Wolfsburg/Braunschweig. Das Land Niedersachsen gibt 11,5 Millionen Euro Anschubfinanzierung für den Campus. Inhaltlich geht es um die Kreislaufwirtschaft im Automobilbau.

Wird der kurze und knackige Film-Clip jemals Wirklichkeit, dann wäre Wolfsburg endlich das, was es neben seiner industriellen Potenz auch gerne leitmotivisch im Stadtwappen führen würde: „The place to be“ – ein Ort, wo man einfach leben und arbeiten muss. Den Film hat die Open Hybrid LabFactory (OHLF) in Auftrag gegeben. Gezeigt wurde er zum Auftakt einer Presseveranstaltung, die am Dienstagabend einige bedeutsame Macher aus der Region nach Wolfsburg führte. Die Technische Universität Braunschweig gab bekannt, dass sie einen Universitäts- und Innovationscampus am OHLF aufbauen wird.

Auch die Stadt Wolfsburg will Geld zuschießen

„Aufbauend auf den Erfolgen der Open Hybrid LabFactory wird gemeinsam mit dem Volkswagen-Konzern, der Fraunhofer-Gesellschaft und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften der Leuchtturm zu einem vollwertigen Campus mit Forschung, Lehre und Transfer weiterentwickelt“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Das Land wird das Projekt mit 11,5 Millionen Euro fördern, wie Falko Mohrs, niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur, mitteilt. Wolfsburgs Oberbürgermeister Dennis Weilmann (CDU) sagte, die Stadt werde „maßgeblich finanzielle Verantwortung übernehmen“. Inhaltlich soll es um eine Forcierung der Kreislaufwirtschaft im Automobilbau gehen – also um die Wiederverwertung von Rohstoffen und Materialien gerade auch im Hinblick auf Batteriezellen für Elektroautos.

VW-Marken beschäftigen sich schon längst mit Kreislaufwirtschaft

Das Thema bewegt schon längst auch die Automobilhersteller selbst. Das gilt auch für den Volkswagen-Konzern. Audi testet beispielsweise im Projekt MaterialLoop mit 100 gebrauchten Fahrzeugen, wie möglichst viele Materialkreisläufe bilanziell geschlossen werden können. Es liegt im Eigeninteresse der Unternehmen, angesichts komplexer und prekärer Versorgungsketten für Rohstoffe, alles zu unternehmen, um über das Re- und Upcycling möglichst vieler dieser teuren Stoffe und Komponenten wiederzugewinnen und weiter zu nutzen. Grundlagenforschung und Technologietransfer, wie sie die TU bereits jetzt beim automatisierten und digitalisierten Demontieren von Batteriesystemen betreibt, hat also einen echten Nutzeffekt für den Konzern.

VW-Vorstand Schmall: „Das volle Spektrum von der Mechanik bis zur Chemie“

Thomas Schmall, im Volkswagen-Vorstand für den großen Bereich Komponente und Technologie verantwortlich, hofft auf eine Entwicklung wie in der Smartphonebranche. Allerdings darf und muss es bei den Batterien für Elektroautos etwas schneller gehen als bei den Handys. Denn die Verheißungen einer emissionfreien Mobilität basieren ja auf der Idealvorstellung nachhaltiger Prozessketten. Dazu gehört zwingend auch die Wiederverwertung der Batterien und auch der übrigen Teile und Materialien. „Es geht um das volle Spektrum von der Mechanik bis zur Chemie“, ist sich Schmall der Herausforderung bewusst. Der Manager verspricht sich Impulse auch von Start ups, die sich im Umfeld von OHLF und Mobile Life Campus ansiedeln sollen. Der immer noch futuristisch anmutende Komplex im Westen Wolfsburgs – einst als „richtige“ Universität konzipiert – wird inzwischen vorwiegend als unternehmenseigene Fortbildungsstätte genutzt.

OB Weilmann: „Der Bebauungsplan gibt noch mehr her“

Platz für bauliche Erweiterungen ist auf jeden Fall vorhanden. „Der bestehende Bebauungsplan gibt noch mehr her“, deutete Oberbürgermeister Weilmann an. Er verspricht sich davon nämlich, dass die Stadt nun endlich wirklich ein Platz ist, wo man als junger Mensch künftig forschen und arbeiten muss. „Als Universitätsstandort unterstreichen wir unser Standing als ganzheitlicher, zukunftsfähiger Lebensort. Wir bündeln hier Forschung und Wissenschaft mit dem Know-How Volkswagens, einer exzellenten Infrastruktur, kurzen Wegen und enormer Schaffenskraft. Das ist ein klares Zeichen für ein konkurrenzfähiges Wolfsburg im internationalen Wettbewerb. Wolfsburgs Vorteile als wirtschaftsstarke Stadt – die gleichzeitig familienfreundlich ist und eine hohe Freizeitqualität aufweist – werden nun um eine Facette von höchster Ausbildungs- und Forschungsqualität ergänzt“, glaubt Weilmann.

