„Viele trauern um einen toten Hund, für den sie offenbar mehr Empathie aufbringen können als für ihre Mitmenschen.“

Chico kann einem leidtun. Der Kampfhundmischling, der in der vergangenen Woche in Hannover eingeschläfert wurde, hatte wohl kein sehr schönes Leben. Seine Besitzer waren überfordert damit, sich um ihn zu kümmern oder ihn gar zu erziehen. Ihr Versagen im zweiten Punkt ist auf besonders tragische Weise überdeutlich geworden: Am Ende hat Chico seine Besitzer – einen Mann und dessen im Rollstuhl sitzende Mutter – getötet.

Natürlich kann man denken, dass sie nun irgendwie auch selbst schuld sind. Diese Haltung ist allerdings zynisch, denn hinter dem Unvermögen von Chicos Besitzern steckte sicherlich eine ganze Flut von persönlichen Problemen – der Hund dürfte nicht das einzige in ihrem Leben gewesen sein, womit die beiden überfordert waren. Dennoch äußern viele in sozialen Netzwerken und Leserbriefen genau das: Selber schuld!

Mehr noch, einige fordern die Todesstrafe für diejenigen, die entschieden haben, Chico einzuschläfern. Der Hund sei schließlich unschuldig gewesen. Das stimmt sogar – Tiere sind eben keine Menschen und können sich so auch nicht schuldig machen. Genau deshalb aber ist es absurd, Mensch und Tier mit denselben Maßstäben messen zu wollen. Anders als ein Mensch, der getötet hat, sollte Chico ja gar nicht be straft werden. Es ging schlicht darum, zu verhindern, dass er noch jemanden verletzt. Dass er obendrein krank war und ihm Leid erspart werden sollte, scheint die Rache-für-Chico-Fraktion auch nicht zu interessieren.

Der Gipfel dieser fehlgeleiteten Tierliebe: Am Wochenende soll es eine Mahnwache für den toten Hund geben. Sie lesen richtig: Niemand hat dazu aufgerufen, mit Kerzen zusammen zu kommen, um die beiden toten Menschen zu betrauern. Niemand nimmt öffentlich Anteil am Leid ihrer Angehörigen und Freunde. Stattdessen Trauer um das tote Tier, für das viele offenbar mehr Empathie aufbringen können als für ihre Mitmenschen. Mag sein, dass das eben an der Unschuld liegt, die der Mensch dem Tier generell zuschreibt. Mag auch sein, dass es an Kränkungen liegt, die viele von uns von ihren Mitmenschen erfahren. Dennoch: All das zeugt letztlich nicht mehr von Tierliebe, sondern eher von gefährlicher Menschenverachtung.