Washington/Philadelphia. Ein extrem potentes Betäubungsmittel verschärft die US-Opiatkrise. Die Droge “tranq“ sorgt für apokalyptische Szenen in Innenstädten.

  • Apokalyptische Szenen in den USA
  • Eine "Zombie"-Droge frisst Menschen auf
  • Die Hintergründe

Im Kensington-Kiez von Philadelphia ist man Kummer gewohnt. Das angeranzte Quartier in der „Stadt der brüderlichen Liebe” im US-Bundesstaat Pennsylvania ist seit Jahren für seine offene Drogen-Szene bekannt.

Was sich heute in dem städtischen Brennpunkt abspielt, hat jedoch eine völlig neue Qualität. Das liegt an „tranq” (gesprochen: tränk). Eine Substanz, mit der für gewöhnlich Tier-Ärzte im Zoo Giraffen, Elefanten und Hirsche vor Operationen sedieren.

Wie Zombies in der Horror-TV-Serie „The Walking Dead” schleichen die Drogenkranken von Kensington im Zeitlupen-Tempo über die Bürgersteige. Manche liegen wie tot regungslos auf dem Asphalt. Viele haben schwärende Wunden, eitrigen Abszess und Hautgeschwüre vor allem an Beinen und Füßen, die manchmal bis auf die Knochen reichen. Auffällig: die Zahl der Rollstühle, in denen amputierte Süchtige sitzen. Ihnen mussten wegen Nekrose die Extremitäten abgenommen werden.

USA: 48 von 50 US-Bundesstaaten betroffen

Freiwillig helfende Ärzte in Philadelphia erklären: „Der Stoff führt dazu, dass sich Blutgefäße derart zusammenziehen, dass schon nach kurzer Zeit Gewebe abstirbt. Das Zeug frisst die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes auf.”

Die Epidemie versetzt mittlerweile den Senat in Washington als auch das Weiße Haus in Alarmmodus. Xylazin, hat das ohnehin gewaltige Drogen-Problem in den USA zusätzlich verschärft.

Der Stoff wird zunehmend dem synthetischen Opiat Fentanyl beigemischt, das für das Gros der 110.000 Überdosis-Toten im Jahr 2022 verantwortlich ist. Weil „tranq” mittlerweile in 48 von 50 Bundesstaaten aufgetaucht ist und in fast einem Viertel aller von der Drogenbekämpfungsbehörde DEA sichergestellten Fentanyl-Pillen festgestellt wurde, spricht Rahul Gupta, der oberste Drogenbeauftragte der Regierung von Präsident Joe Biden von einer „neuen Bedrohung”.

Fentanyl werde durch Xylazin zur „tödlichsten Drogengefahr, die unser Land je erlebt hat”. Eine Bedrohung wohlgemerkt, der man bisher nicht viel entgegensetzen kann. Dabei hat die Zahl der „tranq”-bedingten Todesfälle laut Gupta vor allem in den Südstaaten der USA zwischen 2020 und 2021 um das Zehnfache zugenommen. Landesweit gibt die Gesundheitsbehörde CDC von 2018 bis 2021 einen Anstieg der spezifischen Todeszahl von 260 auf 3480 an.

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„Tranq”-Entzug ist die „Hölle”

Weil es kein Opiat ist, versagt bei mit „tranq” versetztem Fentanyl das inzwischen ortsübliche Narcan, ein Mittel gegen Überdosierungen. Teststreifen, die „tranq” ausweisen, sind noch Mangelware. Dazu kommt, dass Xylazin legal ist und kinderleicht übers Internet bestellt werden kann. Und: Konsumenten scheuen den Entzug, weil er mit massivsten physischen und psychischen Schmerzen verbunden ist. „Nie wieder gehe ich durch diese Hölle”, sagte ein 34-jähriger Junkie in einem Interview mit dem „Philadelphia Inquirer”.

Um der Materie Herr zu werden, hat der Senat gerade auf Veranlassung von Ted Cruz ein Gesetz verabschiedet. Alle Kompetenzen in der Drogenbekämpfung sollen gebündelt werden, um den rasanten Anstieg von „tranq”-Toten von 260 im Jahr 2018 auf rund 3500 im Jahr 2021 zu bremsen, sagte der Texaner, der 2016 Präsidentschaftskandidat der Republikaner war.

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Der Aufstieg von „tranq” ist nach Angaben von Experten gewissermaßen ein Kollateralschaden der immens verstärkten Bekämpfung von Fentanyl. Hier entzieht die Anti-Drogenbehörde DEA dem Markt in unregelmäßigen Abständen Mengen, mit denen theoretisch alle 340 Millionen Amerikaner ins Jenseits geschickt werden könnten. Die Drogen-Kartelle antworten darauf, in dem sie Fentanyl mit dem spottbilligen Xylazin strecken, weil so der Rauschzustand, erheblich verlängert wird.