Helmstedt. Helmfest bietet geschassten Wacken-Fans Unterschlupf. Für das Festival beste Werbung. Bands und Metalheads sehen enormes Potenzial.

Der Volksmund sagt, dass eines Mannes Schrott eines anderen Gold ist. Im Fall des Helmfests ist Wackens Schlamm Büddenstedts Gold. Denn die Schlammschlacht für eigentlich 85.000 Menschen in Schleswig-Holstein ließ etwa 30.000 Menschen ohne musikalische Heimat. Das wiederum führte, laut Social Media Auftritten der Feier auf dem Büddenstedter Acker, zu einer Anfragenwelle, auf die das Team reagierte: Der Verein um das Ehepaar Rebecca Börner-Pach und Sebastian Pach stellte am 1. August spontan 100 weitere Tickets zur Verfügung. Die gingen weg - innerhalb von Stunden. Und plötzlich war die Zahl der verkauften Wochenendtickets vierstellig, während in Wacken Pioniere der Bundeswehr anrückten, um eine ähnliche Stärke an Sanitätern, Polizisten und Presse überhaupt in Bewegung halten zu können.

Und so wuchs auch der Campingplatz hinterm Büddenstedter Friedhof um musikalische Gestrandete aus dem hohen Norden. Oder dem tiefen Süden. Sogar aus Frankreich und den Niederlanden kamen sie nach Helmstedt. Nicht ganz so weit, dennoch beachtlich, war die Anreise von Paul, Jenny, „dem anderen Paul“ und ihren Freunden. „Wir kommen aus Heidelberg und Koblenz“, sagt einer der Pauls, trotz voller Konzentration auf das intensive Match Bier Pong vor den Zelten. Dann muss Paul werfen, nämlich einen Tischtennisball in einen mit Bier gefüllten Becher, allerdings ohne Erfolg. Der andere Paul übernimmt Ball und Gespräch: „Bis Pinneberg sind wir gekommen. Dann durften wir nicht weiter.“

Marine aus Frankreich mit Esther aus den Niederlanden.
Marine aus Frankreich mit Esther aus den Niederlanden. © FMN | Niklas Eppert

Wir können ja auch unseren Horizont erweitern
Paul, aus Wacken aufs Helmfest geflohen

Sie hielten an einer Raststätte, googelten vor sich hin und kamen auf das Helmfest. „Das liegt irgendwie auf halbem Weg“, fügt Jenny an, die zu diesem Zeitpunkt in Koblenz auf das Startsignal der Pauls wartete. Die Gruppe kenne zwar nicht eine Band, die auf der gut 200 Meter von den Zelten entfernten Bühne spielt, aber das störe nicht. „Wir können ja auch unseren Horizont zu erweitern“, bemerkt einer der gerade im Bier Pong vernichtend geschlagenen Pauls und öffnet eine weitere Dose Bier. Die mittägliche Niederlage muss heruntergespült werden.

Mehr Pommes, mehr Bier

Tatsächlich spüren die Veranstalter schon an diesen Freitag, dass das Helmfest 3 anders ist, als die ersten beiden Jahre. Allein am Donnerstag gingen mehr als 90 Kilo Pommes und 40 Kilo Pulled Pork über die Theke. „Das sind Mengen, die wir eigentlich ab Freitagabend haben“, sagt die Grill- und Fritteusenbesatzung. Am Freitag wuchs der Pommesabsatz auf 150 Kilo. Das gleiche an den Getränkewägen: Einer allein hat am ersten Abend 250 Liter Bier ausgeschenkt. Der Donnerstag, der Anreisetag mit dem kürzesten musikalischen Programm, ist eigentlich der Schwächste. Im Vergleich zu den Vorjahren übertraf er alles erlebte. Die Veranstalter freut‘s. Rebecca Börner-Pach schätzt, dass die Wackensituation dem kleinen Helmstedter Bruder etwa 200 Tickets mehr eingebracht hat.

