Helmstedt. Die traditionsreiche Werkstatt im Kloster St. Marienberg musste schließen. Dennoch lädt der Dachverband dort nun zur 100-Jahr-Feier ein.
Die Konstellation ist etwas paradox. Am Freitag, 12. April, lädt die Marienberger Vereinigung für Paramentik gemeinsam mit der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz am Gründungsort der Vereinigung, dem Kloster St. Marienberg in Helmstedt, zum Festakt ein: Das 100-jährige Bestehen der Dachorganisation christlicher Textilwerkstätten soll gefeiert, ihre Zukunft erörtert werden. Doch die traditionsreiche Werkstatt des Gründungsklosters ist seit vergangenem Sommer Geschichte: Sie musste Insolvenz anmelden, die sechs Fachkräfte wurden gekündigt. Alle Webstühle stehen still.
Vor einem Jahr gab es noch ein wenig Hoffnung für die Von-Veltheim-Stiftung, die die Werkstatt trug. Stadt und Kreis Helmstedt und auch das niedersächsische Kulturministerium erklärten gegenüber unserer Zeitung, sich für den Erhalt des „Kulturgutes Paramentik“ im Kloster einsetzen zu wollen. Genützt hat es offenbar nichts. Zumindest der Werkstatt nicht.
Sie sei nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben, sagt Maria-Rosa Berghahn. Sie ist Direktorin der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK), deren Eigentum das Kloster St. Marienberg ist und die als frühere Vermieterin und Auftraggeberin zu den Gläubigern der Von-Veltheim-Stiftung gehört. Die Lage der Paramentik sei angesichts rückläufiger Mitgliederzahlen in den Kirchen, Gemeindezusammenlegungen und Kirchenschließungen insgesamt kritisch. „Zuletzt hat auch die Textilrestaurierung an der Burg Giebichenstein schließen müssen, obwohl die Kunsthochschule Halle dahinter stand“, sagt Berghahn gegenüber unserer Zeitung. „Kaum eine Werkstatt schreibt mehr schwarze Zahlen.“
Als Stiftung Öffentlichen Rechts habe auch die SBK die Werkstatt in St. Marienberg nicht retten und dauerhaft hohe Beträge zuschießen können. Berghahn spricht von Deckungslücken bis zu 200.000 Euro jährlich in Paramentik-Betrieben. Mechtild von Veltheim, die frühere Leiterin der Werkstatt in St. Marienberg, will sich zu dem Thema nicht mehr äußern. Sie sagt lediglich, dass die Von-Veltheim-Stiftung nicht am Festakt der Vereinigung für Paramentik teilnehmen werde. Die 76-Jährige sitzt gleichsam zwischen den Stühlen: Sie hat auch als Domina, also Leiterin des aus sechs Frauen bestehenden Konvents des Klosters St. Marienberg mit dessen Eigentümerin SBK zu tun.
Etwa hoffnungsvoller blickt Dr. Stefan Michel auf die Lage der christlichen Textilkunst. Der Kirchenhistoriker an der TU Dresden ist seit zwei Jahren Vorsitzender der Vereinigung für Paramentik. Noch gebe es etwa 15 Werkstätten in Deutschland, sagt Michel. Und verweist darauf, dass die Vereinigung vor 100 Jahren auch in einer Krisenzeit gegründet wurde: Die wirtschaftliche Lage war angespannt, die Landeskirchen stellten sich nach dem Ende des Landesherrlichen (also fürstlichen) Kirchenregiments neu auf, das Geld in den Gemeinden war knapp. Die Leiter zweier traditionsreicher Paramentenwerkstätten, Neuendettelsau in Franken und St. Marienberg in Helmstedt, waren schon länger in einen Austausch getreten. 1862 hatte Domina Charlotte von Veltheim den „Niedersächsischen Paramentenverein“ gegründet. Auf dem Paramententag 1924 in St. Marienberg wurde nun die gesamtdeutsche „Marienberger Vereinigung für evangelische Paramentik“ ins Leben gerufen. Seit 2014 agiert sie konfessionsübergreifend.
Es sei „tragisch“, dass die namensgebende Werkstatt der Vereinigung nicht mehr existiere, sagt Michel – auch weil sie einer der ganz wenigen Ausbildungsbetriebe von Paramentikern gewesen sei. Dennoch sei man froh, dass die SBK das Gründungskloster für die Jubiläumstagung zur Verfügung stelle und wolle dabei auch nach vorne blicken. Vor 100 Jahren habe die Paramentik auch einen künstlerischen Neubeginn erlebt. „Die Neue Sachlichkeit hielt Einzug in die Paramentengestaltung“, sagt Michel. Führende christliche Künstler wie Rudolf Schäfer hätten sich eingebracht.
Die Zusammenarbeit mit Künstlern könne auch heute wieder eine Perspektive bieten. Paramentiker könnten ihre besondere Expertise in Stick- und Webtechniken nutzen und auch beratend tätig werden. „Textile Schwarzmalerei? Zukunftsperspektiven für den Pfarrtalar“, heißt einer der Vorträge, die am Freitag gehalten werden. Allerdings, räumt Michel ein, könnten Talare heute auch bei Versandhäusern bestellt werden. Bei liturgischen Vorhängen etwa für Altare setzten manche Gemeinden auf ihre Patchworkgruppe.
Und wie geht es mit dem Kloster St. Marienberg ohne die Paramentenwerkstatt als lebendigem Herzstück weiter (die Damen des Konvents wohnen nicht im Kloster)? Darüber habe man vor wenigen Wochen bei einem Workshop mit Vertretern aus Helmstedt und der Region, aber auch des Konvents gesprochen, sagt SBK-Direktorin Maria-Rosa Berghahn. „Als Eigentümerin sind wir an einer lebendigen Nutzung dieses wunderbaren spirituellen Ortes interessiert. Konsens ist, dass wir St. Marienberg stärker zur Stadt hin öffnen wollen.“ Möglicherweise könne es als Außenstelle des Standesamtes dienen oder als Ort für Hochzeitsgesellschaften. Veranstaltungen könnten dort stattfinden, auch mobile Gastronomie sei denkbar.
Die Tradition der Paramentik solle ein Aushängeschild des Klosters bleiben. „Weiterbildung und Seminare kann ich mir dort vorstellen“, sagt Berghahn. Im Kloster gebe es eine Sammlung jahrhundertealter Textilien, auch das Werkstatt-Inventar sei noch vor Ort. Es sei allerdings Eigentum der insolventen Von-Veltheim-Stiftung, „und die Verhandlungen darüber sind nicht ganz konfliktfrei“. Aber man sei im Gespräch.
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