Herzberg. Selbstrettung aus sinkenden Fahrzeugen: Experten erklären, was passiert, wenn ein Auto in einem Gewässer landet und wie man sich am besten verhält.

Es sind Meldungen, die immer wieder aufhorchen lassen, vielleicht auch deshalb, weil solche Ereignisse tatsächlich selten sind. Und doch passiert es: Fahrzeuge, die aus welchen Gründen auch immer, im Wasser landen und die Insassen vor besondere Herausforderungen stellen, um ihr Leben zu retten.

Mitte Mai beispielsweise hatte eine Frau ihren Pkw in den Herzberger Juessee gesteuert. Den Angaben der Feuerwehr zufolge hatte die Autofahrerin, vermutlich wegen eines Schwächeanfalls, auf der Juesholzstraße die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren und war nach links von der Fahrbahn abgekommen. Das Fahrzeug kam im See zum Stehen, der Unfall ging noch relativ glimpflich aus, die Fahrerin konnte von der Polizei durch die Heckklappe in Sicherheit gebracht werden.

Tom Barkow, Vorsitzender der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), Ortsgruppe Westharz, und Jörg Liehmann, Leiter Einsatz bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft OG Herzberg, wissen was im Ernstfall zu tun ist und geben hilfreiche Tipps.

Das sind die Unfallursachen

So gibt es ganz unterschiedliche Ursachen, die zu einem solchen Unfall führen können, Gegenverkehr auf der falschen Fahrbahnseite zum Beispiel, Wildwechsel, Kollisionsgefahr mit Fußgängern oder Radfahrern, gesundheitliche Probleme beim Fahrer, Ablenkung des Fahrzeugführers, eingeschränkte Sicht bei Regen, Nebel, Dunkelheit, das Blenden durch den Gegenverkehr, Aquaplaning, Eis, Schnee oder eine Ölspur.

Als in Goslar im Juli 2017 das Wasser aus dem Harz in die Kaiserstadt stürzte, liefen nicht nur die Keller voll, sondern auch eine Tiefgarage am Worthsatenwinkel und die Unterführung am Köppelsbleek. Diese hat trotz Absperrung ein Autofahrer vergeblich versucht zu durchqueren, blieb stecken und musste sich von der Feuerwehr retten lassen.

Ablaufphasen eines sinkenden Autos

Selbstrettung aus sinkenden Fahrzeugen, umschreibt die Lebens-Rettungs-Gesellschaft die Vorkommnisse, wenn man in einer solchen Situation auf sich allein gestellt ist.

Die Ablaufphasen eines sinkenden Fahrzeugs beschreibt Jörg Liehmann folgendermaßen: „Je nach Geschwindigkeit, Fallhöhe und Aufschlagwinkel kann ein Fahrzeug sehr hart auf die Wasseroberfläche aufprallen, um danach tiefer oder auch nur teilweise einzutauchen. In der nächsten Phase ist zu beobachten, dass das Fahrzeug – außer bei bestimmten schweren Unfällen – meistens aufrecht auf dem Wasser schwimmt, das heißt mit den Rädern nach unten. Das Fahrzeug kann in dieser Position mehrere Minuten an der Wasseroberfläche bleiben.“

Durch Löcher und Spalten in der Karosserie aber dringt schließlich das Wasser ein, und das Fahrzeug beginnt zu sinken.

Völlig unberechenbare Bewegungen

Liehmann berichtet über völlig unberechenbare Dreh- und Trudelbewegungen, die während des Absinkens auftreten können, Fahrzeuge mit Frontmotor neigten sich nach vorn, solche mit Heckmotor nach hinten.

„Das Ausmaß dieser Bewegungen hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab wie Gewichtsverteilung im Fahrzeug, Strömungen, Wassertiefe und anderes mehr. Meist trifft der Wagen infolge des Motorgewichtes senkrecht auf den Grund auf und kippt dann um oder wird – je nach Strömung – weitergespült.“

Es versteht sich von selbst, dass Insassen allein durch die Stresssituation leicht die Orientierung verlieren und kaum in der Lage sind, sinnvoll zu handeln.

Selbstrettung aus sinkenden Fahrzeugen

Die sich im Fahrzeuginneren bildende Luftblase hat, so der Experte, eher geringeres Volumen. Die restliche Luft sammele sich oftmals im Kofferraum und sei den Insassen somit nicht hilfreich.

Stürzt ein Auto ins Wasser, taucht es zunächst unter und tritt unmittelbar danach wieder an die Wasseroberfläche. Jetzt heißt es schnell handeln. Denn wenn die Insassen den unter Umständen harten Aufschlag dank richtig getragener Sicherheitsgurte heil überstehen, sollten sie das Fahrzeug sofort durch die Türen verlassen.

