Braunschweig. Eigentlich wissen alle, wie wichtig nach Autobahn-Crashs Rettungsgassen sind – eigentlich… Warum kommt es dennoch immer wieder zu Behinderungen?

Es geht nicht um Eile im Sinne einer Allerwelts-Eile. Eilig sind wir alle andauernd, Motto: Sorry, ich hab’s leider gerade eilig. Nein, hier geht es um Sekunden. Angenommen, nach einem Unfall sind Menschen eingeklemmt: Wie kommt die Feuerwehr, wie kommt die Notärztin zum Unfallort? Durch die Rettungsgasse.

Und hier liegt – nicht oft, schon gar nicht immer, aber leider eben immer wieder – das Problem. Denn die wird nicht richtig gebildet. Oder gar nicht. Oder sogar von anderen, ganz besonders „eiligen“ Fahrern ihrerseits genutzt, um dem Unfallstau ein Schnippchen zu schlagen.

Dass eingeklemmte Unfallopfer in höchster Not kein horribles Ausnahmeszenario sind, weiß Winfried Cronauge. Pardon, Brandoberamtsrat Winfried Cronauge, so viel Zeit muss sein. Der Mann aus dem Münsterland, Jahrgang 1966, hat einiges erlebt. Nach dem Maschinenbau- und Sicherheitstechnik-Studium hat er bei Mercedes-Benz und im Erkundungsbergwerk Gorleben gearbeitet, bevor er 2001 zur Feuerwehr Braunschweig kam.

Horror-Unfall bei Braunschweig

Winfried Cronauge, Brandoberamtsrat, Feuerwehr Braunschweig
Winfried Cronauge, Brandoberamtsrat, Feuerwehr Braunschweig © Privat | Privat

Der Anlass unseres Gespräches: Als Einsatzleiter war Cronauge am 14. September zu einem Unfallort auf der A2 unterwegs. Zwischen Braunschweig-Flughafen und Braunschweig-Nord hatte es gekracht.

Von einem zufällig vorbeifahrenden Rettungswagen aus Meine wusste Cronauge schon: Zwei Menschen sind lebensgefährlich verletzt und noch in Fahrzeugen eingeklemmt. „Doch auf allen drei Spuren stauten sich die Lkw – wir kamen einfach nicht durch, selbst unser Einsatzleitfahrzeug nicht, ein Mercedes-Vito, der wirklich nicht so breit ist“, erinnert er sich.

Trotz des pressluftverstärkten Martinshorns, trotz der Lautsprecherdurchsagen änderte sich dies nur quälend langsam. „Das hatte ich noch nie, dass ich tatsächlich aussteigen und bei Lkw-Fahrern an die Fahrertür klopfen musste. Und einer, das war sozusagen die Krönung, der machte selbst dann noch nicht Platz, als vor ihm ein anderer schon zur Seite fuhr. Ist doch klar, dass auch bei uns die Zündschnur dann kürzer ist. Den habe ich fotografiert und angezeigt.“

Um vor dem Thema Strafen fürs Gassen-Gestümper das Wesentliche noch loszuwerden: Cronauges Team kam rechtzeitig an der Unfallstelle an, konnte durchs Aufschneiden des Daches die Personen befreien – alle sollen überlebt haben, so hat es der Einsatzleiter gehört.

Keine Rettungsgasse bilden: Welches Bußgeld wird fällig?

Dass der Brandoberamtsrat seine Erfahrung exklusiv hat, kann man nicht behaupten. Von der Rettungsgasse ist öfter die Rede. Juristisch ist die Sache eh klar. Hier die Definition aus der Straßenverkehrsordnung: „Sobald Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden, müssen diese Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen für eine Richtung eine freie Gasse bilden.“ Was nur klappt, wenn zunächst die Fahrzeuge links ganz an den linken und rechts ganz nah an den rechten Rand gelenkt werden (der Standstreifen hat streng genommen nichts damit zu tun).

In der Straßenverkehrsordnung steht „müssen“, das alles ist keine freiwillige Nettigkeit. Weshalb Fahrern, die keine Rettungsgasse bilden, neuerdings 200 Euro Bußgeld drohen, zwei Punkte in Flensburg und ein Monat Fahrverbot. Wenn es durch ihr Verhalten zu Behinderungen und Gefährdungen kommt, werden die Strafen angezogen. Und doch kommt es immer wieder zu Missverständnissen.

Stichprobenartig haben wir anlässlich des Unfalls vom 14. September Polizeiberichte aus dieser Zeit durchgesehen und festgestellt: Die Probleme sind keine Seltenheit – und werden von Polizei und Feuerwehr immer häufiger betont. Ein paar Beispiele: Ebenfalls A2, Mitte September: „Als die Autobahnmeisterei auf dem Weg Richtung Unfallort war, stellte sie fest, dass ihr zwei Fahrzeuge durch die Rettungsgasse folgten...“ Oder 11. September, bei Altenkirchen, Rheinland-Pfalz: „Der 77-jährige Fahrer wich nach links in die Rettungsgasse aus, fuhr so an den wartenden Fahrzeugen vorbei und frontal auf den Rettungswagen zu…“ Ebenfalls 11. September, bei Schwäbisch Hall: „Ein 61-jähriger Motorradfahrer nutzte verbotenerweise die Rettungsgasse und wurde von einem 50-jährigen Fahrer eines Pkw-Jaguar übersehen...“ Oder 15. September, bei Ludwigsburg: „Die Rettungsgasse wurde nur mangelhaft bis gar nicht gebildet. Die Polizei verzeichnete diesbezüglich zehn Verstöße…“ Zum Glück findet man aber auch solche Notizen (aus dem Ruhrgebiet): „In diesem Zusammenhang bedankt sich die Berufsfeuerwehr Oberhausen für die vorbildlich gebildete Rettungsgasse…“

Verkehrspsychologe: Der Stau als „Runterzieher“

Der Braunschweiger Verkehrspsychologe Dr. Dirk-Antonio Harms.
Der Braunschweiger Verkehrspsychologe Dr. Dirk-Antonio Harms. © Privat | Privat

Also nun die Frage aller Fragen: Warum? Wieso ist es „mit der Rettungsgasse oft eine echte Katastrophe“, wie ein Karlsruher Hauptkommissar jüngst den „Badischen Neuesten Nachrichten“ sagte?

Der Braunschweiger Verkehrspsychologe Dr. Dirk-Antonio Harms findet zunächst eine Differenzierung wichtig: Viele Fahrerinnen und Fahrer wüssten womöglich nicht, was genau zu tun sei – oder kämen mit ihren Autos nicht so gut zurecht. Bezüglich der kleineren, aber natürlich hochproblematischen Gruppe derer, die abgebrüht versuchen, ein bisschen schneller zu sein, holt der Psychologe etwas weiter aus. Über die von vielen generell als Frust empfundenen Autobahnfahrten, über den „Runterzieher“ Stau und über Konkurrenzgefühle spricht Harms und erwähnt auch die Schwierigkeit, sich den Unfall konkret vorzustellen. Hinzu komme aber bei den wirklich notorischen Fällen noch ein anderes Gefühl: „Das wird schon. Geht ja schnell. Ich komme da durch.“ Diese Haltung lege man nicht von heute auf morgen ab, meint Harms. Da brauche es echtes Umdenken.