Braunschweig. Das Team des Klinikums Braunschweig erklärt, was während einer Geburt passieren kann: Und warum ein Geburtsplan keine schlechte Idee ist.

Für Schwangere ist die Geburt mit vielen Ängsten und Unsicherheiten verbunden, aber auch mit Hoffnungen und Erwartungen. Im Städtischen Klinikum Braunschweig kommen jährlich mehr als 2000 Kinder zur Welt; in fünf Kreißsälen sind immer drei Hebammen im Dienst. Anlässlich der Weltwoche der Geburt erzählen die Oberärztinnen Dr. Kerstin Hartmann und Dr. Anja Peine sowie die leitende Hebamme Karin Oppe von ihren Erfahrungen – und geben Müttern und Partnern Tipps für die Vorbereitung.

Wie gut sollte ich vorbereitet sein, wenn ich in den Kreißsaal komme?

Karin Oppe: Manche kommen mit einem sehr genauen Geburtsplan zu uns, andere ganz ohne Vorstellungen – das ist ganz gemischt. Es ist schon von Vorteil, sich vorher Gedanken gemacht zu haben und sich zu informieren, einen Vorbereitungskurs zu besuchen. Wir sprechen dann darüber und schauen, was möglich ist; und wenn etwas nicht möglich sein sollte, dann schauen wir, wie wir übereinkommen. Schwierig kann es werden, wenn eine Mutter gar nicht von ihrem Plan abweichen möchte. Denn ungeplantes kann bei einer Geburt immer passieren.

Welche Wünsche haben die Mütter?

Dr. Anja Peine: Ganz oft wünschen sich die Mütter Dinge, die wir sowieso selbstverständlich anbieten. Zum Beispiel das Kind direkt auf den Bauch zu legen nach der Geburt, die Nabelschnur auspulsieren lassen, Bonding. Manche wünschen sich Schmerzmittel – andere wollen unbedingt darauf verzichten. Die meisten wünschen sich eine engmaschige Betreuung. Das sind natürliche Wünsche, die wir immer versuchen, umzusetzen.

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Und wie realistisch ist es, dass meine Vorstellungen von der Geburt in die Realität übertragen werden können?

Karin Hoppe: Häufig verläuft die Geburt schon ganz nach den Wünschen der Frau.

Dr. Kerstin Hartmann: Es kann aber auch sein, dass sich eine Mutter vorher etwas überlegt hat, das sie dann im Laufe der Geburt wieder über Bord wirft. Zum Beispiel, wenn es um eine Periduralanästhesie (PDA) oder Schmerzmittel insgesamt geht. Wir beraten die Frauen, was zu welcher Zeit sinnvoll ist und gehen auf die aktuellen Wünsche ein.

Gibt es denn Geburts-Trends?

Karin Oppe: Es gibt schon Trends, die in Wellenbewegungen kommen und gehen. Vor ein paar Jahren war zum Beispiel die Wassergeburt sehr oft nachgefragt. Das hat mittlerweile abgenommen – wobei das vielleicht auch an der Pandemie liegt, weil wir die Wassergeburt währenddessen nicht anbieten konnten. Mittlerweile nutzen wir die Geburtswanne nur noch vielleicht drei, viel Mal im Monat.

Anja Peine: Viele Frauen haben unter der Geburt aber ganz andere Bedürfnisse, als sie vorher denken.

Kerstin Hartmann: Wir sind da sehr anpassungsfähig.

Wie wichtig ist die Kommunikation während der Geburt?

Karin Oppe: Sehr wichtig. Wir bemühen uns sehr, all unsere Schritte zu begründen. Es kann immer mal sein, dass etwas nicht oder falsch verstanden wird. Wir bieten daher Nachbesprechungen der Geburt an, besonders, wenn schnelle Entscheidungen nötig geworden sind.

