Braunschweig. Wie blicken eine Ärztin, eine Apothekerin, eine Altenpflegerin, ein Busfahrer und ein Polizist aus Braunschweig auf die Corona-Krise? Fünf Perspektiven.

Zwei Jahre ist es her, dass die ersten Corona-Fälle auch in unserer Region registriert wurden. Noch im selben Monat ging Deutschland in den ersten Lockdown. Unsere Zeitung hatte 2020 in einer kleinen Serie über die „Helden des Corona-Alltags“ berichtet, Menschen in unserer Region, deren Alltag sich durch die Krise fundamental geändert hat. Zwei Jahre später haben wir sie wieder befragt. Wie blicken sie auf diese Zeit zurück? Was waren die größten Herausforderungen? Hier ziehen sie eine ganz persönliche Bilanz.

Die Ärztin

Dr. Ilka Aden ist stellvertretende Vorsitzende des Hausärzteverbands Braunschweig.
Dr. Ilka Aden ist stellvertretende Vorsitzende des Hausärzteverbands Braunschweig. © Braunschweiger Zeitung | Archivfoto: Bernward Comes

2020: Dr. Ilka Aden ist Fachärztin für Allgemeinmedizin in Braunschweig. Als wir im März mit ihr das erste Mal über die Corona-Ausbrüche in unserer Region sprechen, erzählt sie, wie schnell sich die Arztpraxen auf die neue Herausforderung umgestellt haben: In Windeseile wurden Patientenströme getrennt, Infektions- und Videosprechstunden eingerichtet, Abläufe neu strukturiert. Viele Patienten sind verunsichert und suchen bei ihren Hausärztinnen und Ärzten Rat. Anfangs stellt vor allem der Mangel an Schutzkleidung alle Praxismitarbeitenden vor große Herausforderungen, zwischenzeitlich gab es keine Desinfektionsmittel mehr. Das macht es mitunter nötig, zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen: Es sei schon vorgekommen, dass Patienten auf dem Parkplatz vor der Praxis selbst Abstriche nach Video-Anleitung genommen haben, sagt Ilka Aden.

2022: Zwei Jahre im Dauereinsatz haben Spuren hinterlassen bei den Praxismitarbeitenden. Ein Alltag im Krisenmodus – das bedeutet nach wie vor blockierte Telefone, Corona-Tests im Akkord, Gespräche über Quarantäne und Isolation, Impfungen, eine Flut an Dokumentationsbögen, die ausgefüllt werden müssen – neben der Versorgung der üblichen Kranken. Und das bedeutet für das Team auch: keine Verschnaufpause zu haben, ein andauernder Marathon – ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht.

Im Gegenteil: derzeit werden wieder mehr Infektionsfälle in der Region gemeldet, Omikron sorgt auch für Personalausfälle in den Arztpraxen. „Ich merke eine wahnsinnige Erschöpfung und Ermüdung“, erzählt Ilka Aden am Telefon. Zwar sind die Abläufe eingespielter, aber noch immer häufen sich die PCR-Tests, immer noch gibt es zu viele mit positiven Ergebnissen, müssen die Mitarbeitenden Patienten informieren und aufklären.

Schon im Januar hatte das Praxisteam mit einer Aktion auf die hohe Belastung der Medizinischen Fachangestellten aufmerksam gemacht: Einen Tag lang gingen diese nicht ihrer gewohnten Arbeit nach, stattdessen saßen die Ärzte an der Anmeldung, um mit den Patienten direkt ins Gespräch zu kommen. „MFA am Limit“ heißt auch eine bundesweite Aktion, um mehr Wertschätzung für die Arbeit in den Praxen zu erreichen. Auf einen staatlichen Corona-Bonus wie ihn Pflegekräfte bekommen haben, warten Praxismitarbeitende immer noch, obwohl sie es doch sind, die in Krisenzeiten die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten. Und den Unmut der Bevölkerung über sich ständig ändernde Regelungen und Einschränkungen abfedern.

