die Wissenschaftlerinnen die Befragten in drei Gruppen aufgeteilt: die Gebliebenen, die Zurückgekehrten und die Zugezogenen.

Warum kehrt man in den Südharz zurück?

Dabei sind insbesondere die Zurückgekehrten interessant: Sie sind statistisch eigentlich unsichtbar, da immer nur der vorherige Wohnort aufgegriffen wird, erklärt Steinführer. Ein Mensch aus dem Südharz, der während des Studiums beispielsweise in Hamburg gemeldet war und dann in seine Heimat zurückkehrt, gelte in Statistiken also als Zugezogener – jedoch nicht so im STAYin(g)Rural-Projekt. Denn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten mehr über diese Gruppe herausfinden, die „in Abwanderungs- und Alterungsregionen als Hoffnungsträger“ gilt.

95 Rückkehrerinnen und Rückkehrer waren unter den Befragten im Südharz. Im Durchschnitt waren sie 32 Jahre alt, als sie zurückkamen. Als Gründe für ihre Rückkehr in die Heimat nannten sie familienbezogen, Wohnen und ländliches Leben.

Interessant: Die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Wohnraum gehört neben der Landschaft und der Vorliebe fürs Landleben zu den Vorzügen des Südharzes, die sowohl die Zurückgekehrten als auch die Gebliebenen und die Zugezogenen am höchsten bewerteten. Die Abweichung zwischen den drei Gruppen fiel dabei auf einer Skala von eins bis zehn, bei der zehn sehr wichtig bedeutet, äußerst gering aus und lag ungefähr bei acht.

Warum wollen Menschen den Rest ihres Lebens im Südharz verbringen?

Übrigens unterschied sich der Grad der Zustimmung zu der Aussage „Ich fühle mich nicht als Teil der Dorfgemeinschaft“ unter den Zugezogenen mit 2,7 auf einer Skala von eins bis fünf kaum von dem der Zurückgekehrten und Gebliebenen (2,4). Deutlicher fielen die Unterschiede bei der Aussage „Ich fühle mich der Region verbunden aus“: Der Mittelwert der Zugezogenen lag auf der selben Skala bei 3,7, während der der Zurückgekehrten und Gebliebenen bei 4,3 lag.

Mehr News aus Osterode und dem Südharz:

Zudem spielte das Alter eine Rolle: Man unterschied zwischen den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren, sie machten sechs Prozent der Befragten aus, den Personen in der Familienphase zwischen 30 und 65 Jahren, sie machten 51 Prozent der Befragten aus, und denjenigen, die älter als 65 Jahre oder in Rente oder Pension sind, ihr Anteil lag bei 42 Prozent der Befragten. Im Durchschnitt waren die Befragten knapp 58 Jahre alt, wohnten seit 29 Jahren in der Region und zwar zu 85 Prozent in Eigentumshäusern oder -wohnungen.

Wohneigentum beziehungsweise das Elternhaus waren übrigens mit 198 Nennungen der Hauptgrund, den die 605 Personen angaben, die für den Rest ihres Lebens im Südharz leben wollen. 123 mal wurde Lebensqualität beziehungsweise Wohlfühlen angegeben und 98 mal Heimat beziehungsweise Zuhause – wobei Mehrfachnennungen möglich waren. Weit abgeschlagen dagegen Ruhe mit 28 und Natur mit 27 Nennungen.

Warum verlassen junge Menschen den Südharz?

Tatsächlich bilden diejenigen, die den Rest ihres Lebens im Südharz verbringen möchten in allen Altersgruppen die Mehrheit: Unter den jungen Erwachsenen liegt der Anteil bei 71 Prozent, bei den Familien bei knapp 88 Prozent unter den Personen in Rente beziehungsweise Person sogar bei 94,4 Prozent.

Die Betonung liegt allerdings auf möchten, denn insbesondere den jungen Erwachsenen ist bewusst, dass sich das möglicherweise nicht realisieren lässt – zum Beispiel weil es für ihren Berufswunsch in dieser Region keine Ausbildungs- oder Arbeitsplätze gibt, wie Steinführer erläutert. Während 71 Prozent von ihnen für immer bleiben wollen, gehen nur 59 Prozent davon aus, dass sie es tatsächlich tun werden. Bei den Familien und Ruheständlern entspricht der Anteil derer, die bleiben wollen, in etwa dem von denen, die auch davon ausgehen, zu bleiben.

