Förste. Geschäft mit Herz: Helga Häusler berichtet über die Entwicklung eines bekannten Familienbetriebes in Förste, Ortsteil von Osterode am Harz.

Wer kennt sie nicht, die familiär geführten Einzelhandelsgeschäfte der früheren Jahre. Ob auf dem Dorf oder in der nahen Kreisstadt, für jeden Bedarf und Wunsch gab es ein passendes Geschäft. Der persönliche Kontakt und eine bedarfsorientierte Beratung führten die Kunden/innen immer wieder zurück in den Laden ihrer Wahl. Durch die Fokussierung auf immer größere Märkte verschwanden nach und nach die vielen kleinen Geschäfte. Das Internet beschleunigte diesen Trend. Diverse Leerstände sind stumme Zeugen dieser Entwicklung.

Lesen Sie auch:

Glücklich können sich diejenigen schätzen, in deren Dorf noch ein Lebensmittelmarkt existiert. Hier geht es nicht nur ums Einkaufen. Oftmals ist hier der persönliche Austausch übers reine Einkaufen hinaus möglich. Eines dieser Beispiele ist „Anton“, erinnert sich Helga Häusler aus Förste.

Wer kennt es noch? „Wir gehen zu Anton!“

„Wir gehen zu Anton!“, höre ich die Leute in unserem Ort noch heute sagen und meinen damit das große Edeka-Geschäft. Dabei ist Anton Sviklis bereits lange verstorben. Doch seine fünf Kinder setzten die Kaufmanns- und Bäckereitradition nahtlos fort. Heute ist mit seinen Großkindern die sechste Generation im Geschäft tätig. Nur das Bäckerhandwerk wurde etwa ab dem Jahr 2000 eingestellt. Beliefert werden sie mittlerweile von einer Bäckerei aus Münchehof. Besonders der Kuchen genoss seinerzeit einen guten Ruf. Die letzte gelernte Bäckerin war seine Tochter Christa, die in der elterlichen Bäckerei ihrem Wunschberuf nachging.

Woher der Name Sviklis kommt

Der Ursprung des Namens Sviklis lag in Lettland. Dort wurde Anton am 3. Mai 1923 in Ilukste bei Riga geboren. Nach dem zweiten Weltkrieg verschlug es ihn nach Förste. Hier arbeitete er im ehemaligen, zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Reichsarbeitsdienstlager (RAD – Lager) als Koch.

Durch seinen ausgeprägten Geschäftssinn erkannte er schnell eine Verdienstmöglichkeit. So kaufte er in der Bäckerei „Mackensen“ täglich um die 150 Brötchen, am Wochenende auch das Doppelte, ein. Diese verkaufte „Anton“ gewinnbringend weiter. Die Verkäuferin in der Bäckerei, in der er zum Stammkunden wurde, war „Lisa“ Mackensen, seine spätere Ehefrau.

Familie ist das größte und zuverlässigste Standbein

Zunächst führte ihn sein weiterer Weg für zwei Jahre nach England. Da er inzwischen Vater wurde, reichten Päckchen nicht aus. S kehrte er nach Förste zurück, heiratete seine Lisa und erlernte in der Bäckerei der Schwiegereltern das Bäckerhandwerk. Dem folgte später die Meisterprüfung.

Die Bäckerei florierte unter seiner Leitung. Dabei konnte er auf gute verlässliche Mitarbeiter vertrauen, z.B. auf Bäckermeister Krawietz. Doch all die Zeit war das größte und zuverlässigste Standbein die gesamte Familie. Seine Frau Lisa verknetete beispielsweise täglich sieben Zentner Mehl. Eine elektrische Knetmaschine gehörte damals noch nicht zur Grundausstattung einer Bäckerei.

