Braunschweig. Ein neuer Mitarbeiter hat den Vertrag unterzeichnet, erscheint aber nicht zur Arbeit. Fälle von Ghosting nehmen zu. Wie Firmen vorbeugen können.

Die Suche nach neuen Mitarbeitern ist für viele Betriebe zur Herausforderung geworden. Einen Arbeitgebermarkt gibt es nicht mehr, die Bewerber geben vielfach den Ton an. Und auch, wenn ein Arbeitsvertrag unterzeichnet ist, können Unternehmer nicht mehr sicher sein, dass der neue Mitarbeiter auch kommt. Über dieses „Ghosting“ spricht Klaus Dettmar, Betriebs- und Gründungsberater der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Er erklärt, was Betriebe beim Anwerben neuer Mitarbeiter heute anders machen müssen und wie sie sie halten können – schon vor dem Einstieg in die Firma.

Herr Dettmar, das Thema „Ghosting“ hörte ich jüngst zum ersten Mal in Zusammenhang mit ausbleibenden Mitarbeitern in einem Handwerksbetrieb. Was steckt dahinter?

Der englische Begriff ist eher aus dem Zusammenhang mit Partnerschaften bekannt. Jemand verschwindet aus dem Leben eines anderen, ohne das vorher anzukündigen oder im Nachhinein noch erreichbar zu sein.

Und das passiert auch in der Arbeitswelt?

Ja, und schon lange, nur hat man es früher nicht so genannt. Jedem Menschen, der sich im Ausbildungs- oder Berufsleben schon einmal irgendwo beworben hat, initiativ oder auf eine ausgeschriebene Stelle, kann das schon passiert sein: Er hat keine Antwort vom Unternehmen erhalten. Das ist in Zeiten, in denen wir noch einen Arbeitgebermarkt hatten, häufiger passiert.

Klaus Dettmar ist Betriebs- und Gründungsberater der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade.
Klaus Dettmar ist Betriebs- und Gründungsberater der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. © hwk | Beata Lange

Den haben wir aber nicht mehr.

Genau, wir haben jetzt ganz klar einen Bewerbermarkt, in dem die Betriebe, auch Handwerksbetriebe, immer mehr verstehen, dass sie in die Personalgewinnung eine ganze Menge investieren müssen, um auf sich aufmerksam zu machen. Denn jetzt machen einige Arbeitgeber selbst die Erfahrung des Ghostings. Ein Bewerber, der sich schon im Unternehmen vorgestellt hat und mit dem man einen Arbeitsvertrag schließen will, taucht nicht mehr auf.

Ich habe gehört, dass Menschen sogar Arbeitsverträge unterschreiben und dann am ersten Arbeitstag nicht erscheinen.

Das ist eine weitere Stufe. Von der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags bis zum ersten Arbeitstag können Monate, bei Ausbildungen gar ein halbes Jahr oder länger vergehen. Eine kritische Zeit, in der Entscheidungen revidiert werden können. Ärgerlich für den Arbeitgeber, wenn der neue Mitarbeiter nicht erscheint. Es heißt, dass ein Großteil der Arbeitgeber so eine Erfahrung schon einmal gemacht haben soll.

Welche Konsequenzen ziehen Unternehmer aus solchen Erfahrungen?

Die Arbeitgeber müssen sich verstärkt darum bemühen, die zukünftigen Mitarbeiter bereits zu binden, bevor sie im Unternehmen anfangen. Das nennt man Pre-Boarding. Auch wenn der Mitarbeiter noch nicht im Betrieb arbeitet, kann man ihn zur Betriebsversammlung einladen, zum Betriebsfest. Wenn man in der Firma einen Grillabend veranstaltet, sollte er dabei sein, ebenso, wenn eine technische Fortbildung ansteht, die seinen Aufgabenbereich umfasst, kann er kommen, wenn er möchte.

Es ist auch okay, wenn er nicht kann oder möchte, aber er hat das Signal bekommen, dass er dem Arbeitgeber wichtig ist. Dazu gehört beispielsweise auch, ihm zum Geburtstag zu gratulieren, beispielsweise per Brief oder Whatsapp. Man kann sich auch dazu verabreden, ihm vor dem ersten Arbeitstag die Arbeitskleidung auszuhändigen oder das Werkzeug. Man kann eine ganze Menge machen. Und da sind Handwerksbetriebe, auch kleine Handwerksbetriebe, schon sehr kreativ.

