Berlin. Auf seiner Südamerika-Reise will Scholz Allianzen schmieden. Es geht darum, Putin zu isolieren. Doch das ist nicht das einzige Motiv.

Krieg, Krisen, Konkurrenz und Klimawandel – so lässt sich die Weltlage beschreiben. Für Deutschland und die Europäische Union heißt das: Ohne verlässliche internationale Partner wird es nicht gelingen, Wohlstand, Stabilität und Fortschritt zu sichern. Mit einer Südamerika-Reise will Kanzler Olaf Scholz in diesen Tagen die Beziehungen zu den demokratischen Staaten Argentinien, Chile und Brasilien politisch wie wirtschaftlich stärken. Dahinter steht ein neuer Realismus in der deutschen Außenpolitik.

Bestand zur Jahrtausendwende die Erwartung, dass sich die Demokratie unaufhaltsam über den Globus ausbreiten wird, ist mit dem Erstarken von Populismus und autoritären Regimen das Gegenteil eingetreten. Widerlegt ist auch die Annahme, dass vom globalisierten Handel alle Beteiligten profitieren. Die Weltwirtschaft ist vom Kampf um Energie und Rohstoffe geprägt. Russlands Angriff auf die Ukraine erschüttert die internationale Nachkriegsordnung. Durch die Erderwärmung könnten Teile des Planeten unbewohnbar werden.

Jan Dörner, Politik-Korrespondent
Jan Dörner, Politik-Korrespondent © PrivaT

Kanzler Scholz: Den Regenwald im Blick

Südamerika kommt angesichts dieser Herausforderungen eine Schlüsselrolle zu. Der Schutz des Amazonas-Regenwaldes gilt als unumgänglich, um den Klimawandel aufzuhalten. Scholz setzt deswegen demonstrativ große Hoffnungen auf den in Brasilien an die Macht zurückgekehrten Lula da Silva, obwohl dessen erste Amtszeit in einem Korruptionsskandal endete. Denn anders als sein rechtspopulistischer Vorgänger Bolsonaro will Lula die Abholzung des Urwaldes stoppen.

Mit dem Südamerika-Besuch verfolgt der Kanzler weitere Ziele: Als Lehre aus der Abhängigkeit von russischem Gas will Scholz nicht nur neue Energiequellen erschließen, sondern auch Deutschlands Zugriff auf andere Rohstoffe sichern. Deutschland soll sich so aufstellen, dass der Ausfall eines Lieferanten nicht mehr das gesamte Land in eine Krise stürzt. Der Kanzler zählt daher auf Südamerika als Produzent von grünem Wasserstoff. Zudem soll sich nicht allein China um die Vorkommen seltener Erden in der Region bemühen.

Ukraine: Warum es die Hilfe des globalen Südens braucht

Deutschland sei in der Vergangenheit davor zurückgeschreckt, etwa bei dem Abbau von Lithium mitzumischen: „Das ist so kompliziert und so schmutzig, das sollen einmal andere machen“, beschreibt das Umfeld des Kanzlers die bisherige Haltung. „Diesen Luxus können wir uns heute nicht mehr erlauben, wenn wir wirklich auf eigenen Füßen stehen wollen.“ Das Kanzleramt formuliert damit einen neuen Realismus im außenpolitischen Handeln.

Auf der Suche nach Verbündeten geht der Blick aber auch wegen des Kriegs in der Ukraine über den traditionellen Kreis westlicher Nationen hinaus. Scholz weiß: Um Putin international zu isolieren, muss der Widerstand auch aus Südamerika, Afrika und Asien kommen. Besonders von den Staaten, die sich Russland (meist aus historischen Gründen) verbunden fühlen. Es reicht auch in Zukunft nicht, wenn nur die alten Mächte in Europa und Nordamerika einem imperialistischen Herrscher die Stirn bieten. Auch das ist eine Folge der tektonischen Verschiebungen in der Geopolitik, die sich im Verlauf des Jahrhunderts noch verstärken werden.

Russland: Gemeinsame Marineübung mit China und Südafrika

Es ist eine kluge Strategie, im Bemühen um eine strategische Allianz der Demokratien gezielt auf die Länder der Südhalbkugel zuzugehen. Allerdings muss Scholz auch mit Rückschlägen rechnen. In Südafrika warb der Kanzler vor einigen Monaten für die Sichtweise des Westens im Konflikt mit Russland. Nun hält das Land gemeinsam mit Russland und China eine Marineübung vor seiner Küste ab – ausgerechnet zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine.