Wolfsburg. Von Zidane bis zum Halswirbelbruch: Im Interview blickt Guilavogui auf besondere Momente seiner Zeit beim VfL Wolfsburg – und auch in die Zukunft.

Wenn am 27. Mai die Saison des VfL Wolfsburg mit dem Abpfiff der Partie gegen Hertha BSC endet, war’s das für Josuha Guilavogui. Dann endet für ihn ein langes Kapitel in der VW-Stadt. Viel ist passiert in dieser Zeit. Der Franzose schüttelte Zinédine Zidane die Hand, war von einem Mitspieler ganz besonders beeindruckt, musste den Tod seines Freundes Junior Malanda verkraften und wäre selbst beinahe im Rollstuhl gelandet. Im großen Interview mit unserer Zeitung erinnert sich der 32-Jährige an neun besondere Momente in neun Jahren beim VfL – und wirft noch einen Blick in die Zukunft.

1Wie lief Ihr erstes Treffen mit Dieter Hecking und Klaus Allofs ab?

Ich habe mich mit Klaus Allofs einmal in der Autostadt getroffen. Wir sind dann zur Arena gegangen, haben uns in eine der Logen gesetzt und geredet. Ich wollte damals auf dem Platz stehen. Ich hatte bei Atlético Madrid nicht viel gespielt, bin dann nach Saint-Étienne zurück, war zwölf Wochen verletzt. Deshalb war für mich klar: Bei meinem nächsten Verein muss ich unbedingt spielen. Ich konnte nicht mehr auf der Bank sitzen, sonst würde ich kaputtgehen. Klaus Allofs sprach sehr gut Französisch. Ich habe ihm gesagt: Frag den Trainer, warum er mich haben will, wo ich spielen und was ich machen soll. Mir waren die anderen Rahmenbedingungen egal. Er hat mir dann das Konzept erklärt – und dann war für mich alles klar. Ich habe den beiden mein Wort gegeben, dass ich nach Wolfsburg komme. Benfica Lissabon wollte mich auch unbedingt haben. Ich habe dem damaligen Sportdirektor Rui Costa gesagt: Ich will nach Wolfsburg, und ich muss nach Wolfsburg.

Geld spielte also keine Rolle?

Doch, schon ein bisschen (lacht). Ich will nicht lügen. Mein Wort ist aber für mich wichtiger als alles. Und das war meine beste Entscheidung.

2Wie war Ihr erster Eindruck vom Team damals? Es haben schließlich immerhin Spieler wie Kevin De Bruyne, Ivan Perisic, Luiz Gustavo beim VfL gekickt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt, wer am meisten überrascht?

Von der Qualität war ich nicht überrascht. Bei Atlético hatten wir auch viele gute Spieler. Dennoch war mir klar, dass ich in ein starkes Team komme. Ich war immer sehr überrascht von Naldo. Der hat beim Kreisspiel nie einen Ball verloren. Nie. Er hatte Köpfchen. Wen ich immer unheimlich gut fand, war Aaron Hunt. Oh, là, là. Ich kannte Perisic, Naldo, Gustavo und Co. schon vorher. Aber Aaron Hunt war richtig, richtig gut. Als Sechser war es für mich unheimlich hart, gegen ihn zu verteidigen. Er hatte einen sehr guten Überblick und sein linker Fuß war überragend. Wenn ich mir dachte: Jetzt komme ich mit Wucht und stelle dich, machte er eine Bewegung und war weg.

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3Junior Malanda war auch Teil der Mannschaft. Er wurde ein enger Freund von Ihnen. Sie haben ihn sogar „kleiner Bruder“ genannt …

Es war sofort klar, dass wir uns gut verstehen. Ich weiß noch, wie wir im ersten Trainingslager zusammen in einem Zimmer waren. Wir hatten sofort eine Verbindung. Auch vor den Spielen haben wir uns ein Hotelzimmer geteilt. Wir haben unheimlich viel und laut zusammen gelacht. Da war es ganz gut, dass wir die einzigen auf dem Zimmer waren (lacht). Wir hatten richtig viel Spaß miteinander. Ich hatte gleich das Gefühl, als würde ich ihn schon zehn Jahre kennen. Es war mit ihm wie in einer Achterbahn. Das habe ich sehr gemocht. Er war ein besonderer Mensch.