Dr. Kerstin Hartmann, Karin Oppe und Dr. Anja Peine berichten von ihrer Arbeit im Kreißsaal des Klinikums Braunschweig.
Dr. Kerstin Hartmann, Karin Oppe und Dr. Anja Peine berichten von ihrer Arbeit im Kreißsaal des Klinikums Braunschweig. © regios24 | Darius Simka

Anja Peine: Wir versuchen schon viel zu reden: Auch direkt nach der Geburt, erklären den Geburtsverlauf. Wenn Fragen offen sind, warum wir auf eine bestimmte Weise handeln mussten, dann wird das erläutert.

Welche aus Sicht der Schwangeren unvorhergesehenen Dinge können bei einer Geburt passieren?

Anja Peine: Der unangenehmste Fall ist sicher die Notsectio, der Notkaiserschnitt. Das ist für ein Paar eine starke psychische Belastung.

Kerstin Hartmann: Auch für uns ist diese Situation schwierig. Solch eine Entscheidung müssen wir manchmal innerhalb von Sekunden fällen. Da machen wir es uns nicht leicht, diese Situation will man wirklich vermeiden. Aber: Manchmal geht es um Leben und Tod, des Kindes oder auch der Mutter. Wir haben also wenig Zeit. Trotzdem versuchen wir in diesen Fällen, den Müttern und ihren Partnern so gut es geht zu erklären, was passiert. Empathie ist wichtig.

Wann wird eine Notsectio nötig?

Kerstin Hartmann: Zum Beispiel, wenn die Herztöne des Kindes stark abfallen und sich trotz ergriffener Maßnahmen nicht erholen, oder es einen Nabelschnurvorfall gibt – dann müssten wir handeln.

Was, wenn die Geburt nicht voran geht?

Karin Oppe: Ein Geburtsstillstand kann während der Eröffnungsphase oder während der Austrittsphase eintreten. Ab wann man von so einem Stillstand spricht, ist individuell zu betrachten: Wenn zum Beispiel in der Austrittsphase das Kind zwei Stunden lang schon mit dem Köpfchen zu sehen ist, aber nicht weiter tiefer tritt, kann man davon sprechen. Oder, wenn in der Eröffnungsphase trotz Wehen über Stunden keine weitere Öffnung des Muttermundes eintritt.

Welche Optionen haben Sie in solchen Fällen?

Karin Oppe: Wenn es darum geht, dass sich das Kind nicht so dreht, wie es das für die Geburt sollte, können zum Beispiel verschiedene Lagerungsmaßnahmen und Übungen versucht werden. Bei einem Geburtsstillstand in der Austrittsphase kommt dann im äußersten Fall die Saugglocke , heutzutage eher selten die Geburtszange, zur Anwendung – damit können wir dem Kind dann auf die Welt helfen.

Das stelle ich mir schmerzhaft vor...

Anja Peine: Es ist alles eine Frage der Kommunikation, auch hier. Wenn man von vornherein mit der Mutter gut kommuniziert, bespricht, was möglich ist und warum die Saugglocke notwendig ist, sich außerdem ihr Einverständnis holt, ist es für die meisten Frauen nicht so traumatisierend, wie es klingt.

Karin Oppe: Im Gegenteil, gerade wenn das Kind kurz vor der Geburt steht – und also schon seit einiger Zeit im Geburtskanal steckt –, kann das eine Erleichterung sein. Das ist ja ein Moment der maximalen Spannung für die Frau und sehr unangenehm. Gesprächsbedarf entsteht vor allem dann, wenn sich die Frau von den Geschehnissen überrumpelt fühlt. Deshalb ist es so wichtig, zu erklären, was passiert.

Gibt es im Kreißsaal manchmal auch Enttäuschung aufseiten der Mütter?

Kerstin Hartmann: Gerade beim ersten Kind dauert das Warten auf den wirklichen Start der Geburt manchmal sehr lange und ist belastend. Da ist schon manchmal Enttäuschung dabei. Deshalb ist es gut, wenn in der Geburtsvorbereitung die unterschiedlichen Phasen der Geburt besprochen werden.