Passend dazu ergab die Umfrage, dass sich der Südharz als Ort für Teenager am wenigsten eignet. Mit dem Wert 2,5 auf einer Skala bis fünf schneidet der Aspekt ebenso wie Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten am geringsten ab.

In welchem Dorf im Südharz lebt man am schönsten?

Dafür scheint sich der Südharz als Ort, um Kinder großzuziehen zu eignen (3,8). Auch wurde die allgemeine Lebensqualität mit 3,7 relativ gut bewertet. Darauf folgt der Aspekt „Als Ort, um alt zu werden“ – und das obwohl die Verfügbarkeit grundlegender Gesundheitsversorgung nur bei 3,2 liegt.

Der Fokus lag auf elf Dörfern: Pöhlde, Scharzfeld, Sieber, Lonau, Bartolfelde, Osterhagen, Zorge, Wieda, Neuhof, Steina und Tettenborn mit Tettenborn-Kolonie und Nüxei. Kriterium bei der Auswahl der Orte war Steinführer zufolge, dass die Einwohnerzahl 2.000 Personen möglichst nicht übersteigt.

Was die allgemeine Lebensqualität angeht, schneiden alle elf Dörfer auf einer Skala von eins bis fünf ähnlich ab, nämlich zwischen 3,6 (Scharzfeld, Pöhlde, Bartolfelde, Zorge, Wieda und Tettenborn) und 4 (Neuhof). Fünf entspricht dabei sehr gut. Interessant: Bei der Bewertung der Qualität der Internetverbindung landete Neuhof mit 2,6 auf dem letzten Platz. In dieser Kategorie schnitt Steina mit 3,2 am besten ab. Dafür liegt Steina zusammen mit Zorge wiederum bei der Bewertung der Verfügbarkeit von Gemeinschaftshäusern an letzter Stelle (2,9). In dieser Kategorie waren Lonau und wieder Neuhof mit 3,9 die Gewinner.

Wie macht man den Südharz fit für die Zukunft?

Aber was lässt sich aus den Umfrageergebnissen ableiten? Lengerer hat in den Interviews erkannt, dass sich alle drei Altersgruppen von lokalen Politikerinnen und Politikern wünschen, dass diese die Strukturen für ein soziales Miteinander stärken, beispielsweise indem Vereine Unterstützung erhalten. Die Wissenschaftlerin am Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen betont allerdings: Ziel der Studie sei es nicht, Handlungsempfehlungen vorzugeben. Diese Aufgabe liege bei den Menschen, Organisationen und Gremien in der Region: Sie sollen aus den Erkenntnissen ableiten, was im Südharz anzugehen ist, um die Region für die Zukunft zu wappnen.

„Die Studie zeigt: Unsere Region ist lebens- und liebenswert. Nun liegt es an der Kommunalpolitik dafür zu sorgen, dass das so bleibt“, fasst Karl Buchholz zusammen. Der Unternehmer betreibt in Zorge das Familienunternehmen Hammerschmiede. Die Manufaktur und Brennerei stellt unter anderem Harzer Single Malt Whiskey her.

79 Prozent der Befragten gaben übrigens an, sich bereits in irgendeiner Form am gemeinschaftlichen Leben in ihrem Dorf zu beteiligen. In welcher Form, da unterschieden sich die Angaben je nach Altersklasse allerdings deutlich – insbesondere die jungen Erwachsenen gaben sich hierbei eher zurückhaltend. Von den 14 jungen Erwachsenen, die sich eigenen Angaben zufolge überhaupt nicht an Aktivitäten beteiligen und nicht an Veranstaltungen teilnehmen, begründeten dies acht mit Ablehnung. Fünf gaben persönliche Gründe.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Attraktivität des Südharzes ausgewirkt?

Teilt man die Befragten nach Wohnbiografie – also Gebliebene, Zurückgekehrte und Zugezogenen – auf, so waren persönliche Gründe in allen drei Gruppen am häufigsten der ausschlaggebende Grund für Nichtbeteiligung.

Zur Info: Die Umfragen fanden bereits im Jahr 2019 statt. Die Präsentation der Ergebnisse verzögerte sich aufgrund der Corona-Pandemie, so Steinführer. Aber ist nach Corona nicht alles anders? Das sieht sie nicht. Bereits seit 2014 beobachteten Wissenschaftler, dass es Menschen in ländliche Räume zieht. Dieser Trend verschärfe sich allerdings durch die Möglichkeit des Homeoffice.

Täglich wissen, was in Osterode und Umgebung passiert: Hier kostenlos für den täglichen Südharz-Newsletter anmelden!