Sydney. Die Stadt Alice Springs greift im Kampf gegen Gewalt an jungen Menschen zu außergewöhnlichen Maßnahmen. Daran gibt es Kritik.

Seit einer Woche ist die Innenstadt in Alice Springs tabu für junge Menschen unter 18 Jahren. Die Regierung des Northern Territory, zu dem die größte Stadt im Zentrum Australiens gehört, hat ihr Geschäftsviertel für zunächst zwei Wochen für Jugendliche dichtgemacht: Unter 18-Jährige müssen zwischen 18 Uhr am Abend und 6 Uhr am nächsten Morgen draußen bleiben.

Zu der drastischen Maßnahme dieser Ausgangssperre führte eine ganze Reihe an gewaltsamen Ausschreitungen: So kam es zu einem Übergriff auf ein 16-jähriges Mädchen, das geschlagen und ausgezogen wurde. Ein 18-Jähriger starb mitten in der Stadt bei einem Verkehrsunfall, bei dem der Fahrer und weitere Passagiere flüchteten. Das Auto selbst war gestohlen. Nach einer Gedenkveranstaltung für den Verstorbenen griffen dann rund 70 Leute eine Taverne an. Bilder, die im Internet kursieren, zeigen, wie viel Wut sich dabei in den Menschen aufgestaut hat.

Einige der Ausschreitungen erklären sich aber auch durch Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen indigenen Völkern in der Region, so die Behörden. Etwa ein Viertel der Bewohner in der mit 30.000 Menschen größten Stadt im heißen Zentrum Australiens sind Aborigines.

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Alice Springs: „Kinder auf der Straße nicht sicher“

„Genug ist genug“, sagte die Ministerpräsidentin Eva Lawler schließlich, als sie im März eine zweiwöchige Ausgangssperre für unter 18-Jährige ankündigte. „Kinder sind auf der Straße nicht sicher“, sagte sie. Im Rahmen der Notfallmaßnahmen wurden zudem zusätzliche 60 Polizisten nach Alice Springs entsandt.

In Alice Springs zählen etwa ein Viertel der Bewohner zu den Aborigines – den indigenen Völkern Australiens.
In Alice Springs zählen etwa ein Viertel der Bewohner zu den Aborigines – den indigenen Völkern Australiens. © iStock | fotofritz16

Inzwischen ist eine der insgesamt zwei Wochen ins Land gezogen und sowohl Wirksamkeit als auch Sinn und Zweck der Notfallmaßnahmen werden seitdem im Land heftig debattiert. Einige indigene Gruppen und Gemeindeführer unterstützen die Aktion, so zum Beispiel die Ministerin für indigene Angelegenheiten, Linda Burney. „Ich hoffe, dies ist ein Wendepunkt, der die Sicherheit der Gemeinschaft verbessern wird“, schrieb sie auf der Plattform X.

In Australien sind deutlich mehr indigene Kinder in Haft

Andere geben dagegen zu bedenken, dass die Kinder mehr Unterstützung vor Ort bräuchten anstatt eine harte Hand der Polizei und noch mehr Bürokratie. Tatsächlich ist in ganz Australien die Rate der inhaftierten Kinder nach wie vor hoch: Offizielle Zahlen zeigen, dass sich in einer durchschnittlichen Nacht im Juniquartal 2023 mehr als 800 Kinder in Australien in Haft befanden. Fast 60 Prozent davon waren indigene Kinder. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit, inhaftiert zu werden, bei indigenen Kindern 29-mal höher als bei nicht-indigenen Jugendlichen.

Tracy Westerman, eine indigene Expertin für psychische Gesundheit, Suizidprävention und kulturelle Kompetenz, bezeichnete die „drakonischen Reaktionen“ in Alice Springs dann auch als „Dummheit“. „Man braucht keinen Doktortitel in klinischer Psychologie, wie ich ihn habe, um zu erkennen, dass die ‘Lösungen‘, die sie immer wieder finden, einen großen Teil des Problems ausmachen“, meinte sie.

Trotz kritischer Stimmen von Experten wie Westerman und juristischer Bedenken, dass die Ausgangssperre möglicherweise nicht einmal legal sein könnte, pochte Lawler diese Woche jedoch erneut darauf, dass dies die einzig richtige Lösung sei. „Während die Leute über die rechtlichen Herausforderungen sprechen, weiß ich, dass die Menschen vor Ort in Alice Springs absolut überglücklich sind“, meinte sie.

Kriminalität in Alice Springs: Nicht die erste Eskalation

Im vergangenen Jahr war die Lage in Alice Springs schon einmal so sehr eskaliert, dass sich selbst der australische Premierminister Anthony Albanese eingeschaltet hatte. Viele sahen damals einen Zusammenhang mit der Aufhebung eines Alkoholverbots in einigen indigenen Gemeinden. „Alkohol wird allgemein als wesentlicher Bestandteil der aktuellen Welle an Kriminalität in Alice Springs identifiziert“, hieß es damals in einem Fachartikel im akademischen Magazin „The Conversation“.

Es gibt Kritik an der harten Hand der Polizei – stattdessen fordern einige Stimmen mehr Unterstützung für die Kinder vor Ort.
Es gibt Kritik an der harten Hand der Polizei – stattdessen fordern einige Stimmen mehr Unterstützung für die Kinder vor Ort. © iStock | Kirsten Walla

Um die Lage zu deeskalieren, wurde das geschasste Alkoholverbot damals erneut verhängt und Albanese sagte Unterstützung in Millionenhöhe zu. Doch was aus diesen Geldern wurde, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Wirklich viel habe sich seitdem nicht getan, prangerte dann auch der Oppositionsführer Peter Dutton in einem Post auf sozialen Medien an. Tatsächlich ist es bisher eher das Engagement einzelner Personen, das zumindest einen kleinen Unterschied für Alice Springs und seine jungen Menschen macht.

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Da ist beispielsweise der Arrernte Boxing Club, dessen Gründer selbst früher ein junger und desillusionierter Teenager war, der zu einer Art „Therapieort“ für viele junge Männer geworden ist, oder die sogenannte „Strong Grandmothers Group“ – eine Gruppe indigener Großmütter – die nachts durch die Straßen von Alice Springs patrouilliert und mit Kindern auf der Straße spricht. Die Kinder seien „klasse“ und „intelligent“, sagte Sylvia Neale, eine der Großmütter, erst vor kurzem beim australischen Sender ABC. Man müsse ihnen nur mal eine Chance geben.