Am 10. Januar 2015 kam Junior Malanda im Alter von erst 20 Jahren bei einem Autounfall auf der A2 ums Leben. Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?

Die Mannschaft sollte nach Südafrika ins Trainingslager fliegen. Ich war aber in Frankreich, weil ich an der Leiste operiert werden sollte. Ich hatte mein deutsches Handy nicht dabei. Plötzlich bekam ich einen Anruf von unserer Übersetzerin beim VfL auf meinem französischen Handy. Sie sagte mir, dass Junior bei einem Autounfall gestorben ist. Ich habe gesagt: Das ist nicht möglich, weil er vor Weihnachten gemeinsam mit mir den Flug für diese Zeit gebucht hatte. Ich bin dann zu meinem Auto gegangen und hatte auf meinem deutschen Handy viele verpasste Anrufe und Nachrichten. Dann wurde mir bewusst, dass es wahr ist. Als ich dann noch Bilder des zerstörten Autos gesehen habe, war es vorbei.

Josuha Guilavogui (Mitte) und Junior Malanda (links), hier mit Kevin De Bruyne waren eng befreundet.
Josuha Guilavogui (Mitte) und Junior Malanda (links), hier mit Kevin De Bruyne waren eng befreundet. © imago/Christian Schroedter | imago sportfotodienst

4In Guinea, der Heimat Ihrer Vorfahren, haben Sie ein Waisenhaus aufgebaut. Mit den Kindern dort haben Sie ein sehr enges Verhältnis. Wie hat es sich angefühlt, als zum ersten Mal eines der Kinder „Papa“ zu Ihnen gesagt hat?

Ich habe selbst zwei Kinder. Ich weiß, welches Gefühl in einem aufsteigt, wenn man Vater wird. Und in diesem Moment hatte ich dieses Gefühl zum dritten Mal. Wegen dieser tiefen Liebe war dieser Moment genauso stark wie der Augenblick, in dem ich meine Tochter oder meinen Sohn zum ersten Mal auf dem Arm hatte.

Sind Sie zufrieden, wie sich das Waisenhaus in Conakry entwickelt?

Ja, ich bin sehr zufrieden. Und ich bin deswegen so zufrieden, weil ich merke, dass die Menschen vor Ort gute Arbeit leisten. Unsere Standards sind hoch. Aber unsere Erwartungen auch. Die Kinder sind alle Top-3 in der Schule. Wenn sie dann nach Hause kommen, arbeiten sie noch. Sie sind Kinder, das heißt, sie sollen so viel wie möglich spielen. Aber wir wollen ihnen auch die Möglichkeit und die Infrastruktur für eine gute Entwicklung und Bildung bieten. Diese Chance sollen sie nutzen.

5In der Saison 2015/16 hatten Sie mit dem VfL einen starken Lauf in der Champions League – und sind erst im Viertelfinale am späteren Titelträger Real Madrid gescheitert. Das Rückspiel ging zwar mit 0:3 verloren. Das Hinspiel aber konnten Sie mit 2:0 für sich entscheiden. War das das größte Spiel Ihrer Karriere?