Streik in Braunschweiger Arztpraxis – Patienten müssen warten

Praxismitarbeiterin in Braunschweig- Wir sind alle erschöpft

Tatsächlich beobachtet Ilka Aden eine zunehmende Spaltung auch bei den Patienten. „Es gibt solche, die Regeln akzeptieren, Rücksicht auf andere nehmen und diejenigen, die nicht einsehen, dass man die Maske ordentlich tragen muss, die erforderliche Testabstriche für Gängelei halten und sich als Ungeimpfte in die Ecke gedrängt fühlen, weil ihnen bestimmte Maßnahmen auferlegt werden.“

Die Hausärztin registriert eine zunehmende Spaltung auch bei den Patienten

Anerkennung für die Arbeit des Praxisteams oder Ablehnung – das sind inzwischen die alltäglichen Erfahrungen. „Es kommt vor, dass Patienten sagen: Es ist toll, was Sie hier leisten. Gleichzeitig höre ich Stimmen an der Anmeldung, die ihren Unmut über die Corona-Regeln Luft machen.“ Diese seien nicht davon zu überzeugen, dass es nicht nur um ihren eigenen Schutz, sondern auch um den Schutz derjenigen gehe, die in dieser Pandemie besonders gefährdet sind: Menschen mit Vorerkrankungen, Ältere. Noch gebe es keine Entwarnung, auch wenn überall von Lockerungen die Rede ist. „Kranke, die keine gute Immunabwehr haben, sind immer noch bedroht.“

Ilka Aden spricht von einer „Pandemie der Ungeimpften“. Erst 62,5 Prozent der Menschen in Niedersachsen sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts dreifach geimpft, 77,4 Prozent doppelt.

Wie kann man Skeptiker oder Impfgegner überzeugen, dass sie sich doch noch impfen lassen? „Ich persönlich wäre sehr erleichtert, wenn es eine Impfpflicht für alle gebe“, sagt die Allgemeinmedizinerin und Vize-Vorsitzende im Hausärzteverband Braunschweig. „Aber Hausärzte sind auf ein vertrauensvolles Verhältnis bedacht. Wir beraten – Sie entscheiden, das ist ein Grundsatz, der mir wichtig ist.“ Bei der praktischen Umsetzung der Impfpflicht wären daher die öffentlichen Gesundheitszentren gefragt.

Psychische Erkrankungen nehmen während der Pandemie spürbar zu

Unabhängig davon sieht die Medizinerin große Herausforderungen auf uns zukommen: Es gebe Patienten, die seit fast zwei Jahren die Praxis nicht mehr betreten hätten – aus Angst, sich möglicherweise mit dem Coronavirus zu infizieren, darunter auch Krebskranke oder Menschen mit anderen schweren Erkrankungen. „Ich fürchte, dass sich Krankheitsverläufe verschlimmert haben könnten.“ Dazu kämen Patienten, die sich während der Lockdowns und im Homeoffice wenig bewegt, mit schlechten Blutzucker-Langzeitwerten zu kämpfen hätten, mit Rückenproblemen, Übergewicht.

Auch psychische Erkrankungen nehmen spürbar zu. Die Nachfrage nach Kuren, Rehas sei unheimlich groß. „Es melden sich vor allem diejenigen, die gestresst von der langen Zeit im Homeoffice sind.“ Andere Patienten, die schon vor der Krise mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten, seien dagegen häufig schwerer zu erreichen.

Es gibt zu wenige Plätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Als katastrophal bezeichnet die Ärztin, dass es zu wenige Plätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt. Sozialer Rückzug während der Pandemie führte mitunter dazu, dass Jugendliche den Anschluss an ihre Bezugsgruppen verloren haben, einige hätten häusliche Probleme, seien schwer depressiv. Wenn Jugendliche mit Suizid-Absichten aber Monate auf einen Behandlungstermin warten müssten, könne das dramatische Folgen haben.

Wie schaffen wir es, nicht kopflos in den nächsten Herbst zu stolpern? Diese Frage stellt sich auch Ilka Aden immer wieder. Sie warnt davor, jetzt zu sorglos zu sein. „Es wird neue Mutationen geben“, ist sie überzeugt. „Das kann bei so vielen Infektionen nicht verhindert werden.“ Und auch werde es immer mehr Patienten geben, die mit Long-Covid-Symptomen zu kämpfen hätten. Hoffnungslos sei die Lage trotzdem nicht: Maske tragen, Abstand halten, sich regelmäßig testen – „Das empfiehlt sich weiterhin, auch wenn die Regeln insgesamt gelockert werden“, sagt Ilka Aden. „Es liegt in unserer Hand, wie wir uns und andere schützen.“

Der Busfahrer

Busfahrer Julian Haimerl aus Braunschweig im April 2020. 
Busfahrer Julian Haimerl aus Braunschweig im April 2020.  © Katrin Schiebold