Wie wichtig ist die eigene Intuition unter der Geburt?

Karin Oppe: Die Gebärende sollte die Kraft des eigenen Körpers wahrnehmen, aber auch nicht zu schwer gewichten. Denn das heißt ja nicht, dass die Frau irgendetwas falsch gemacht hätte, wenn es mal nicht klappt mit der Spontangeburt. Wir wollen es unbedingt vermeiden, dass die Mütter später Schuldgefühle haben, weil sie es nicht „geschafft“ haben.

Karin Oppe: Ja, ich habe das Gefühl, dass es manchmal einen hohen Erwartungsdruck gibt. Durch das, was die Frauen im Internet, speziell in verschiedenen Foren lesen. Super ist es, wenn die Partner die Mutter positiv unterstützen in ihren Entscheidungen unter der Geburt, auch, wenn diese abweichen von dem, was sie vorher gesagt hat.

Wie stehen Sie zu Geburten aus Beckenendlage?

Kerstin Hartmann: Wir empfehlen diesen Frauen dann zunächst eine äußere Wendung aus Beckenendlage in Schädellage, aber die Frauen haben auch die Möglichkeit, bei uns aus Beckenendlage unter bestimmten Voraussetzungen spontan zu entbinden. Hier muss man genau hinschauen und im Einzelfall sehen, was möglich ist.

Wie sieht es mit Spontangeburten bei Zwillingen aus?

Kerstin Hartmann: Auch Zwillinge können bei uns unter bestimmten Voraussetzungen auf natürlichem Wege auf die Welt kommen. Es ist eine besondere Situation, weil es zwei Kinder sind, die nacheinander geboren werden – es zählt aber als eine Geburt. Es sind dann meistens zwei Ärzte und zwei Hebammen dabei.

Wie stehen Sie zum Kaiserschnitt?

Karin Oppe: Es ist gut, dass wir die Möglichkeit haben, wenn eine natürliche Geburt nicht möglich ist.

Kerstin Hartmann: Es ist gut und wichtig, dass wir alle Optionen haben. Wir beraten hierzu möglichst vorab in unserer Risikosprechstunde, welcher Geburtsmodus, abhängig von individuellen Faktoren und Risiken, für sie die richtige Wahl ist. Unsere Kaiserschnittrate liegt leicht über dem Durchschnitt, aber das liegt auch daran, dass wir als Level-1-Perinatalzentrum auch an der Grenze zur Lebensfähigkeit entbinden und viele Risikoschwangerschaften betreuen.

Aber der Kaiserschnitt ist nicht Ihr Mittel der Wahl?

Auch Zwillingsgeburten sind ohne Kaiserschnitt möglich, wenn alles passt. Das Glück nach der Geburt belohnt nicht nur die Eltern, sondern auch das geburtshilfliche Team.
Auch Zwillingsgeburten sind ohne Kaiserschnitt möglich, wenn alles passt. Das Glück nach der Geburt belohnt nicht nur die Eltern, sondern auch das geburtshilfliche Team. © dpa | Waltraud Grubitzsch

Kerstin Hartmann: Es gibt einige Indikationen, wo der Kaiserschnitt absolut der empfohlene Entbindungsmodus ist. Wir möchten aber jeder Frau helfen, den für sie richtigen Weg zu finden. Das gilt zum Beispiel auch für Frauen, die schon mal einen Kaiserschnitt hatten, für ihr zweites Kind aber eine natürliche Geburt wünschen. Das ist meistens sehr gut möglich. In solchen Fällen sowie bei allen Risikoschwangerschaften ist es jedoch gut, ein Vorgespräch zu führen, damit wir auf den individuellen Fall schauen und eine Lösung finden können.

Wie bereite ich mich am besten auf eine Geburt bei Ihnen vor?

