Walkenried. Ein mehr als 10-stündiges Programm mit Vorträgen und Konzerten hat in Walkenried im Südharz zum Antikriegstag stattgefunden.

Welch unschätzbaren Wert ein Leben in Freiheit darstellt, wird einem erst dann bewusst, wenn man vor Augen geführt bekommt, zu welchen Irrwegen und Perversionen Staaten in der Lage sind, in denen Intoleranz und Diktatur herrschen und in denen es keine freie Meinungsäußerung und keine gegenseitige Kontrolle mehr gibt. Diesen Gedanken auch und gerade in einer Zeit zu beleben, in der sich das demokratische Gemeinwesen angesichts vieler Krisen und Herausforderungen bewähren muss, war Ausgangspunkt für die Planung des Antikriegstages in Walkenried.

Durch die vielfältigen Veranstaltungen des Tages, die durchweg gut besucht waren, zog sich als roter Faden die Darstellung von Menschen, die unter Kriegen und staatlicher Gewalt litten oder durch sie zugrunde gingen. „Die Botschaft wurde mitunter, wie beim Bericht des Fotografen Robin Hinsch über seine Erlebnisse in der Ukraine, sehr direkt, mitunter aber auch indirekt vermittelt, so zum Beispiel, als im abschließenden Konzert ausschließlich Melodien von Komponisten erklangen, die für ihre politischen oder religiösen Überzeugungen leiden mussten, und in den Pausen drei der ,Kinder des 20. Juli’ ganz spontan Gedichte eines jungen Mädchens vortrugen, das mit 18 Jahren an den Folgen ihres KZ-Aufenthalts sterben musste“, erklären die Veranstalter im Nachgang.

Wert der Demokratie sichtbar machen, durch Zeigen des Gegenteils

Die breite Palette der angebotenen Vorträge und Konzerte wurde ermöglicht durch den Zuschuss des Landkreis Göttingen aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Nach Ende des mehr als zehnstündigen Programms zeigte sich Michael Reinboth vom ausrichtenden Verein für Heimatgeschichte Walkenried zufrieden. Reinboth stellte fest, dass die vom Hannoveraner Filmproduzenten Michael Heuer ersonnene Programmstruktur voll aufgegangen sei: „Ich merke aus der Reaktion vieler Zuhörer, dass wir einerseits Freude über viele schöne Darbietungen, aber auch Nachdenken über manche Entwicklung auslösen konnten – durchaus auch bei jüngeren Teilnehmern. Und dafür hat sich die Arbeit dann allemal gelohnt.“

Was auf dem Spiel steht, betonte in seinem Grußwort auch MdL Alexander Saade, der eigens zur Eröffnung des Antikriegstages nach Walkenried gekommen war. Er freute sich wie alle anderen darüber, dass mit Friedrich-Wilhelm von Haase und den Brüdern Goerdeler drei der noch lebenden „Kinder des 20. Juli“ den Weg in den Südharz und nach Walkenried gefunden hatten.

Es galt, einen Bogen von den aktuellen Ereignissen in der Ukraine bis zum Geschehen im KZ Ellrich-Juliushütte zu schlagen. Dass dies gelang, sei nur durch das Engagement vieler Gruppen und Menschen möglich gewesen, bilanzieren die Veranstalter. „Angefangen vom Walkenrieder Spielmannszug, dessen Beiträge wunderbar zum Thema des Tages passten, über die Ellricher Schulkinder, die das Lied von der kleinen weißen Friedenstaube vortrugen, die im Geläut der Kirchenglocken dann tatsächlich aufsteigenden weißen Tauben“, zählt Reinboth auf. Auch die musikalischen und tänzerischen Darbietungen der ukrainischen Gäste, Maria Novak mit ihrer Bandura sowie die Gedichtvorträge der 97-jährigen Erika Schirmer trugen zum Gelingen bei.

Eine ukrainische Kindergruppe tritt zum Antikriegstag auf dem Klostervorplatz in Walkenried auf.
Eine ukrainische Kindergruppe tritt zum Antikriegstag auf dem Klostervorplatz in Walkenried auf. © Veranstalter

Ferner hob Reinboth das Engagement der Schulen in Herzberg und Ellrich im Rahmen ihres KZ-Projektes hervor, ebenso wie „die Hingabe, mit der Joachim Hug und sein Team das Jagdschloss und seinen Park öffneten und gestalteten, im Gelände eine Friedenstaube leuchten ließen und bei zunehmender Kühle auch den Kamin anwarfen, bis hin zu den herausragenden Beiträgen des Duo Estrellas und des Duos Hinse/Steglich, die sich wunderbar in die Thematik des Tages hineinfühlten“. Außerdem hatte sich das Ausrichterteam auf zahlreiche Helfer im Hintergrund stützen können. Michael Heuer fand die passenden Worte für die Überleitung zum jeweils nächsten Programmpunkt und baute so die notwendigen Brücken von der Ukraine bis zur Juliushütte.

Bedrückende Fotografien und kaum erträgliche Erinnerungen

Robin Hinsch, Fotograf aus Hamburg, zeigte und erläuterte zudem im Saal des evangelischen Pfarrhauses 40 ungeschönte Fotografien aus der Ukraine, beginnend mit dem „Maidan“ bis zum heutigen Krieg. Von vielen der Abgebildeten früherer Jahre weiß und erfährt er nichts mehr, erklärte Hinsch. „Die ukrainische Bevölkerung musste angefangen von der Zarenzeit über die hier grauenvoll wütende kommunistische Diktatur, die nicht minder brutale Besetzung durch Hitlerdeutschland und die erneute kommunistische Zeit unter Fremdbestimmung leiden – und auch heute ist es ihr offenbar nicht vergönnt, einen selbstbestimmten Weg zu gehen“, so Reinboth dazu.

Auf dem Weg in den Saal konnten die Zuhörer zuvor und danach die von ukrainischen Kindern gemalten Bilder betrachten, die manches von dem ausdrücken, was sie – heute in Walkenried lebend – für ihr Heimatland empfinden.

„Nicht weniger beeindruckend war die Lesung von Daniel Mühe aus den Erinnerungen des belgischen Häftlings Edgar van de Casteele über seine Leidenszeit im KZ Ellrich-Juliushütte, einfühlsam begleitet von Stella Perevalova am Klavier. Sie spielte Melodien von Komponisten, die in jüdischen Ghettos lebten und im KZ zugrunde gingen. Da konnte man im voll besetzten Foyer des Jagdschlosses die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören. Obwohl hervorragend vorgetragen, war niemandem nach einer Zugabe zumute. Zu tief saß das Gehörte, und es wird bei vielen auch wohl noch lange nachklingen“, erinnert sich Reinboth. Die Übersetzung der Erinnerungen besorgte Ruth Monicke aus Walkenried. Auf ihr jahrelanges Wirken für die Erinnerungsstätte KZ Ellrich-Juliushütte wies Michael Reinboth in seiner Moderation hin.

„Unsere Demokratie mutet uns objektiv, aber auch subjektiv zurzeit eine Menge zu. Sich damit auseinanderzusetzen, ist vollkommen legitim. Hieraus den Weg in Illiberalität und Unterdrückung der Freiheit ableiten zu wollen, ist aber mit Sicherheit der falsche Ansatz. Wohin dieser Weg führen kann und wird, wollten wir zeigen. Und das ist, denke ich, auch gelungen“, fasst er den Antikriegstag zusammen.

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