Während sich am Freitagmittag der für Festivals so typische süßliche Geruch von mit Pflanzenharz gemischtem Tabak über den Campingplatz legt, ist es vor der Bühne noch ruhig. Während die allesamt ehrenamtlichen Helfer des Festivals von Bauern aus der Umgebung besorgtes Stroh streuen, um die Schlammwüste am Rand des Camperbereichs in den Griff zu bekommen, treffen die Bands ein. Auch die haben mit dem Schlamm zu kämpfen, der ist allerdings eher etwas nervig, als ein tatsächliches Hindernis. Abgesehen von King Leoric Sänger Jens Wunder, der mit seinen Auto aus Wolfenbüttel anreiste, blieb niemand stecken. Und selbst wenn: „Wir haben vorgesorgt“, sagt Sicherheitschef Henning Zander. Zwei Radlader stünden dem Team zur Verfügung, außerdem streuten sie ja Stroh und Sägespäne. Eine Schnellbrücke, wie auf Wacken, ist das zwar nicht, die Fans in Büddenstedt quittieren die Hilfe des Sicherheitsteams bei der Anreise dennoch mit einem bierseeligen Daumen nach oben. „Wir haben schon mit so etwas gerechnet“, erklärt Zander. Im Zweifel seien auch zwei lokale Landwirte Mitglieder des Vereins.

Die Helmstedter Feuershow

Der Stimmung hinter der Bühne tut das ohnehin keinen Abbruch. Denn mittlerweile sind Kambrium eingetroffen. Ältere werden sich erinnern: Die lokale Band, die einst beim Waldbrand-Festival nachmittags auftrat. Nun ist das Waldbrand schon lang passé, Kambrium allerdings nicht. Die Jungs aus Helmstedt und Umgebung treten heute in ganz Europa auf. „Aber wenn wir hierher kommen, dann sind wir schon nervös“, sagt Martin Simon, Bassist und Sänger der Band, die ihren Stil als Epic Death Metal bezeichnet. Einfach eine Show spielen, das ginge nunmal nicht. „Da müssen wir schon auffahren. Da stehen Freunde und Familie in der ersten Reihe“, ergänzt Martins Bruder Karsten, der neben der Gitarre auch für den Gesang zuständig ist.

Wir müssen hier schon auffahren
Karsten Simon, Gitarrist von Kambrium über den Auftritt in der Heimat

Ihr Auftritt wird tatsächlich besonders: In dunkle Roben gehüllt schreiten die fünf Lokalmatadoren mit erhobenen elektrischen Fackeln unter eingespielter, tragender Orgelmusik durch die Fans in Richtung Bühne. Dort angekommen zünden sie blaue Rauchfackeln und nehmen die Kapuzen ab. Ihre Gesichter sind mit Schaltkreisen bemalt, eine blaue Lichtstimmung hüllt die Bühne ein. Dann ein einzelner Feuerstoß aus gleich zwei Flammenwerfern. Die Gestalten heben die Fäuste in den Abendhimmel. Die Menge jubelt ob des stimmungsgeladenen Auftritts, der fließend in den ersten Song übergeht. Harte Riffs, Screams, die mit epischen Gesang wechseln und rasendes Licht in wechselnden Farben umgeben Kambrium. Danach tritt Martin Simon ans Mikrofon. „Ach Mensch! Helmstedt!“, sagt er und lacht. Er wirkt, als würde Spannung von ihm abfallen. „Schön wieder hier zu sein!“ Derweil wird bei Schlagzeuger Adrian Hemet die Technik neu geregelt. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Die Simon-Brüder unterhalten die Fans, Freunde und Familie in der Heimat.

Helmstedt international

Auch wenn die familiäre Atmosphäre des 1100 Besucher starken Festivals von den Anwesenden geschätzt wird, ist es bei weitem nicht provinziell. Bands aus Tschechien und Österreich sind da, aber auch die Fans kommen aus der Ferne. Marine zum Beispiel aus Nantes in Nordwestfrankreich angereist, Freundin Esther aus der Nähe von Den Haag im Schlepptau. Die Französin ist wegen dem Headliner, also der Hauptattraktion, hier: Firewind. Denn die griechische Kombo um den Wolfsburger Sänger Herbie Langhans weiß, was sie tut.