Anton war stets zur Stelle wenn er gefragt wurde, wie hier mit Kindergartenkindern beim Brezelbacken in seiner Bäckerei.
Anton war stets zur Stelle wenn er gefragt wurde, wie hier mit Kindergartenkindern beim Brezelbacken in seiner Bäckerei. © Privat

In dem kleinen Laden an der Kreuzung Pfingstanger/Mittlerer Winkel hatte die Schwiegermutter, Tante Mackensen, das Zepter in der Hand. Eine Glocke über der Ladentür klingelte, sobald man die Tür öffnete oder schloss. Ich erinnere mich gut daran, dass rote und grüne Lutscher der Renner für uns Kinder waren. Und wenn die Schule aus war, holten wir uns von „Macken“ Kuchenränder für 20 Pfennige.

Vor der elektrischen Ladenkasse ist Kopfrechnen angesagt

Dass der Laden dreimal umgebaut und vergrößert wurde ist, lässt nicht nur den gestiegenen Kundenbedarf, sondern noch mehr die gute Geschäftsführung erkennen. Ich erinnere mich, dass die einzelnen Einkaufsposten anfangs lediglich auf einem Stück abgerissenem Papier, später auf Papierblöckchen untereinander notiert wurden. Danach war Kopfrechnen angesagt. „Und wehe, man hatte sich verrechnet!“, schmunzelt Lisa. „Eine Ladenkasse mit Eingabetasten sorgte erst Jahre später für eine wesentliche Erleichterung, ebenso die danach folgende Addiermaschine. Eine elektrische Ladenkasse schafften wir noch viel, viel später an, und die Buchführung machten Anton und ich selber. Er addierte die Einnahmen und ich die Ausgaben. Oh, er war ein guter Geschäftsmann!“ merkte Lisa an.

Netter Eismann mit keckem Schiffchen

Einen Namen machte sich „Anton“ auch als „Eismann“. Vielen Leuten ist er mit hellgrauer Hose, weißem Hemd und keckem Schiffchen auf dem Kopf in Erinnerung. Nett und adrett sah er damit aus. Mit seinem Fahrrad und der „Eiskiste“ fuhr er das Dorf ab. Schon vom Weiten hörte man ihn klingeln und seinen Spruch sagen: „Lecke, lecke Eis! Lecke, lecke Eis! Eis-Anton ist da!“ Seine Anrede „Du“ für fast Jedermann akzeptierte man gerne. Es gehörte einfach zu seiner freundlichen Art. Zuweilen versuchte er auch „Plattdeutsch“ zu sprechen. Ich erinnere mich, dass er „Täin Pennige“, statt zehn Pfennige für eine Kugel Eis verlangte. Und weil er auch ein Herz für Kinder hatte, machte er einmal eine Ausnahme bei der kleinen Ingrid aus Nienstedt. Geld hatte sie nicht. Ihre Mutter hatte ihr aber ein Hühnerei mitgegeben, wofür sie bei Anton auch ein Eis bekam.

Bäckerei Sviklis Mackensen, Anfang der 60er Jahre.
Bäckerei Sviklis Mackensen, Anfang der 60er Jahre. © Siegfried Bertram

In drei Eiskübeln, ähnlich einer Thermoskanne, in einer zweirädrigen Holzkiste war das köstliche Eis deponiert. Eine Salzlösung im hohlen Deckel sorgte für die nötige Kühlung. Ein zusätzlicher Kasten beinhaltete die Kasse in Form einer Zigarrenkiste und die Eiswaffeln.

„Nach getaner Arbeit mussten wir die Münzen in 10er-Türmchen stapeln. Papa zählte dann das Geld aus dem Eisverkauf. Anschließend mussten die Türmchen einzeln in Sparkassenpapier eingerollt werden. Danach konnte es zur Bank gebracht werden“, erzählen Lisa und Tochter Angelika.