2020: Julian Haimerl ist als Busfahrer in Braunschweig unterwegs, als die Corona-Krise auch die Braunschweiger Verkehrs-AG zum Umplanen zwingt. Mitte März schließen Schulen und Kindergärten, die BSVG stellt zunächst auf den Ferienfahrplan und dann auf einen Sonderfahrplan um. Busse und Bahnen fahren auch in der Woche weitgehend wie sonst an Sonntagen. Anfangs erschweren Personalengpässe zusätzlich den Betrieb: Mitarbeiter können nicht mehr fahren, weil sie zuhause Kinder betreuen müssen oder wegen Krankheit ausfallen. Fortan gilt Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei den Fahrern können keine Tickets mehr gekauft werden, der Einstieg vorne ist nicht mehr möglich. Die Mitarbeiter müssen immer wieder mit verärgerten Fahrgästen diskutieren – und sich selbst vor Infektionen schützen.

Busfahrer in der Corona-Krise- Mundschutz ist sinnvoll

2022: Eingeschränkt hat sich Julian Haimerl nicht gefühlt in den zwei Jahren, die auch seinen Arbeitsalltag veränderten und die Menschen in einen fortwährenden Krisenmodus versetzten, nicht privat, nicht als Busfahrer. „Ich habe mein Leben normal gelebt“, sagt er – auch anfangs noch, als man so wenig über das Coronavirus wusste, es keinen Impfstoff gab und das unkalkulierbare Infektionsgeschehen die Menschen in einen langen Lockdown zwang.

Haimerl fuhr weiter Bus, schützte sich so gut es ging, hielt sich an die Regeln und ließ sich nicht verrückt machen. Erst im August letzten Jahres entschied er sich für die Impfung – weil er zu einer Hochzeit eingeladen war. „Ich bin kein Impfgegner, aber ich wollte warten, bis der richtige Zeitpunkt für mich da ist“, sagt er.

Nach einer ADAC-Umfrage geht die Zahl der Fahrgäste in Bus und Bahnen zurück

Dass er sich bis heute nicht mit dem Coronavirus infiziert hat, gleicht für ihn einem Wunder. Schon zu Erkältungs- und Grippezeiten ist die Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln groß, jetzt mit der Omikron-Variante scheint das Risiko noch höher. Die Angst vor einer Infektion wirkt sich offenbar auf das Verhalten der Menschen aus: Laut einer ADAC-Umfrage zur Mobilität Ende 2021 nutzt etwa jeder Dritte der Befragten Bus und Bahn nun weniger oder gar nicht mehr. Eine Aufhebung der Maskenpflicht würde demnach zu einem weiteren Rückgang der Fahrgästen führen: 21 Prozent würden den ÖPNV weniger nutzen.

Für die Fahrerinnen und Fahrer ist das Risiko einer Ansteckung weiter hoch. Zusätzlich bekommen sie den Unmut einiger Fahrgäste über die Corona-Regeln zu spüren. Immer wieder müssten sie mit Pöbeleien und Aggressionen umgehen, wenn Maskenverweigerer in Busse und Bahnen steigen und auf ihr Recht pochen. „Vom Polizeieinsatz über Schlägereien hatten wir alles dabei“, sagt Haimerl. „Auch Fahrer wurden schon tätlich angegriffen – für mich ein No-Go.“

Inzwischen ist der Braunschweiger nicht mehr mit dem Bus unterwegs, sondern in der Fahrdienstverwaltung eingesetzt; er teilt ein, wer wann mit welchem Fahrzeug fährt. Auch das ist eine besondere Herausforderung: Durch die Omikron-Welle wird vielerorts das Personal knapp. „Die Leute sind inzwischen erschöpft.“ Viele Fahrer sind entweder selbst erkrankt oder in Quarantäne, zwischenzeitlich mussten deshalb die Fahrpläne wieder eingeschränkt werden, vor allem nachts.

Die Apothekerin

Apotheken-Kammer-Vorsitzende Cathrin Burs von der Broitzemer Apotheke.
Apotheken-Kammer-Vorsitzende Cathrin Burs von der Broitzemer Apotheke. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

2020: Wir treffen Cathrin Burs im April in ihrer Apotheke in Braunschweig-Broitzem. Im Labor, wo sonst Salben und Medikamente hergestellt werden, produziert ihr Team nun Desinfektionsmittel, um sie an Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen und Ambulanzen in der Region zu geben. Desinfektionsmittel sind Mangelware, die Inhaltsstoffe knapp. Auch sonst ist Flexibilität gefragt: Angestellte beraten Kunden pausenlos am Telefon, erklären Übertragungswege des Virus und Hygieneregeln, der Lieferdienst wird ausgebaut, damit auch diejenigen an Medikamente kommen, die sich nicht auf den Weg in die Apotheke machen können oder wollen. Außerdem müssen die Folgen von Lieferengpässen abgefedert werden, weil viele Arzneimittel in China, Indien oder anderen Ländern in Fernost produziert werden und die Produktion durch die Corona-Krise ins Stocken gerät – darunter Antibiotika, Schmerz-, Bluthochdruck und Krebsmittel. Die Apotheker müssen nach Alternativen suchen, was mitunter viel Aufwand bedeutet.

