Berlin. Die AfD-Wahlschlappe in Thüringen ist ein Erfolg der Demokraten. Doch der Blick auf ein Nachbarland zeigt, was auch hierzulande droht.

Ist die Nachricht aus dem Saale-Orla-Kreis in Ostthüringen der Anfang einer Trendwende? Oder trotz allem ein Warnsignal für unsere Demokratie? Bei der Stichwahl um den Landratsposten hat der AfD-Kandidat Uwe Thrum verloren, CDU-Gegenkandidat Christian Herrgott ist der Sieger. Womöglich haben die bundesweiten Demonstrationen der letzten Tage gegen Rechtsextremismus und die AfD eine Rolle gespielt: Die Wahlbeteiligung stieg gegenüber dem ersten Wahlgang, das spricht für eine erfolgreiche Mobilisierung der Demokraten.

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Es gibt allerdings keinen Grund zur Entwarnung. Die AfD in Thüringen wird vom zuständigen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. An der Spitze des Landesverbandes steht mit Björn Höcke ein Mann, der laut Gerichtsurteil „Faschist“ genannt werden darf. Und dennoch stimmten im Saale-Orla-Kreis fast 48 Prozent der Wähler für Höckes Kandidaten. Es benötigte die offensive Unterstützung der politischen Konkurrenz wie der SPD, um den bürgerlichen Bewerber mit knappem Vorsprung gemeinsam als Gewinner über die Ziellinie zu tragen.

Aufatmen ist erlaubt. Aber mehr auch nicht. Die Kommunalwahlen in vier West- und fünf Ostbundesländern in diesem Jahr werden noch viele solcher Kraftanstrengungen erfordern, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Ganz zu schweigen von den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst. Es ist fraglich, wie oft und wie lange es die anderen Parteien es schaffen werden, die eigenen politischen Wünsche hintanzustellen, um die AfD zu verhindern.

Ostwahlen: Die AfD erfordert eine Kraftanstrengung

Parteien und Wähler können so in den politischen Burnout rutschen, wie ein Blick ins Nachbarland zeigt. Aktuellen Analysen zur Lage der politischen Parteien in Frankreich stellen fest, dass viele Französinnen und Franzosen es satthaben, bestimmte Parteien wählen zu müssen, nur um die extreme Rechte zu verhindern. Die Gefahr des demokratischen Frustes droht auch bei uns.

Jan Dörner ist Chefreporter in der FUNKE Zentralredaktion.
Jan Dörner ist Chefreporter in der FUNKE Zentralredaktion. © Reto Klar | Reto Klar

Denn an die Stelle von Parteienwettstreit, dem Werben um eigene politische Konzepte und Zukunftsideen tritt das Argument: gegen die Rechtsextremen. Das Anliegen ist bitter nötig, allerdings auf Dauer schädlich für die Demokratie und die Parteien, die sich im Kampf gegen den Rechtsextremismus zusammenschließen. Es droht der Eindruck der Beliebigkeit. Erinnert sei daran, dass sogar FDP-Chef Christian Linder bereits im Hinblick auf die AfD mit dem Satz auffiel: „Es tut mir in der Seele weh, es zu sagen, aber im Notfall könnte man noch die Linkspartei wählen.“

Wagenknecht: Drohen mit ihrer Partei „Weimarer Verhältnisse“?

Noch komplizierter wird es schließlich, wenn nach Wahlen aus zersplitterten Mehrheiten Landesregierungen gegen die AfD gebildet werden müssen. Hinzu kommt, dass neue Parteien die politischen Mehrheiten weiter auffächern und Bündnisse erschweren können. Jüngstes Beispiel ist das frisch gegründete Bündnis von Sahra Wagenknecht. Und je mehr Stimmen auf Kleinparteien entfallen, die nicht ins Parlament kommen, desto einfacher wird es, an die Macht zu kommen. Der Meinungsforscher Manfred Güllner warnt in dem Zusammenhang vor Verhältnissen wie in der Weimarer Republik.

Ja, das Wahlergebnis Saale-Orla-Kreis ist eine Nachricht, die Hoffnung macht. Aber es ist auch eine Mahnung: Unsere Demokratie ist in Gefahr. Ihr Schutz erfordert Engagement, die Beteiligung bei Wahlen und einen langen Atem.