Braunschweig. Oscar Wildes provokanter Romanklassiker wird auf der Studiobühne des Staatstheaters zum Kammerspiel verdichtet – funktioniert das?
Der Schönheitswahn ist nichts Neues unter der Sonne. Nur dass er im 21. Jahrhundert via Social Media alle Welt infiziert. Und von der Wunschvorstellung zur Vollendung geführt wird, mit geraden Nasen und vollen Lippen von Hollywood bis Teheran, sofern man sich Botox und Co leisten kann. Das ist nur folgerichtig. Wie sagt Lord Henry so schön? „Für mich ist Schönheit das Wunder der Wunder. Nur die Toren urteilen nicht nach dem Äußeren. Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare.“
Lord Henry hat das jetzt nicht getwittert oder so. Er raunt es im London des späten 19. Jahrhunderts dem bildhübschen Dorian Gray zu, der gerade Henrys Freund, dem Maler Basil, Modell sitzt. Der heranwachsende Dorian ist verzaubert von der rhetorischen Brillanz des Dandys, von seinen Schmeicheleien und Verlockungen. Und von seiner, Dorians eigener Schönheit, die ihm aus Basils Gemälde entgegenstrahlt.
Provokant, homoerotisch, contra die viktorianische Moral
„Ja, Mr. Gray, die Götter haben es gut mit ihnen gemeint“, flüstert Lord Henry. Dorian tauge zur Symbolfigur eines „neuen Hedonismus“. Wer jung und schön sei, habe das Recht und die Verpflichtung, all seine Möglichkeiten und Leidenschaften rücksichtslos auszuleben. Attraktivität stehe über der Moral. Allerdings nur für begrenzte Zeit. Jugend, Schönheit und die Macht, die sie verleihe, seien eines. „Es zählt in der Welt nichts als Jugend!“. Dorian ist entflammt und bestürzt. Ach, wenn doch nur sein Porträt alterte und nicht er selbst! „Ich gäbe meine Seele als Preis dahin.“
So beginnt Oscar Wildes Klassiker „Das Bildnis des Dorian Gray“. Der provokante, mit einem raffinierten Twist aufwartende, latent homoerotische, das viktorianische Moralkorsett sprengende Roman trug letztlich zu Wildes Verurteilung wegen Unzucht im düsteren Zuchthaus von Reading bei. Bald nach seiner zweijährigen Haft, im November 1900, starb der hochbegabte Dandy, Dramatiker und Dichter Wilde gebrochen im Alter von 46 Jahren.
„Dorian Gray“ – komprimiert auf 90 Minuten
Der „Dorian Gray“ zeigt ihn auf seinem schöpferischen Höhepunkt. Mit einem ganz zeitgemäßen Thema: dem Schönheitskult und seinen Abgründen. Auf der Studiobühne des Kleinen Hauses hat jetzt eine komprimierte Theaterfassung Premiere gefeiert, „Dorian G.“, inszeniert vom eingespielten Haus-Duo Christoph Diem (Regie) und Holger Schröder (Dramaturgie).
Sie destillieren den Stoff zu einem knappen 90-Minüter, der den Fokus ganz auf die drei Hauptfiguren setzt. Allerdings gehört die Bühne nicht Dorian (Simon Jensen), dem Maler Basil (Ivan Marković) und Lord Henry (Robert Prinzler) allein. Sie spiegeln sich überlebensgroß auf Leinwänden, die den Spielraum fast schon klaustrophobisch zustellen. Neben Großaufnahmen der Schauspieler werden farbsatte Bilder von Blumen, spritzenden Farben, gelegentlich auch beklemmende Schwarz-Weiß-Szenen projiziert.
Robert Prinzler gibt den Wortführer des Hedonismus
Das konzentrierte Gesprächsstück erfährt so eine starke, allerdings auch aufdringliche sinnlich-mediale Erweiterung und Verdichtung. Dorian alias Jensen prangt immer wieder eingefroren in Selfie-Posen auf den Leinwänden, während Lord Henry oder der Maler Basil mit ihm parlieren. Das Setting ist zeitlos bis gegenwärtig. Der Schönlings-Look des gelockten Adonis (Bühne und Kostüme: Florian Barth) erinnert zwar an die 80er Jahre. Aber Oberlippenbärte kommen ja aktuell wieder in Mode.
Smartphones als unmittelbare Insignien der Gegenwart werden auf der Bühne allerdings nicht befingert. Jensen, Marković und Prinzler parlieren textsicher und ausdrucksstark miteinander, oft packend, manchmal expressiv übers Ziel hinausschießend. Prinzler verkörpert aasig gewandt den Zyniker und Wortführer des Hedonismus Lord Henry, Marković mit offenherziger Inbrunst seinen Freund und Gegenspieler, den Maler und Moralisten Basil, Jensen erst rehäugig, dann auffahrend selbstherrlich den Dorian Gray, der Henrys Maximen auslebt.
Ästhetik versus Moral
Der Grundkonflikt Ästhetik versus Moral und die gegensätzlichen Typen werden gut herausgearbeitet, die Wendungen von Wildes Plot allerdings nur angerissen, indem Jensen, Marković und Prinzler abwechselnd in die Erzählerrolle schlüpfen. Das flutscht in Diems Regie flüssig. Allerdings wird die zunehmende Selbstherrlichkeit Dorians, der schließlich über Leichen geht, im kleinen Rahmen der Studiobühne mehr referiert als ausgespielt, ebenso wie seine wachsende Paranoia vor den Folgen seines Tuns. Auch die finale Pointe von Wildes Roman verschenkt Diems Bühnenfassung ein wenig, weil zwar viel mit Projektionen, aber eben nicht mit dem einen magischen Bildnis des Dorian Gray operiert wird.
Am Ende gibt es kräftigen Applaus für eine kompakte, ambitionierte, sprachlich und darstellerisch starke, zuweilen manierierte Kammerversion eines Jahrhundertromans.
Weitere Aufführungen am 22. März sowie im April und Mai 2024
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