Ja, das war es. Der größte Moment fand für mich aber schon vor der Partie im Spielertunnel statt. Denn da habe ich Zinédine Zidane gesehen, der damals Trainer von Madrid war. Da war ich plötzlich wie ein kleines Kind. Als wäre ich eines der Einlaufkinder. Ich habe ihm die Hand gegeben. Das musste ich, sonst hätte ich Probleme mit meinem Vater bekommen (lacht). Dieser Moment, in dem jemand, den ich bei der WM 1998 gesehen habe oder bei der WM 2006, plötzlich vor mir stand, war überragend. Es waren nicht Cristiano Ronaldo oder Sergio Ramos, die mich beeindruckt haben. Das war mir egal. Für mich als Franzose war das mit Zidane schon etwas Besonderes. Das habe ich noch immer im Kopf. Das Spiel fing für mich an, nachdem ich Zidane gesehen hatte.

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6Gehen wir mal über ins andere Extrem: Sie haben mit Wolfsburg in den Jahren 2017 und 2018 auch zwei Mal in die Relegation gemusst, um in der Bundesliga zu bleiben …

Für mich waren die Spiele gegen Eintracht Braunschweig 2017 die härtesten. Ich hätte nie gedacht, dass das Aufeinandertreffen zwischen Wolfsburg und Braunschweig so wichtig war. Zum einen war es die Relegation, zum anderen ist es für den VfL auch noch ein Derby. Für die Braunschweiger war das ein schönes Schicksal. Sie hätten Wolfsburg schlagen, selbst in die Bundesliga aufsteigen und Wolfsburg in die 2. Liga schicken können. Ich bin so glücklich, dass wir es damals geschafft haben. Als ich in Bordeaux war, habe ich die andere Seite kennenlernen müssen. Da haben nach dem Abstieg Menschen auf der Tribüne geweint, weil sie ihre Arbeit verloren haben. Da sieht man mal, wie viel Verantwortung man als Fußballspieler hat und wie schlimm diese Situation eigentlich für alle im Klub war. Ich glaube, die Relegation war wichtiger als der DFB-Pokalsieg 2015. Denn da geht es um die Zukunft, um die Karriere, um die Familie. Und zwar nicht nur für die Spieler, sondern auch für die Mitarbeiter des Klubs, die nicht einfach die Mannschaft wechseln können. Was die Verantwortung angeht, waren die Erfolge in der Relegation wichtiger als der Pokalsieg, weil es mehr zu verlieren gab. Da kämpfst du für deine Familie.

7Im Sommer 2016 haben Sie sich im letzten Testspiel vor der Saison gegen Sporting Lissabon eine schwere Verletzung zugezogen. Sie haben sich einen Halswirbel gebrochen.

Wir haben damals nicht gut gespielt. Trainer Dieter Hecking fragte mich in der Halbzeit, ob ich spielen kann. Ich sagte natürlich ja. Im ersten Zweikampf habe ich meinem Gegenspieler den Ball abgenommen und ein Knacken gemerkt. Da wusste ich sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist. Das Gefühl kann ich noch immer nachempfinden. Unser Teamarzt Dr. Gunter Wilhelm hat mich im Krankenhaus untersucht. Die Bilder waren zunächst ohne Befund. Ich wusste, dass da etwas passiert war, wollte es aber nicht akzeptieren. Der Doktor hat mir gesagt, dass wir noch weitere Scans machen müssen. Ich wollte das zunächst nicht. Ich hatte Hunger, war dreckig und hatte immer noch mein Fußballtrikot an. Der Doc hat mich dann zum Glück doch überredet. Als er mir die Bilder zeigte, war klar zu sehen, dass der Wirbel drei Mal gebrochen war. Ich hatte viel Glück. Der Bruch ging ein paar Millimeter an meinen Nerven vorbei. Ich hätte im Rollstuhl landen können. Ich bin Dr. Wilhelm dafür unheimlich dankbar. Es hätte auch sein können, dass wir den Bruch nicht oder zu spät erkennen. Ich war glücklich, dass ich nun genau wusste, wie schwer die Verletzung war. Aber auch traurig, weil ich für Monate ausfallen würde. Danach bin ich zu McDonald’s gegangen – immer noch in meinen dreckigen Fußball-Klamotten (lacht).