2022: Desinfektionsmittel herstellen, Masken verteilen, Lieferengpässe abfedern, testen und nun auch noch impfen - Cathrin Burs blickt auch mit Stolz auf die vergangenen zwei Jahre zurück: „Das Gesundheitssystem stand und steht vor einer extremen Belastungsprobe, aber wir konnten zeigen, dass wir Teil der Lösung sind“, sagt sie. „Das macht uns selbstbewusster.“ Tatsächlich sind in der Krise auch die Teams in den Apotheken bis zum Rand der Belastbarkeit gefordert. Die Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen erinnert sich noch gut an die ersten Monate der Pandemie, als es überall an Schutzkleidung fehlte und es vor allem darum ging, so schnell wie möglich Atemschutzmasken an die Leute zu bringen. „Für uns eine Herkulesaufgabe.“ Millionen FFP2-Masken wurden an Menschen ausgegeben, die einer Risikogruppe angehörten. Der Bund entschädigte die Apotheken großzügig mit sechs Euro pro Maske – im Einkauf waren diese mitunter wesentlich günstiger zu haben. Die Diskussion über das holprige Krisenmanagement des Bundes, teils widersprüchliche Aussagen der Politiker, Kritik an zweifelhaften Maskendeals und Verschwendung – sie zogen sich durch die Pandemie.

Masken-Gutscheine sind in jeder Braunschweiger Apotheke einlösbar

Braunschweiger Apotheken sind gerüstet für FFP2-Masken-Nachfrage

Cathrin Burs erlebt aber wie die Krise Entwicklungen beschleunigt, die in dieser Form wohl vorher gar nicht für möglich gehalten wurden. Beispiel Lieferengpässe: Dass bestimmte Arzneimittel vorübergehend nicht verfügbar sind, ist ein Problem, mit dem die Pharmazeuten im Zuge der globalisierten Arznei-Herstellung seit Jahren kämpfen. Die Corona-Krise hat es noch einmal verschärft. Der Gesetzgeber reagierte, Apotheker dürfen Patienten zum Beispiel wirkstoffgleiche Arzneien aushändigen, um ihre Kunden schnell und sicher zu versorgen und ihnen in der Pandemie unnötige Wege zu ersparen. Allerdings läuft die Regelung am 31. Mai aus.

Beispiel Botendienste: Sie wurden in der Pandemie stark ausgebaut. In der Hochphase gab es laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zeitweise bundesweit über 450.000 am Tag, jetzt sind es demnach zuweilen immer noch 300.000 täglich. 2020 führte der Gesetzgeber erstmals eine Vergütung für solche Dienste ein, ein Teil der Kosten wird seitdem von den Krankenkassen übernommen. „Ein Signal, das die Politik erkannt hat, welche Rollen die Apotheken bei der Sicherstellung der Gesundheitsversorgung spielen“, ist Cathrin Burs überzeugt. Parallel zu der Entwicklung verwandelten sich Apotheken nach und nach in Testzentren. „Ostern 2021 habe ich meine Waschküche umgebaut, um in unseren Räumen testen zu können“, erinnert sich Cathrin Burs. Improvisationstalent sei gerade in der Anfangszeit gefragt gewesen. Zumal der Ausbau der Corona-Testungen fließend in die Impfstofflieferung für Arztpraxen überging.

Inzwischen bieten Apotheken auch Corona-Impfungen an

„Das war ein Meilenstein“, sagt die Apothekerin im Rückblick. Und als die Impfungen an Fahrt aufnahmen, häuften sich auch die Kunden in den Apotheken, die Zertifikate ausgestellt haben wollten. Digitale Impfnachweise, die ihnen wieder bestimmte Freiheiten ermöglichten ­– einen Besuch im Restaurant, im Fitnessstudio, im Schwimmbad.