Recycling wird profitabler Teil der Wertschöpfungskette

Die „Circular Economy“ wird, davon ist auch ohne regulatorischen Zwang auszugehen, ein unverzichtbares Glied in der neuen Wertschöpfungskette der Elektromobilität werden. Sie wird den Herstellern neue Profitquellen erschließen. Schmalls Komponenten-Konzern hat das bereits beim ID.7 von VW vorexerziert. 40 Prozent der Wertschöpfung verblieben im Konzern. Und das ist noch lange nicht das Limit. Volkswagen hat diesbezüglich einige Pluspunkte. Die starken Marken und ihre Zulieferer- und Forschungscluster verfügen über enormes Wissen und Kompetenzen. Zugleich sind auch die regionalen Netzwerke wie beispielsweise in unserer Region ein stabiles Fundament, um die Transformation zu meistern. In der Verlautbarung der Partner liest sich das so: „Die neue Einrichtung wird sich der gesellschaftlichen Herausforderung widmen, wie die industrielle Fahrzeugproduktion nachhaltig und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft gestaltet werden kann. Der existierende Forschungscampus bietet hierfür beste Voraussetzungen – sowohl durch die Kompetenzen vor Ort als auch das Kooperationskonzept in einer engen Partnerschaft mir privaten und öffentlichen Akteuren sowie durch die Forschungsinfrastruktur. Schon jetzt stehen die Themen Circular Economy, nachhaltige Produktion, Leichtbau und Materialentwicklung in Wolfsburg im Fokus.“

Die LabFactory hat mehr als 80 Millionen Euro eingeworben

Es geht aber ganz schnöde auch um die Werbung von öffentlichen und privaten Fördergeldern. Seit Bestehen der Open Hybrid LabFactory konnten bereits mehr als 350 Drittmittelprojekte mit einem Fördervolumen von mehr als 80 Millionen Euro eingeworben werden. Gegründet wurde das OHLF 2013 als Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP). Die Partner haben die Messlatte jetzt hoch gelegt. „Der neue Campus der TU Braunschweig in Wolfsburg verkörpert unsere Vision einer Universität der Zukunft. An diesem Standort kommen alle wichtigen Player zusammen, um nachhaltige Lösungen für globale Herausforderungen zu entwickeln. Wir streben an, mit dem neuen Campus ein Vorbild für innovative Forschung, Lehr- und Transferformate der Zusammenarbeit zu schaffen“, wird Professorin Angela Ittel, die Präsidentin der TU Braunschweig, in der Mitteilung zitiert. „Der Forschungscampus in Wolfsburg bietet ganz im Sinne der Mission der Fraunhofer-Gesellschaft hervorragende Rahmenbedingungen, damit aus Ideen Innovationen werden. In engem Schulterschluss mit der Universität, der Hochschule, Industrieunternehmen und lokalen Akteuren entwickeln wir in unserem Fraunhofer-Zentrum Circular Economy für Mobilität in Wolfsburg ganzheitliche Lösungen unter der Maßgabe der Nachhaltigkeit. Unser Ziel ist die Umsetzung von Innovationen für eine nachhaltige Mobilität zum Wohl der Gesellschaft und zur Stärkung der deutschen und europäischen Wirtschaft“, erklärt Professor Raoul Klingner, Direktor Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft.

Die Studierenden werden wohl zunächst das Pendler-Heer verstärken

TU-Vizepräsident Arno Kwade hob hervor, dass es sich bei der Campusgründung um etwas „Besonderes und Einzigartiges“ handele. Er schätzte, dass „übers Jahr bis zu 1000 Studierende“ zu Vorlesungen und anderen Lehrangeboten zum Thema Kreislaufwirtschaft nach Wolfsburg kommen könnten. Sie würden allerdings wahrscheinlich zunächst das Heer der Wolfsburg-Pendler verstärken. Ob sich die Träume des Oberbürgermeisters von einer lebendigen Uni-Community erfüllen werden, wird die Zukunft zeigen. Weilmann verwies auf die guten Erfahrungen mit der Programmierschule „42 Wolfsburg“ und der Kooperation des Wolfsburger Klinikums mit der Uni Göttingen. „Ich gehe davon aus, dass der neue TU-Campus den Hochschulstandort Wolfsburg deutlich aufwerten und ihm einen Schub geben wird“, betonte der Verwaltungschef.

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