Sie sprachen vom Bewerbermarkt. Hat sich auch die Art und Weise verändert, wie Unternehmen Bewerber überhaupt auf sich aufmerksam machen?

Ja, Handwerksbetriebe wie auch andere Unternehmen haben große Schwierigkeiten, Personal zu gewinnen. Da gilt zuallererst: Wenn man einen geeigneten Kandidaten gefunden hat, sollte man nicht auf einen besseren warten. Warum viel Zeit bis zum nächsten Gespräch verstreichen lassen? Der Bewerber sollte das Gefühl bekommen, vom ersten Moment an wertgeschätzt zu werden. Stellen Sie ihn ein. Und wenn noch ein besserer kommt, stellen Sie den auch ein oder geben Sie den Kontakt an einen anderen Handwerksbetrieb weiter. Über alle Branchen hinweg dauert die Besetzung einer offenen Stelle in Deutschland im Schnitt 254 Tage. Betriebe sollten keine Chance verstreichen lassen.

Das hört sich auch nach neuen Wegen für das Anwerben von Kandidaten an.

Ja, die Anforderungen an die Bewerbung sind heute deutlich niedrigschwelliger als noch vor Jahren. Wer die klassischen vollständigen Bewerbungsunterlagen einfordert, kann lange auf Bewerbungen warten. Die Hürde ist zu hoch. Das ist etwas, das die Generation Z, also die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, oder auch die Generation Y, die zwischen 1981 und 1995 Geborenen, in der Regel nicht mehr macht. Die Frage ist eher, wie der Bewerber schnell mit mir Kontakt aufnehmen kann, am besten über eine Handynummer, per Whatsapp. Selbst Emails sind bei der Generation Z verpönt, auch wenn es durchaus noch Bewerber gibt, die auch eine Email schicken. Wenn sich dann jemand meldet, sollte man schnell reagieren und die Kontaktaufnahme nicht aufschieben, vielleicht den Kandidaten einfach mal zum Kaffee einladen.

Und wenn der Mitarbeiter im Betrieb angekommen ist?

Auch da gilt eine besondere Aufmerksamkeit. Warum dem neuen Kollegen nicht einen Paten oder eine Patin zur Seite stellen, der erster Ansprechpartner ist? Das Signal muss sein: Wir kümmern uns um dich, fachlich, sozialkulturell und organisatorisch. Das ist das On-Boarding.

Machen die Betriebe das nicht schon vielfach?

Die Entwicklung wird noch stärker hin zum Bewerbermarkt gehen. Daher muss man sich noch mehr Gedanken dazu machen, wie man die Prozesse bei Anwerbung, Pre- und On-Boarding optimieren kann. Ich glaube, dass da draußen noch sehr viele Betriebe sind, bei denen noch Luft nach oben ist.

Kann man den Schaden beziffern, der dadurch entsteht, dass neue Mitarbeiter erst gar nicht erscheinen?

Eine Zahl zu nennen, ist schwierig. Aber der rote Faden, eigentlich das dickes rote Tau, durch alle Gewerke hindurch, ist, dass die Betriebe mehr als genug Aufträge haben, aber dass die Leute dafür fehlen. Ein Malerbetrieb aus dem Heidekreis hat jüngst auf einen Schlag drei von sechs Gesellen verloren. Der Betrieb muss Aufträge, die er bereits zugesagt hat, stornieren oder verschieben, wenn sich der Kunde darauf einlässt. Und der Geschäftsführer ist es natürlich, der den Kunden absagen muss, was für den Ruf des Betriebs nicht gut ist. Welcher Umsatz da verloren geht, ist individuell unterschiedlich. Ein Mitarbeiter bringt auf den Monat gesehen gut und gerne den zwei- oder dreifachen Umsatz seiner Lohnkosten ein.

Gibt es da rechtlich eine Handhabe, wenn ein zukünftiger Mitarbeiter einen unterschriebenen Vertrag nicht erfüllt?

Arbeitgeber können natürlich in den Arbeitsvertrag mit aufnehmen, dass er wegen Umsatzverluste Schadenersatz geltend macht, wenn der Mitarbeiter seinen Vertrag nicht erfüllt. Aber was ist das für ein Start? Für den künftigen Mitarbeiter stärkt so eine Vertragsklausel nicht gerade das Willkommensgefühl. Die Durchsetzbarkeit ist zudem die andere Frage.

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