Inzwischen können Apotheken sogar selbst Impfungen anbieten, immer mehr Apotheker lassen sich entsprechend schulen. Doch die Nachfrage ist gering, die Impfungen stagnieren – trotz steigender Infektionszahlen. Dass sich das schnell wieder ändern kann, habe die Vergangenheit gezeigt, sagt Cathrin Burs. Voraussichtlich werde weitere Corona-Auffrischungsimpfungen nötig sein, hinzu kommen Impfstoffe, die verschiedenen Virus-Varianten angepasst werden. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu den Ärzten, sondern als Angebot ,on top’“, sagt sie. Vielleicht ließen sich so doch noch Gruppen erreichen, die Impfungen bislang skeptisch gegenüberstanden oder zum Beispiel gar keinen Hausarzt haben. „Am Ende kommt es doch auf jeden Einzelnen an.“

Der Polizist

Polizeikommissar Daniel Leismann
Polizeikommissar Daniel Leismann © Privat

2020: Ein warmer Frühlingstag am Heidbergsee in Braunschweig. Wir treffen Daniel Leismann, der für das Polizeikommissariat Süd unterwegs ist, auf Streife in der Corona-Krise. Das Leben in der Stadt steht weitgehend still. Schulen und Kindergärten sind geschlossen, Veranstaltungen untersagt. Noch weiß man wenig über die Ausbreitung des Coronavirus. Spielplätze dürfen nicht betreten werden, picknicken, grillen, Gruppenbildung in Parks ist ebenfalls nicht mehr erlaubt. Die Unsicherheit in der Bevölkerung ist spürbar: Welche Regeln gelten nun wo und warum? Diese Fragen bekommt Leismann immer wieder zu hören. Corona-Kontrollen werden zu einem wesentlichen Bestandteil des polizeilichen Alltags.

2022: Von Normalität möchte Daniel Leismann noch nicht sprechen. „Normal ist etwas, wenn es nicht mehr thematisiert wird“, sagt der 28-Jährige. Obwohl der Krieg in der Ukraine mittlerweile die Schlagzeilen beherrscht, obwohl bei allen eine Corona-Müdigkeit zu spüren ist – die Infektionszahlen sind weiter hoch. Leismann spricht vielmehr von Gewohnheit und Anpassung. „Masken tragen, Abstand halten – inzwischen haben die meisten das als notwendige Maßnahme akzeptiert und verinnerlicht.“

Der Polizeikommissar ist seit einem dreiviertel Jahr nicht mehr im Streifendienst tätig, sondern inzwischen im Kriminalen Ermittlungsdienst. Doch er war lang genug auf der Straße, um zu wissen, wie sehr die Pandemie auch den Alltag der Polizei geprägt hat. Gerade zu Beginn war es für alle eine Umstellung, als friedliche Zusammenkünfte, gesellige Treffen von Jugendlichen auch in privaten Räumen plötzlich nicht mehr erlaubt waren. Die Beamten trafen nicht immer auf Verständnis, wenn sie eine Party auflösen mussten. Es sei schon mal vorgekommen, dass Beamte angehustet, angepöbelt werden, erzählte er bei unserer ersten Begegnung.

Die große Mehrheit hat sich mit den Corona-Regeln arrangiert

Doch inzwischen werde der Sinn der Corona-Maßnahmen weniger hinterfragt. „Die große Mehrheit hält sich an die Regeln“, sagt er heute. Es gibt allerdings auch eine laute Minderheit, die sich gegen Corona-Regelungen und Impfungen stellt, die ihren Unmut auf der Straße Luft macht und in den sozialen Netzwerken zum kollektiven Widerstand trommelt. Seit Wochen rufen Impfgegner, -skeptiker und Querdenker zu „Spaziergängen“ auf, diskutieren Medien über eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von einer Dauer-Belastung und zunehmender Gewaltbereitschaft. „Dabei handelt es sich um eine kleine Gruppe, die ihrem Unmut Luft macht“, betont Leismann. Der Umgang mit Demonstranten, die Abwehr von Gefahren – das gehörte schon immer zum polizeilichen Alltag. Leismann selbst hat während seiner Streifendienste keine Aggressionen und Angriffe erlebt. Mal das eine oder andere heftige Wort, mal ein herabsetzender Kommentar – aber nie sei es bei der Kontrolle von Corona-Regeln für ihn kritisch geworden. Auch habe sich die Lage für die Beamten insofern entspannt, als die Impfungen nun einen Schutz vor Ansteckungen bieten. Denn nach wie vor könne es während der Einsätze immer wieder zu unerwarteten Reaktionen kommen – etwa, wenn jemand sich weigert, eine Maske aufzusetzen und der Polizist keinen Abstand wahren kann.