Karin Oppe: Bei uns gibt es die Möglichkeit, sich vorher anzumelden. Das hat den Vorteil, dass die Schwangere nicht unter Wehen erst noch etwas ausfüllen muss, wenn es soweit ist. Außerdem können wir dann anhand der Angaben sehen, ob noch Beratungsbedarf besteht. Sie finden diesen Anamnesebogen auf unserer Internetseite und können ihn an uns per E-Mail schicken.

Wenn es nun losgeht: Wann komme ich in den Kreißsaal?

Karin Oppe: Sehr unterschiedlich. Wir sagen, in der Regel können Sie beim ersten Kind zu uns kommen, wenn die Wehen regelmäßig alle fünf bis sechs Minuten kommen oder aber die Fruchtblase gesprungen ist. Beim zweiten Kind dann deutlich früher – da kann es schon mal schnell gehen. Aber: Wenn Sie sich aus irgendeinem Grund unsicher fühlen, kommen Sie ruhig vorbei. Es ist nicht schlimm, noch einmal nach Hause geschickt zu werden– und wir können bei der Gelegenheit schon einmal schauen, dass es dem Baby und Ihnen gut geht.

Was sind die größten Ängste der Schwangeren?

Anja Peine: Dass sie zu spät losfahren und nicht rechtzeitig im Kreißsaal ankommen. Dass sie allein gebären müssen, auf der Straße oder in einer Situation, in der es so gar nicht passt.

Aber das sind die großen Ausnahmen, oder?

Karin Oppe: Wir haben das schon ab und an. Ich glaube, bei uns kann jede eine Geschichte dazu erzählen...

Anja Peine: Es überrascht uns jedenfalls nicht. Vielleicht fünf bis sieben Mal im Jahr passiert es schon, dass jemand im Auto entbindet oder eine ungeplante Hausgeburt hat.

Bis jetzt haben wir uns auf die Schwangeren konzentriert: Welche Belastung sind die Geburtsprozesse denn für das Team?

Anja Peine: Das ist manchmal schon eine psychische Belastung. Aber wir reden viel miteinander, das fängt einiges ab.

Karin Oppe: Wir betreuen auch Totgeburten. Das ist für alle Beteiligten natürlich eine große Belastung, aber es ist für uns auch eine sehr, sehr wichtige Tätigkeit. Gerade für unsere noch nicht erfahrenen Kolleginnen ist es eine schwierige Situation. Es ist uns jedoch eine Herzensangelegenheit, die Familien in dieser grausamen Situation empathisch zu begleiten und ihnen viel Zeit mit ihren Kindern zum Abschied nehmen zu ermöglichen.

Was ist für Sie in der Geburtshilfe wichtig?

Karin Oppe: Die Eins-zu-Eins-Betreuung ist uns wichtig. Das ist das wichtigste politische Ziel für uns.

Kerstin Hartmann: Eine Eins-zu-Eins-Betreuung ist sicherlich wünschenswert, bei dem derzeitigen Fachkräftemangel aber nicht immer umsetzbar und zum anderen auch nicht gegenfinanziert. Für uns ist eine patientenorientierte, sichere Geburtshilfe wichtig.

Karin Oppe: Die Erfahrung zeigt: Je besser die Betreuung und Unterstützung, umso interventionsärmer die Geburt. Zum Glück haben wir Hebammenschülerinnen und -studierende, die unser Team verstärken. Daher sind wir gut aufgestellt. Der bundesweite Hebammenmangel betrifft aber grundsätzlich alle. Worüber wir uns freuen, ist, dass die Frauen sich bei uns gut aufgehoben fühlen. Wir hören oft, dass es bei uns sehr persönlich zugeht, und dass es nicht der „Massenbetrieb“ ist, den manche Schwangere bei einem Level-1-Krankenhaus befürchten.

Kerstin Hartmann: Es gibt ja auch Schwangere, die wir aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen, etwa einem frühen vorzeitigen Blasensprung, sehr lange bei uns stationär betreuen. Da entsteht natürlich auch eine emotionale Bindung. Die ist für uns wichtig – und das wollen wir allen Familien bieten können.

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