Unfall am Juessee in Herzberg: Die Feuerwehr sichert den Wagen mit Hilfe eines Seilzuges gegen ein weiteres Abrutschen in den See und legt eine Ölsperre um das Fahrzeug.
Unfall am Juessee in Herzberg: Die Feuerwehr sichert den Wagen mit Hilfe eines Seilzuges gegen ein weiteres Abrutschen in den See und legt eine Ölsperre um das Fahrzeug. © Feuerwehr Herzberg | Uwe Bock

„Können die Türen nicht geöffnet werden, empfiehlt sich die Flucht durch das Fenster oder das Schiebedach, und zwar mit dem Kopf voran. Sollten sich zwei Personen auf den Vordersitzen befinden, steigen sie am besten gleichzeitig durch die beiden vorderen Fenster aus“, beschreibt Tom Barkow das Prozedere.

Aber Vorsicht: „Auf keinen Fall dürfen Türen, auch wenn sie sich noch leicht öffnen lassen, dann zum Aussteigen benutzt werden, wenn sich auf den hinteren Sitzen weitere Personen befinden. Denn durch offene Türen dringt das Wasser so schnell ein, dass Rücksitzpassagieren kaum mehr eine Überlebenschance bleibt.“

Gefährliche Situation bei Pkw mit Frontmotor und zwei Türen

Die gefährlichste Situation ergibt sich laut DLRG bei zweitürigen Autos mit Frontmotor, bei denen sich die hinteren Seitenfenster nicht öffnen lassen.

„Auch der Eintauchwinkel ist entscheidend. Ist er zu steil, sinkt das Auto natürlich schneller in die Tiefe. Solche Fahrzeuge kippen in der Regel nach vorne ab. Deshalb sollten die Insassen nicht nach hinten flüchten. Der hintere Bereich wird zur Todesfalle“, warnt Tom Barkow. Sie müssen daher auf den Vordersitzen bleiben, bis es ihnen gelingt, entweder eine Tür zu öffnen oder durch ein Fenster zu entkommen.

„Solange der Autofahrer dazu in der Lage ist, soll er vor allem den hinten sitzenden Personen durch Ziehen und Schieben helfen, so rasch wie möglich durch die Fensteröffnung oder das Schiebedach auszusteigen. Das Umlegen der Rückenlehnen kann dabei hilfreich sein. Es sollte auf jeden Fall versucht werden, das Auto vor dem Untergehen zu verlassen.

Ist der Ausstieg dagegen nicht möglich, solange das Auto noch an der Wasseroberfläche schwimmt, bleibt nur noch eine kleine Hoffnung, dass es nach kurzer Zeit festen Grund erreicht. Sind die Insassen dann noch bei Bewusstsein, können sie zu diesem Zeitpunkt durch die Tür den Weg ins Wasser und an die Oberfläche finden.“ Die Unfallstelle am Ufer sollte markiert werden, um das Suchgebiet für Rettungskräfte einzugrenzen.

Was Betroffene auf keinen Fall tun sollten

Was Betroffene auf keinen Fall tun sollten, darüber informiert auch der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC): „Schnallen Sie sich nicht schon vor dem Aufprall ab oder öffnen Sie die Tür. Sie könnten sonst beim Aufprall das Bewusstsein verlieren oder schon vor dem Wassereintritt aus dem Fahrzeug geschleudert werden. Versuchen Sie nicht reflexartig, die Tür zu öffnen. Der Wasserdruck von außen verhindert in der Regel ein einfaches Öffnen der Tür. Warten Sie auf keinen Fall ab, bis das Auto geflutet ist – auch wenn sich die Türen dann unter Wasser von innen öffnen lassen könnten. Der enorme Stress der Situation sorgt für die größte Gefahr. Öffnen Sie auf keinen Fall die Tür zur Rettung, wenn sich auf dem Rücksitz noch weitere Passagiere befinden – deren Chancen sinken durch das rasch eindringende Wasser rapide.“

Die Experten wissen: „Angst schlägt leicht in Panik um.“ Rationales Handeln wird in einer solchen Stresssituation immer schwerer. Deshalb, so raten sie, müssten sich die Autofahrer mit dem Gedanken eines möglichen Sturzes ins Wasser rechtzeitig auseinandersetzen und die Rettung mehrmals im Geiste durchexerzieren.

„Denn nur so haben sie eine Chance, im Ernstfall genau das Richtige tun.“