Braunschweig. Ein Neonazi will in einem Haus an der Frankfurter Straße ein Tattoo-Studio eröffnen. Nachbarn sind beunruhigt, Gegner formieren sich.

Tausende Menschen demonstrierten in den vergangenen Wochen in Braunschweig, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Derweil wird im Westlichen Ringgebiet ein Ladengeschäft renoviert in einem Wohnhaus, das seit Jahren argwöhnisch beobachtet wird. Entsteht dort ein neuer Anlaufpunkt für die rechte Szene? Unbekannte kamen bereits zweimal zum Hausbesuch, zertrümmerten Scheiben. Die Nachbarschaft muss sich auf stürmische Zeiten gefasst machen.

Tattoo-Shop in einem berüchtigten Wohnhaus in der Frankfurter Straße in Braunschweig - der Verwalter ist ein früherer Neonazi-Funktionär

Der Bauherr ließ einst hoch oben am Haus in der Frankfurter Straße die stolze Inschrift „Ohn Gottes Gunst - all Baun umsonst“ anbringen. Heute ist die kaum noch zu erkennen unter dem Schmutz auf der Fassade. Der Blick fällt auf Holzplatten, die an den beiden eingeschlagenen Fenstern des Ladengeschäftes im Erdgeschoss befestigt wurden. Darauf die geschmierten Wörter „Oi“ und „BS Skins“. Zersplitterte Scheiben einerseits, Graffiti andererseits - klare Botschaften von Gegnern an die Mieter und umgekehrt.

In einem der Läden in diesem Haus an der Frankfurter Straße soll der Tattoo-Shop eröffnen, vermutlich im Sommer. Gegner befürchten, damit entsteht ein Anlauf- und Brennpunkt für die rechte Szene.
In einem der Läden in diesem Haus an der Frankfurter Straße soll der Tattoo-Shop eröffnen, vermutlich im Sommer. Gegner befürchten, damit entsteht ein Anlauf- und Brennpunkt für die rechte Szene. © FMN | Hendrik Rasehorn

Das Haus gilt als Heimstätte für Rechtsextremisten, der Hausverwalter ist Johannes W.. Dieser war bis 2022 Vorsitzender der Partei „Die Rechte“, Kreisverband Hildesheim/Braunschweig, und fungierte als Anmelder von Demos und Infoständen. Der Rechtsextremismus-Experte David Janzen bezeichnet Johannes W. als einen der führenden Köpfe in der regionalen Neonazi-Szene. Gegen W. und fünf andere ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen eines Brandanschlags aufs Antifa-Café 2021. Ein weiterer Hausbewohner ist Lukas L., der rund um den Frankfurter Platz an „Schutzzonen“-Patrouillen beteiligt gewesen sein soll.

Gegen Tätowierer Lasse R. hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden Anklage erhoben

Im Erdgeschoss des Wohnhauses gibt es zwei leerstehende Läden, einer war einst ein Kiosk. Der Rechtsextremist Lasse R. will mit seinem Tattoo-Studio „38Ink“ aus dem Östlichen Ringgebiet weg – und in die Frankfurter Straße ziehen. Dienstag veröffentlichte er auf Instagram ein Foto, das ihn bei Renovierungsarbeiten zeigt. Auf einem anderen Foto (Bildunterschrift: „Wieder mal unterwegs fürs Studio“), das unserer Redaktion vorliegt, sind Johannes W., Lukas L. zusammen mit Martin Kiese zu sehen. Dieser ist Landeschef der Partei „Die Rechte“ und wurde kürzlich vom Amtsgericht Braunschweig wegen Volksverhetzung („Judenpresse“, „Judenpack“) verurteilt.

Auch Lasse R. ist hinlänglich gerichtsbekannt. Gegen ihn läuft unter anderem ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. R. präsentierte sich in der Vergangenheit mit seiner – offiziell aufgelösten – Kampfsportgruppe „Adrenalin 381“ als militanter Neonazi. Immer dabei: Pierre B., verurteilt als „NO-Schläger“, Teilnehmer von „Schutzzonen“-Patrouillen. Gegen R. und B. hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden Anklagen erhoben wegen Landfriedensbruchs. Es geht um die Ausschreitungen rund um den rechten „Trauermarsch“ 2018 in Chemnitz. Mehrere Zeugen haben im ersten Prozess vor dem Landgericht Chemnitz R. und B. als Haupttäter identifiziert. B. fehlte auf der Anklagebank aufgrund seines Aufenthalts in der Psychiatrie. Sein Verfahren wurde abgetrennt. Der Prozess gegen R. sollte in der zweiten Hälfte 2023 stattfinden, wurde aber wegen eines Richterwechsels geschoben.