Firewind-Sänger Herbie Langhans.
Firewind-Sänger Herbie Langhans. © FMN | Niklas Eppert

Langhans ist mit seinen 30 Jahren Bühnenerfahrung eine mitreißende Kraft auf der Bühne. Der Mikrofonständer ist für ihn mehr Werkzeug als schnödes Hilfsmittel, wenn er ihn um sich wirbelt, auf die Boxen springt und die Fans mit seinen Fäusten anspornt. „Ein anderes Level“, raunen manche Bands hinter der Bühne. Marine und Esther sind begeistert. Dass sie sich mal auf einen Acker hinter Büddenstedt verirren, hätten sich allerdings auch nicht gedacht. Wenn Langhans allerdings mit ausgebreiteten Armen am Rand der Bühne steht, während sein Gitarrist Kostas Karamitroudis, aka Gus G, ein kraftvolles Solo aus den Saiten zieht, gerät der Ort in Vergessenheit.

Adlige Unterstützung für das Helmfest

Am Samstag dann führen Rebecca Börner-Pach und Henning Zander einen Mann über das Gelände, der nicht so recht in das Szenario passen will. Der ältere Mann in grünem Sacko, mit adrett gegelten gräulichen Haaren und Einstecktuch ist Günther Graf von der Schulenburg, der Eigentümer des Ackers. Er wollte sich selbst ein Bild machen, sagt er. „Nun ist das nicht ganz meine Musik“, erklärt er schmunzelnd. „Ich bin aber sehr begeistert vom Engagement hinter dem Projekt.“ Helmstedt sei nicht allzu reich an großen Kulturveranstaltungen, da sei das Helmfest gerade willkommen. Vom Vermieten seines Eigentums möchte er nicht sprechen: „Es war eher ein kleiner Unkostenbeitrag, den die Herrschaften gezahlt haben.“ Engagement, sagt der Graf, müsse unterstützt werden.

Günther Graf von der Schulenberg mit Henning Zander und Rebecca Börner-Pach.
Günther Graf von der Schulenberg mit Henning Zander und Rebecca Börner-Pach. © FMN | Niklas Eppert

Das Helmfest war ausverkauft. Auch wegen Wacken, darüber ist sich der Verein dahinter bewusst. Dass Wachstumspotenzial vorhanden ist, liegt für Bands und Besucher aber auf der Hand, zumal sich die Szene vernetzt. Fabian Rudloff vom Rockharz, das mitterweile 25.000 Menschen anzieht, und Marco Spiller von Rock in Rautheim, wo Szenegrößen wie Udo Dirkschneider, Rage und Grave Digger auf der Bühne stehen, ließen selbst Stände auf dem Helmfest aufbauen. Sie profitieren gegenseitig davon, sagen sie.

„Die Größe reicht uns aber erstmal“, sagt wiederum Rebecca Börner-Pach. Die nächsten Jahren soll es bei etwa 1.000 Wochenendtickes bleiben. Der Verein hinter dem Helmfest ist froh, wenn sich das Festival in seiner aktuellen Größe trägt. Mit mehr Besuchern würden die Erwartungen größer, damit auch die Bands und deren Gagen. Was aber die mittelfristige Zukunft bringt, werden die kommenden Jahre zeigen. „Auch Wacken hat mal klein angefangen“, ist ein Satz, der Backstage oft zu hören ist. Auch wenn Vergleiche zum Szeneprimus sich verböten, freut die Veranstalter und ihre ehrenamtlichen Helfer das Feedback der Beteiligten. Einen Vorteil gegenüber Wacken hat das Helmfest aber bereits jetzt: Wegen des Regens musste es noch nie ausfallen.

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