Braunschweig. Verkehrspsychologe Mark Vollrath untersucht den Faktor Mensch in der Mobilität. Er setzt auf fahrradfreundliche Städte

Für einen Forscher wie ihn ist das 9-Euro-Ticket wie ein wahrgewordener Traum, sagt Mark Vollrath. Der Verkehrspsychologe der Technischen Universität Braunschweig forscht seit Jahren zur Frage, was Menschen dazu bewegt, das Auto stehen zu lassen und auf effizientere und umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie Bus, Rad oder Bahn umzusteigen.

Da das 9-Euro-Ticket gleich mehrere Voraussetzungen erfüllt, die den öffentlichen Nahverkehr seiner Ansicht nach attraktiver machen könnten, begleiten Vollrath und sein Team die Monate Juni bis August, in denen das Ticket gilt, mit einer großangelegten Studie. Sie ist eins der Themen in der neuen Folge unseres Wissenschaftspodcasts „Forsch!“.

Von Resonanz auf das 9-Euro-Ticket überrascht

Herausfinden möchte der Verkehrspsychologe, wer unter welchen Umständen das Ticket nutzt, wie die Menschen ihre täglichen Wege zurücklegen und was sie über das Mobilitätsangebot in ihrer Umgebung denken. Abgefragt wird all dies drei Mal: vor dem Start des 9-Euro-Tickets, währenddessen (im August) und danach. Momentan werten die Forscher die erste Stufe der Befragung aus, an der laut Vollrath mehr als 3600 Menschen teilgenommen haben. Ohne Ergebnisse vorwegnehmen zu wollen, spricht er von einer „extrem positiven Resonanz“. Rund 90 Prozent der Befragten hätten vorab erklärt, das Ticket nutzen zu wollen. Ein beachtliches Ergebnis, findet er, auch wenn nicht auszuschließen sei, „dass diese Zahl einen gewissen verzerrenden Bias-Effekt beinhaltet“ – durch die Gruppe der freiwilligen, nicht repräsentativ ausgewählten Teilnehmer.

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Überraschend sind aus Vollraths Sicht zwei vorläufige Befunde: So wollten offenbar weniger Menschen das Ticket für „völlig neue Möglichkeiten der Mobilität“ benutzen, als dies Medienberichte, etwa über nach Sylt reisende Punks, nahelegten. „Tatsächlich wollen unerwartet viele Befragte das Ticket für Wege im Alltag nutzen“, sagt er. Das sei erfreulich, „denn genau das wollen wir ja erreichen“. Ebenfalls überraschend aus seiner Sicht: „Viele führen stark moralische Gründe dafür an, den ÖPNV stärker nutzen zu wollen.“ Bemängelt würden allerdings von Vielen die schlechten Taktungen von Bus und Bahn – vor allem auf ländlichen Strecken.

Verkehrswende „weg von dieser Individualmobilität“

„Wenn Sie junge Leute fragen, steht heute nicht mehr der Führerschein oder das eigene Auto an erster Stelle, sondern das Handy“, sagt Verkehrspsychologe Mark Vollrath.
„Wenn Sie junge Leute fragen, steht heute nicht mehr der Führerschein oder das eigene Auto an erster Stelle, sondern das Handy“, sagt Verkehrspsychologe Mark Vollrath. © BZV | PETER SIERIGK

Die Verkehrswende – für Vollrath bedeutet das vor allem: weniger Autoverkehr. „Weg von dieser Individualmobilität, bei der meistens ein Fahrer in einem Auto sitzt, in Fahrzeugen, die zudem immer größer werden, das ist für mich das Kernthema.“ Er ist überzeugt, dass wir uns „in einem Lebensraum ohne Autos wohlfühlen“. Wie kann man die Leute also zum Umsteigen bewegen? – Für ihn die verkehrspsychologische Leitfrage.

Kann er nachvollziehen, dass diese Frage für manchen, der vielleicht gern Auto fährt, einen bevormundenden Beigeschmack haben könnte? „Ja, schon klar“, sagt Vollrath zustimmend. Umso mehr gelte es deshalb aber zu fragen, aus welchen Gründen jemand bislang lieber mit dem Auto zur Arbeit pendelt. Flexibilität, Privatheit, Schnelligkeit oder Prestige könnten solche Motive sein. Der Wissenschaftler sieht die Gemengelage dieser Beweggründe aber in einem Wandel begriffen: „Wenn Sie junge Leute fragen, steht heute längst nicht mehr der Führerschein oder das eigene Auto an erster Stelle. Viel wichtiger ist heute das Handy.“

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Trend zum SUV nur „letzte Zuckungen“

Und wie ordnet Vollrath die Verkaufsrekorde bei SUV-Modellen oder die staunenswerte Expansion des US-Autoherstellers Tesla ein? Alles nur letzte Zuckungen? „Ich hoffe mal“, sagt er und lacht. Seine Hoffnungen ruhen auch hier auf der jüngeren Generation.

Außerdem freut sich Vollrath über die „Renaissance des Fahrrads“. Studien zeigten: In den letzten drei bis vier Jahren habe es eine deutliche Zunahme der Radnutzung gegeben. Und darauf stellten sich immer mehr Städte ein. Zum Beispiel Paris: Dort habe man ganze Straßenzüge in Fahrradstraßen umgewandelt. „Plötzlich ist noch mehr Leben auf der Straße als vorher schon gewesen ist. Das sind natürlich Effekte, die wir eigentlich auch gern bei uns hätten.“

Bohlweg bald grüner Raum für Begegnungen?

Dass man sich etwa auf dem Bohlweg in Braunschweig wegen des Autoverkehrs noch immer kaum mit normaler Lautstärke verständigen könne, hält Vollrath für unzeitgemäß. „Eigentlich hätte man dort doch viel lieber einen grünen Raum für Begegnungen.“ Doch wer ist in diesem Fall „man“? Nur die Fußgänger und Radfahrer? „Es geht um diejenigen, die den Raum nutzen wollen“, sagt der Forscher. „Die Autofahrer müssen dort momentan irgendwie durchkommen – vielleicht, um das Parkhaus zu erreichen. Aber wenn sie aus dem Fahrzeug aussteigen und dort herumlaufen, hätten sie auch lieber weniger Verkehr, dafür mehr Grün, Cafés und Ruhe. Das ist letztlich eine Frage der Lebensqualität.“

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