Das Tattoo-Studio in Braunschweig soll in der Nähe vom linken Kulturzentrum Nexus entstehen

Seit sich das Gerücht vom Tattoo-Studio verbreitet, sind die Anwohner in Sorge. Akteure vernetzen sich nun untereinander. Zu einem ersten Treffen vor wenigen Tagen wurden Stadt und Polizei dazugeladen. Deren Vertretern ist daran gelegen, die Gemüter zu beruhigen. Die Polizei hat bei den Rechtsextremisten eine Gefährderansprache durchgeführt und beobachtet das Treiben. Währenddessen schreiten Unbekannte zur Tat. Ende Februar wurden erstmals am Haus Scheiben eingeschmissen, eine weitere Sachbeschädigung ereignete sich in der Nacht vom 20. auf den 21. März. Da entwickelt sich offenbart eine brisante Mischung, unter der am Ende alle Anwohner leiden könnten.

Vor wenigen Tagen fanden Anwohner einen Flyer in ihren Briefkästen. Unter dem Titel „WRG (gemeint: Westliches Ringgebiet) nazifrei – kein Nazi-Tattoo-Studio am Frankfurter Platz“, stand dort zu lesen: Es wird befürchtet, der Tattoo-Shop könnte sich zum bundesweiten Vernetzungspunkt von Rechtsextremisten entwickeln. Daher werde man sich dagegen „entschieden wehren“. Für die linke Szene ist das Projekt eine eindeutige Provokation – zumal einmal quer über die Frankfurter Straße das linke Kulturzentrum „Nexus“ steht. Dieses war 2022 Ziel einer Polizeirazzia. Hintergrund waren Ermittlungen wegen gewalttätiger Angriffe auf Neonazis.

Tattoo-Studio - der Hauseigentümer und sein Sohn melden sich zu Wort

Was sagt der Hauseigentümer zu dem Tattoo-Laden? Die Immobilie gehörte – zusammen mit weiteren in der Stadt – zwei Brüdern. Sie haben ihr Eigentum untereinander aufgeteilt. Das Haus in der Frankfurter Straße ist nun im Besitz des Vaters von Johannes W., einem früheren Pfarrer. Dieser gilt in Braunschweig als hochgeachtet und politisch unverdächtig. Unsere Redaktion besuchte ihn. Er berichtete, dass er zuletzt vergangene Woche vor Ort war, um den Schaden am Haus zu begutachten. Darüber hinaus zeigte er sich bei der Thematik zurückhaltend, vielleicht auch unwohl, meinte nur „nun ziehen eben neue Leute ein“, und verwies auf seinen Sohn.

Wenn das Tattoo-Studio an der Frankfurter Straße eröffnet, scheint Stress mit der linken Szene vorprogrammiert zu sein. Ums Eck liegt das linke Kulturzentrum Nexus.
Wenn das Tattoo-Studio an der Frankfurter Straße eröffnet, scheint Stress mit der linken Szene vorprogrammiert zu sein. Ums Eck liegt das linke Kulturzentrum Nexus. © FMN | Hendrik Rasehorn

Der schickte unserer Redaktion eine Stellungnahme. Er beabsichtige nicht, „einen Nazi-Kiez zu etablieren“, vom Laden würde keine Gefahr ausgehen. „Ich habe mich, ebenso wie Herr R., aus dem politischen Geschehen zurückgezogen, um mich auf mein Privatleben zu konzentrieren, wozu selbstverständlich auch Arbeit gehört“, behauptet er. Weiter kritisierte er die linke Szene, die aus dem Tattoo-Studio ein „Politikum“ mache. „Wir verstehen uns mit sehr vielen Leuten verschiedenster Herkunft im Kiez und fühlen uns hier sehr wohl.“ Seinen Vater nimmt er in Schutz, „er hat und hatte niemals etwas mit meiner politischen Einstellung zu tun und teilt diese mit Sicherheit nicht mal ansatzweise. Was er aber tut, ist, mit mir zu reden und zu diskutieren.“ Johannes W. stellte abschließend klar, „öffnen werden wir definitiv“, und bot an: „Gerne kann jeder selbst vorbeikommen, um sich ein Bild zu machen.“

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