Hannover. Der amtierende Ministerpräsident sieht sich für eine Regierungsbildung in der Pflicht. Der CDU-Landeschef will die Fraktion führen.

Es ist 18.05 Uhr, als Stephan Weil unter donnerndem Applaus in den SPD-Fraktionssaal im Landtag einzieht. Auf der Leinwand sind gerade Bernd Althusmann und AfD-Landeschef Armin-Paul Hampel zu sehen gewesen. Doch dann brechen im Landtag alle Dämme. „Das ist ein großer Abend für die niedersächsische SPD“, ruft Weil, als er die Bühne endlich erreicht hat. Auf 37,5 Prozent wird seine SPD laut der Prognose kommen, klar vor der CDU liegen. Die SPD habe einen klaren Regierungsauftrag, wenn es denn so bleibe, ruft der Ministerpräsident.

Von einer Aufholjagd spricht Weil, von einem Charaktertest. Er rät aber angesichts des noch langen Wahlabends, den Ball flach zu halten. Typisch Weil. Klar ist aber schon, dass die Regierungsbildung wohl schwierig werden wird. Sogar eine hauchdünne Mehrheit für Rot-Grün geben Berechnungen zwischenzeitlich wieder her – so wie bis zum Wechsel der Grünen Elke Twesten zur CDU in dieser Wahlperiode. In einem Interview rät Weil später dazu, erst einmal eine Nacht über das Ergebnis zu schlafen. Man könne ja nicht so lange wählen lassen, bis einem das Ergebnis passe. Das klingt dann doch recht aufgeschlossen – sogar in Richtung CDU. Oder ist es nur die Lässigkeit des Siegers, der alle Bälle im Spiel halten will?

Die CDU-Basis feiert ihren unterlegenen Spitzenkandidaten Althusmann auf der Wahlparty in einer edlen ehemaligen Reithalle in Hannover, dem Cavallo. Dort ist Althusmann gegen 18.15 Uhr auf einer großen Leinwand zu sehen, als er in die TV-Kameras spricht. Jubel brandet kurz auf, die Leute klatschen rhythmisch. „In Sack und Asche gehen müssen wir nicht“, sagt Althusmann. „Richtig“, „das stimmt“, pflichten ihm die CDU-Mitglieder bei.

Althusmann beglückwünscht als fairer Wahlverlierer die SPD und Weil. Doch ganz schließt Althusmann eine Regierungsbeteiligung natürlich nicht aus. Rechnerisch sind zu diesem Zeitpunkt auch eine Große Koalition und ein Jamaika-Bündnis mit den Grünen und der FDP möglich. Insgeheim rechnet Althusmann aber wohl doch nicht damit, dass er Ministerpräsident wird. Schon früh am Abend verkündet er, dass er sich zum Chef der CDU-Landtagsfraktion wählen lassen will. Dies bedeute nicht, dass Althusmann Ambitionen auf ein Ministeramt in einem möglichen Jamaika-Bündnis aufgebe, sagt ein Parteisprecher schnell. Dabei scheint ihm entgangen zu sein, dass in einem Jamaika-Bündnis Althusmann kein Minister, sondern Ministerpräsident würde. Die vielen Zahlenspiele sind verwirrend.

Dass es knapp und umkämpft werden würde in Niedersachsen, davon waren SPD und Grüne sowie CDU und FDP seit Wochen ausgegangen. Dabei hatte die CDU einen drastischen Absturz in den Umfragen zu verzeichnen. Von 40 Prozent bei der „Sonntagsfrage“ und acht Punkten Vorsprung auf die SPD bei infratest dimap war es vor der Wahl bei der Forschungsgruppe Wahlen auf 33 Prozent heruntergegangen – stärkste Partei war nun bereits die SPD (34,5). Auf der Wahlparty im Cavallo machen die CDU-Mitglieder an den Stehtischen bereits eine Fehleranalyse. Ein älterer Herr spricht vom „Mitleidseffekt“ für die SPD nach der desaströsen Bundestagswahl. Ein anderer macht den Fall der Überläuferin Twesten von den Grünen zur CDU als die Quelle allen Übels aus. „Das konnten wir den Wählern nicht erklären. Die SPD hat diese Karte sehr geschickt gespielt.“ Ein Dritter sieht den Umgang der Bundes-CDU und von Kanzlerin Angela Merkel mit dem Ergebnis bei der Bundestagswahl als verheerend an. Er wünscht sich einen streng konservativen Kurs und fragt: „Warum haben wir die Einigung bei der Obergrenze für Flüchtlinge mit der CSU nicht schon viel früher hinbekommen?“

„Unser Wahlkampf läuft nicht“, hieß es schon seit Wochen auch in CDU-Kreisen. Althusmann war vor allem mit Kanzlerin Merkel zu Kundgebungen übers Land gezogen oder hatte im Haustürwahlkampf versucht, Punkte zu machen. Noch am Freitag berichtete Althusmann, wie viel Zuspruch er im Wahlkampf in Hannover auf Wochenmärkten erhalten habe. Doch selbst wenn Weil nur Rosen in Fußgängerzonen verteilte: Beim Amtsinhaber wirkte vieles leichter und auch emotionaler als bei Althusmann. Unter anderem hatte das Althusmann-Team, in eine TV-Sendung eingeladen, die NDR-Studios in Hamburg und Hannover verwechselt – und dann versucht, sich mit Staus herauszureden. Das hatte auch in den eigenen Reihen Kopfschütteln ausgelöst.

Weil dagegen setzte auf den Amtsbonus und seine Reihe „Auf ein Wort mit Stephan Weil“, um sich bürgernah zu geben. Das sei besser als Großveranstaltungen, hatte er gesagt – eine klare Spitze gegen Althusmann. Der Wahlkampf mache Spaß, die SPD sei geschlossen und die Stimmung gut, hatte Weil zu Beginn der Wahlwoche bei einem letzten Termin in der SPD-Zentrale bei Schnitzel und Kartoffelsalat erzählt. Bei einem lange geplanten Presseabend von Innenminister Boris Pistorius (SPD) in einem Weinlokal nicht weit vom Innenministerium war von Abschiedsstimmung nichts zu spüren gewesen. Er sei für die Wahl optimistisch, sagte Pistorius. Dass die Sache dennoch knapp werden könnte, dieses Gefühl hatte man aber auch bei der SPD. Vor allem im TV-Duell mit Weil hatte Althusmann eine gute Figur abgegeben. „Den hatten wir nicht so gut erwartet“, hieß es in SPD-Kreisen. Dafür ist bei der CDU die Ernüchterung am Wahlabend umso größer. Große Stimmung kommt nicht auf im Cavallo, die Ersten gehen schon gegen 18.30 Uhr, sie sind sichtlich enttäuscht. Das Buffet bleibt lange unberührt.