Lingen. Mit der Abschaltung des AKW Emsland endet am Samstag nach rund 55 Jahren die Produktion von Atomstrom in Niedersachsen, Gegner protestieren weiter

Kurz vor der Abschaltung des Kernkraftwerks Emsland haben Atomkraftgegner in Lingen für für einen konsequenten Ausstieg aus der Atomindustrie in Deutschland protestiert. Am Samstagmittag zogen Hunderte Atomkraftgegner in einem Demonstrationszug von der Brennelementefabrik ANF, die zum französischen Framatome-Konzern gehört, zum nahe gelegenen Atomkraftwerk, das am Samstagabend nach 35 Betriebsjahren vom Netz genommen und abgeschaltet werden soll.

Die Demonstranten freuten sich einerseits über das Ende der Nutzung der Kernenergie - andererseits forderten sie aber auch ein Aus für die Brennelementefabrik in Lingen, die Brennstäbe für Atomkraftwerke im Ausland herstellt. Laut einem Sprecher des „Bündnisses der AtomkraftgegnerInnen im Emsland“ versammelten sich am Samstag rund 300 Menschen zum Protest, die Polizei zählte etwas weniger Teilnehmer.

Christian Meyer: „Neustart der Energiepolitik“

Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Christian Meyer (Grüne) zeigte sich zufrieden mit dem Atomausstieg. „Es ist ein historischer Tag“, sagte er vor den Toren des AKWs. Auch für ihn als Minister sei es ein besonderes Ereignis. Den Ausstieg nannte Meyer einen „Neustart in der Energiepolitik“. Niedersachsen setze auf erneuerbare Energien.

Neben dem Kernkraftwerk in Lingen werden auch die Atommeiler Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern im Lauf des Samstags abgeschaltet. Damit endet die Atomstromproduktion in Deutschland.

„Das Abschalten des AKW Emsland ist ein Grund zur Freude und mehr als überfällig“, sagte die niedersächsische Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Susanne Gerstner, in einer Mitteilung. „Der Weiterbetrieb nach den eindeutigen Ergebnissen des Stresstests war eine reine Farce und aufgrund der massiven Sicherheitsmängel des AKW ein hochriskantes Spiel mit offenem Ausgang.

Noch kein Atomausstieg in Sicht?

Allerdings ist die Begeisterung bei der Anti-AKW-Bewegung mit Blick auf das Ende des Atomkraftwerks Emsland auch gedämpft - nicht nur, weil der Rückbau des Kraftwerks aus ihrer Sicht Gefahren birgt und es noch keine Endlager-Lösung gibt, sondern auch, weil das Abschalten der Reaktoren nicht das Ende der Atomindustrie in Deutschland ist.

„Wir haben hier in Niedersachsen auch ein ungelöstes Ende des Atomausstiegs, das ist die Brennelementefertigung“, stimmte auch Meyer am Samstag zu. Er frage sich, warum Deutschland weiter Brennelemente für Atomkraftwerke im Ausland fertige. „Aus meiner Sicht, aus Sicht des Landes, wäre es sinnvoll, auch die Brennelementefertigung in Deutschland zu schließen“, sagt er. Das könne aber nur der Bund machen.

Am Samstag wird das Atomkraftwerk Lingen langsam heruntergefahren

Das Umweltministerium in Hannover teilte am Samstag mit, dass die Leistung des Atomkraftwerks Emsland vor der endgültigen Abschaltung am Abend Stück für Stück zurückgefahren werden soll. „Nach derzeitigem Kenntnisstand und Abstimmung mit dem Lastverteiler wird am Abend damit begonnen, die Leistung der Atomanlage im Emsland um 10 Megawatt pro Minute abzusenken und die Turbine kaltgefahren“, teilte das Ministerium mit. Anschließend werde von Hand eine Turbinenschnellabschaltung vorgenommen und die Anlage vom Netz getrennt. Danach werde der Reaktor abgeschaltet.

Das Kernkraftwerk in Lingen verfügt über einen 1400 Megawatt-Block. Die Anlage wurde 1988 in Betrieb genommen. In seiner letzten Betriebsphase war das Atomkraftwerk in Lingen nur noch in einem leistungsreduzierten Streckbetrieb. Neue Brennelemente wurden nicht mehr in den Reaktor gebracht, sondern nur die alten Brennstäbe umgruppiert.

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Joint Venture: Darum geht es den Atomkraftgegnern im Emsland

Der Protest der Atomkraftgegner steht unter dem Motto: „Wer Atomausstieg sagt, muss auch die Brennelementefabrik schließen!“. Auf Kritik stieß zuletzt ein Joint Venture zwischen Framatome und dem russischen Staatskonzern Rosatom, die in Lingen Brennstäbe für osteuropäische Kernkraftwerke herstellen wollen. Der entsprechende Antrag wird derzeit von der niedersächsischen Atomaufsicht geprüft.

„Eine solche Kooperation ist skandalös und politisch unverantwortlich“, sagte die niedersächsische Landesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Susanne Gerstner, in einer Mitteilung. „Wir fordern den zuständigen Umwelt- und Energieminister Christian Meyer dringend auf, den vorliegenden Antrag des Betreiberunternehmens auf Erweiterung der Produktion abzulehnen!“ Die Bundesregierung und die Landesregierung müssten sich zu einem konsequenten Atomausstieg bekennen, der auch ein Aus der Brennelementefabrik in Lingen einschließe.

Das sagt der Betreiber des Brennelementewerks in Lingen

Der Betreiber des Brennelementewerks in Lingen, das zum französischen Framatome-Konzern gehörende Unternehmen ANF, wies die Forderungen nach einer Schließung des Werks zurück. „Framatome Advanced Nuclear Fuels (ANF) verfügt über eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Die Anlage fertigt seit mehr als 45 Jahren Brennelemente auf einem hohen Sicherheitsniveau und hat jederzeit alle rechtlichen Vorgaben und Verfahren eingehalten“, erklärte das Unternehmen auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Die Brennelementefertigung in Lingen sichere rund 400 hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Region und sei auch wichtig für den Erhalt der kerntechnischen Kompetenz in Deutschland insgesamt, teilte das Unternehmen mit.

Framatome arbeite eng mit seinen europäischen Partnern zusammen, um Unterbrechungen bei kritischen Dienstleistungen, einschließlich der Versorgungssicherheit mit Brennelementen, zu vermeiden und sich für europäische Lösungen einzusetzen, die die Abhängigkeit von Russland verringere, hieß es in der Stellungnahme des Unternehmens zur Kritik an der Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen. „Framatome erfüllt die europäischen und staatlichen Anforderungen und Vorschriften und hält die internationalen Sanktionen ein.“

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