Der Sieg in der Relegation gegen Eintracht Braunschweig hatte für Josuha Guilavogui (Mitte) höheren Wert als der DFB-Pokalsieg 2015.
Der Sieg in der Relegation gegen Eintracht Braunschweig hatte für Josuha Guilavogui (Mitte) höheren Wert als der DFB-Pokalsieg 2015. © Sebastian Priebe

8Beim VfL haben Sie auch einen extremen Rollenwechsel mitmachen müssen – vom Kapitän zur Ergänzungskraft. War das Ihre härteste Karrierephase?

Das war sehr, sehr schwer für mich. Ich habe nach dem Achtelfinal-Aus bei Schachtar Donezk in der Europa-League-Saison 2019/2020 mit dem damaligen Geschäftsführer Jörg Schmadtke noch am Flughafen das Gespräch gesucht. Bei dem Spiel saß ich nur auf der Bank, vorher war ich am Knie verletzt. Ich habe ihm gesagt, dass ich den Klub wechseln will, dass ich diese Situation nicht akzeptieren kann, dass das zu schwer für mich ist, bei so einem wichtigen Spiel nur auf der Bank zu sitzen. Damals hätte ich nach Berlin gehen können. Er hat in der ihm eigenen Art geantwortet: Ja, ja (lacht).

Kurz darauf verletzte ich mich am Oberschenkel. Ich konnte die Spiele also wieder nur von außen verfolgen. Und die Mannschaft hat super gespielt, sie hat ständig gewonnen – mit Xaver Schlager und Maximilian Arnold auf der Sechs. Tief in mir wusste ich damals, dass kein Platz für mich da sein würde, wenn ich wieder fit bin. Das war schwer für mich. Viele Nächte habe ich nicht schlafen können. Ich war in der Hierarchie so weit oben und bin dann so stark abgerutscht. Das war schwer zu akzeptieren. Aber das gehört zum Fußball dazu. Als ich nach Wolfsburg kam, habe ich auch jemandem den Platz genommen. Am wichtigsten war mir aber immer, dass ich der gleiche Mensch bleibe, dass mir niemand sagt, ich hätte mich verändert, weil ich nicht mehr spiele. Nach meinen neun Jahren hier soll jeder sagen können, Josh war immer der Gleiche – egal ob er in der Startelf stand oder 90 Minuten auf der Bank saß. Wenn mir das gelingt, bin ich stolz.

9Nach neun Jahren wird Ihre Zeit beim VfL Wolfsburg im Sommer enden. Wie geht es dann weiter?

Ich weiß es noch nicht. Und das ist auch ein schönes Gefühl. Denn es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich selbst entscheiden kann, wie es weitergeht. Ich bin zu einhundert Prozent davon überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung treffen werde, weil es meine Entscheidung sein wird. Es gibt keine zwei Klubs, die über einen Transfer sprechen müssen. Und ich muss mit keinem Klub oder Berater sprechen, weil ich wechseln möchte. Ich kann machen, was ich will. Das ist ein schönes Gefühl.

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Heißt das auch, dass Sie womöglich ein paar Monate gar nichts machen werden?

Ja, auch das könnte es bedeuten. Ich könnte auch nach Guinea fliegen und mit meinen Kindern ein wenig dort bleiben. Meine Kinder habe ich in diesem Jahr nicht oft gesehen, weil meine Familie in Frankreich geblieben ist. Alles ist noch offen. Aber das ist nicht mein Ziel. Ich gehe nicht in Frührente. Ich werde mir Zeit nehmen, um meine Entscheidung zu treffen.

Womöglich werde ich zum letzten Mal einen Vertrag als Profi-Fußballer unterschreiben. Danach ist Schluss. Nie wieder werde ich dann vor 30.000 oder 50.000 Menschen Fußball spielen. Ich muss nicht mehr Dieter Hecking fragen, wie ich spielen oder was ich tun soll. Und ich werde einhundertprozentig davon überzeugt sein, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.