Eis-Anton bekommt Konkurrenz aus Dorste, behält aber die Oberhand

Sein geschäftlicher Spürsinn lenkte ihn aber auch dorthin, wo Menschenansammlungen zu erwarten waren. Etwa auf den Festplatz zu Pfingsten, dem Fußballplatz und vor das Kino, jeweils vor und nach den Vorführungen. Den größten Andrang hatte er aber nach dem Kranzreiten zu bewältigen. Denn dann wimmelte es von Menschen auf dem Rummelplatz und um Antons Eiswagen bildete sich eine Menschentraube, bestehend aus großen und kleinen Naschkatzen. Das war stets ein gutes Geschäft, denn weit und breit gab es für ihn keine Konkurrenz.

Das änderte sich. Zu seinem Verdruss durchkreuzte ein zweiter Eisverkäufer seine Geschäftspläne. Man nannte ihn „Eis-Otto“. Er kam mit seinem Dreirad-Auto aus Dorste angereist. Sein Slogan war: „Eis! Eis! Eis-Otto ist da! Wer einmal leckt, der weiß wie’s schmeckt. Der leckt den ganzen Laden weg!“ Ob es am dörflichen Zusammenhalt oder doch mehr an der Qualität lag, lässt sich heute nicht mehr genau beantworten. Jedenfalls behielt Anton die Oberhand. Das war ihm auch zu gönnen. Schließlich hatte er als erster die Idee mit dem Eisverkauf gehabt.

„1950 besorgten wir uns zuerst eine Eismaschine. Das Eispulver mussten wir uns aus Amerika schicken lassen. Wir stellten Vanille-, Schoko-Nuss- und Waldmeister-Eis her. Außerdem gab es Eispulver mit Neutralgeschmack, mit dem wir selbst den Geschmack und die Zutaten bestimmen konnten!“, erzählen seine Frau Lisa und Tochter Angelika.

Eiskalter Wintermorgen beschert Brötchenservice das Aus

Dass man Anton auch „Brötchen-Anton“ nannte, ergab sich aus dem morgendlichen Austragen der Brötchen in Förste und Nienstedt. Die Brötchen lagen stets pünktlich vor den Haustüren der Kunden, egal ob bei gutem oder schlechtem Wetter.

Bäckerei und Lebensmittelgeschäft Mitte der 70er Jahre.
Bäckerei und Lebensmittelgeschäft Mitte der 70er Jahre. © Siegfried Bertram

Anfänglich wurde dieser Service mit einem großen Korbaufsatz per Fahrrad erledigt. „Ich habe natürlich geholfen. Ich trug in Förste, Anton in Nienstedt die Brötchen aus. Dafür mussten wir schon sehr früh, das heißt: des Nachts aufstehen. Die Brötchen mussten ja frisch gebacken und eingetütet werden. Die Beschriftung auf den Tüten mit Namen und Stückzahl erledigte ich bereits am Vorabend“, erzählt Lisa.

Ein klirrend kalter Morgen mit etwa 30 Grad Minus bescherte später dem Brötchenservice das Aus. Das war der Tag, der das Austragen mehr als mühselig machte und fortan wurde dieser Service eingestellt. Nicht aber der Warenverkauf per Pkw vor der Haustür. Gerne nahm die Bevölkerung diesen Service in Anspruch. Direkt vor der eigenen Haustür bedient zu werden, war einfach und bequem.

Anton heißt jetzt „Unser Markt im Sösetal“

Irgendwann war auch das passé. Heute steht an anderer Stelle in Förste ein hübscher, den Bedürfnissen angepasster Supermarkt, den Antons Enkel als alleiniger Geschäftsführer und Inhaber vorbildlich führt, nicht nur den Förster und Nienstedter Einwohnern zur Verfügung. Aber in erster Linie sind es die Dorfbewohner, die froh sind, weiterhin zu „Anton“ einkaufen gehen zu können, obwohl das Geschäft längst die Bezeichnung „Unser Markt im Sösetal“ führt.

Es ist seit Jahren das einzige verbliebene Lebensmittelgeschäft in Förste.