Berlin. Ausgerechnet Deutschland hat eine schier einzigartige Waffe: Warum Putin den „Taurus“ fürchten muss und Scholz das Ende bedenken muss.

Es gibt nicht viele Abstandswaffen. Und vielleicht keine zweite wie den „Taurus“-Marschflugkörper. Deswegen klebt die Debatte über eine Lieferung an die Ukraine an Kanzler Olaf Scholz (SPD) wie ein Kaugummi an der Schuhsohle. Er kann sie einfach nicht abschütteln.

Die Ukraine und ihre Unterstützer, nicht zuletzt CDU und CSU im Bundestag, lassen nicht locker. Selbst, wenn sie es wollten, könnten andere westliche Partner nicht mit einem gleichwertigen System einspringen, womöglich nicht mal die USA. Mit dem „Taurus“ hat die deutsche Rüstungsindustrie in der Nato quasi ein Alleinstellungsmerkmal.

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Vielleicht haben die Südkoreaner als erste die Vorzüge der Waffe richtig verstanden. Es ist nicht ihre Reichweite, nicht ihre Zerstörungskraft, auch nicht ihre Durchschlagskraft und Treffgenauigkeit. Es ist die Kombination von all diesen Fähigkeiten.

Wunderwaffe Taurus: Es geht um mehr als die Reichweite

Der Flugkörper kann eine Lücke in einer Bunkerwand- oder Decke reißen – und erst danach explodieren. In einem Konflikt mit dem nördlichen Nachbar könnte Südkorea also die Kommandozentralen und Raketensilos Nordkoreas zerstören.

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Es gibt im Westen im Wesentlichen drei weitreichende Marschflugkörper, die britisch-französische „Storm Shadow“ oder „Sclap“ (in Frankreich), die amerikanische „Jassm“ und eben „Taurus“, ein deutsch-schwedisches Projekt. Die Entwicklung all dieser Marschflugkörper ab Mitte der 90er Jahre ist eine Folge der Fortschritte in der IT-Technik und in der Navigation.

Der „Taurus“ vereint sehr viele Fähigkeiten

Die Panzerhaubitze 2000 hat eine Reichweite von etwa 40 Kilometern, ein Himars-Raketenwerfer mit Standardmunition etwa so doppelt so viel. Eine moderne US-Gleitbombe (GLSDB) kann Ziele bis zu 150 Kilometer hinter der Front treffen, „Storm-Shadow“ fliegt 250 bis 350 Kilometer weit. Der „Taurus“ kommt auf 500 Kilometer, und von der amerikanischen „Jassm“ gibt es in drei Varianten, die längste mit 1000 Kilometer Reichweite.

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Die Reichweite ist militärisch relevant, weil sie es der Ukraine erlauben würde, Ziele weit hinter der Front anzugreifen: Kommandoposten, Waffenlager. Russland wäre gezwungen, weiter zurückzugehen, was wiederum den Nachschub erschweren würde. Gemeinsam haben „Taurus“ und „Storm Shadow“, dass sie sehr tief fliegen und damit für die Radare sehr spät zu entdecken sind. Der Taurus kann sogar Abwehrstellungen umfliegen und gilt als wenig anfällig für Störsender.

Zerstörung der Krim-Brücke wäre ein Wirkungstreffer

Aber was der „Taurus“ der Konkurrenz darüber hinaus voraus hat, ist eben die zusätzliche Spezialfähigkeit, Betonwände zu sprengen. Als deutsche Luftwaffen-Offiziere ihre Köpfe zusammensteckten, um ein Briefing für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorzubereiten, kamen sie auf das Ziel zu sprechen, das sich wahrscheinlich mit „Taurus“ zerstören ließ, aber nicht mit „Storm Shadow“ und wohl auch nicht mit „Jassm“: die Brücke zur Krim.

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Scholz hat es in der Hand, der Ukraine eine Waffe zu liefern, mit der sie einen echten Wirkungstreffer erzielen könnte – und zwar ohne auf der Krim aus russischer Sicht russisches Territorium zu verletzten. Scholz möchte der Ukraine helfen, aber für Deutschland nicht zu viel riskieren. Das ist das Dilemma. Und es ist ihm nicht geholfen, wenn sich die Ukraine verpflichten würde, kein russisches Territorium anzugreifen. Denn die Krim zählt sie zu Recht zu ihrem Staatsgebiet.

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Andere „Taurus“-Länder können nicht einspringen

Eine Zerstörung der Brücke würde die russischen Streitkräfte, gerade ihren Nachschub im Ukraine-Krieg empfindlich treffen. Ganz zu schweigen von der Symbolkraft. So ein Schlag könnte Kremlchef Wladimir Putin tatsächlich zu einer Eskalation veranlassen, unabhängig davon, ob deutsche Offiziere zur Programmierung des Flugkörpers in der Ukraine sein müssten oder nicht. Darauf käme es aus Putins Sicht kaum an, sondern nur auf die Wirkung, für die er allein Deutschland verantwortlich machen würde. Der „Taurus“ ist einzigartig, vor allem einzigartig brisant.

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Zwar wurde Taurus auch an Südkorea und Spanien ausgeliefert, aber keines dieser Länder kann gegen den Willen des Kanzlers einspringen. Ein Export setzt eine Genehmigung der Bundesregierung voraus. Die Bundeswehr soll zwar über 600 „Taurus“-Marschflugkörper verfügen. Aber nur ein Bruchteil davon ist einsatzfähig.

Für sie gelten bestimme Wartungszyklen. Dann muss der „Taurus“ ins Werk zurück und überprüft, teilweise auch generalüberholt werden. Das ist offensichtliche jahrelang unterblieben, weil nach dem Ende des Kalten Krieges militärische Konflikte wie in der Ukraine in Europa auch in der Nato als undenkbar galten. Bis Putin kam. Jetzt überlegt sich Scholz, wie er der Ukraine helfen kann, ohne den „Taurus“ herauszurücken.

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