Hohe Quote- 90 Prozent der Polizisten in Niedersachsen geimpft

Nun alle Corona-Regeln zu lockern, sieht Leismann skeptisch. „Ich fände es gut, wenn wir besonnen mit den Lockerungen umgehen“, sagt er. Zwar hat er Verständnis dafür, dass sich nach zwei Jahren der Einschränkungen alle wieder nach Freiheit sehnten. „Aber wir sollten jetzt nicht leichtsinnig werden“, sagt er. „Das Virus ist schließlich nicht verschwunden.“

Die Altenpflegerin

Sandra Banas (26) arbeitet als Pflegefachkraft im Seniorenheim Bethanien in Braunschweig
Sandra Banas (26) arbeitet als Pflegefachkraft im Seniorenheim Bethanien in Braunschweig © Privat

2020: Zu Beginn der Corona-Pandemie ist gerade in den Pflegeheimen die Angst vor einer unkontrollierbaren Ausbreitung des Virus groß: Nachrichten von Todesfällen in Einrichtungen gibt es nahezu täglich, besonders schlimm hat es das Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg getroffen, insgesamt sterben dort 47 Menschen. Unter dem Eindruck solcher Meldungen sprechen wir mit Sandra Banas, Pflegefachkraft im Senioren- und Pflegezentrum Bethanien in Braunschweig. Sie erzählt, wie sie neben der notwendigen Pflege den Bewohnern nun auch in der Isolation beistehen müssen. Besuchsverbote und wegbrechende Gruppenangebote machen vielen schwer zu schaffen. Die Pflegekräfte sind auch eine psychische Stütze, spenden Trost, sprechen Mut zu. Gleichzeitig bleibt die Herausforderung, sich selbst vor einer Infektion zu schützen. „Wir versuchen, uns nicht verrückt zu machen“, sagt Sandra Banas.

2022: Frau Banas, nach zwei Jahren im Krisen-Modus – wie würden Sie heute die Stimmung in Ihrer Branche beschreiben?

Die Pflegemitarbeiter sind weiterhin zwar motiviert, jedoch sind viele auch durch das hohe Arbeitsaufkommen, durch die besondere und aufwendige Pflege der Coronapatienten erschöpft. Dennoch versucht man sich im gesamten Team zu motivieren und gegenseitig zu stärken.

Wie blicken Sie persönlich auf die vergangenen zwei Jahre zurück?

Es waren zum Teil sehr anstrengende und arbeitsreiche zwei Jahre. Immer wieder kamen Zeiten, in denen es zu Coronainfektionen gekommen ist, das Arbeitsaufkommen erhöht war. Dies betrifft nicht nur die Altenheime, sondern auch die Krankenhäuser, die an ihre Grenzen gekommen sind. Es ist schade, dass dadurch viele den Gesundheitssektor verlassen haben, aber man kann es auch nachvollziehen. Der Arbeitsdruck, die Personalausfälle, die Überstunden die gemacht wurden und vor allem, dass man seiner Arbeit ja gar nicht mehr gerecht wurde, frustriert einen am Ende seines Arbeitstages.

Welche Momente sind besonders in Ihrem Gedächtnis haften geblieben?

Die Momente, in denen die Bewohner aufgrund einer Infektion ihre Angehörigen nicht sehen konnten. Dies war für alle eine schwierige Zeit, jedoch war es umso schöner, als die Bewohner wieder ihre Angehörigen in die Arme schließen konnten. Auch die Zusammenarbeit zwischen Pflegemitarbeitern und den Angehörigen erwies sich als erfolgreich. Manche Bewohner kommen mit der Quarantäne schwer zurecht, wenn diese positiv mit dem Coronavirus getestet wurden. Da war das Verständnis bei manchen Bewohnern gering.

Inzwischen ist der Umgang mit dem Corona-Virus zur Routine in Pflegeeinrichtungen geworden. Was ist jetzt die größte Herausforderung im Pflege-Alltag?

Man möchte allen Beteiligten gerecht werden. Sei es den Bewohnern, die mit Corona infiziert sind, aber auch den anderen Bewohnern und den Angehörigen. Nach wie vor gibt es einige Bewohner und Angehörige, die es nicht verstehen, dass man sich trotz der Impfung mit dem Virus infizieren kann. Die Kliniken und Pflegeeinrichtungen haben ein hohes Arbeitsaufkommen, was für alle Beteiligten eine enorme Herausforderung ist.

Jetzt greift die Impfpflicht im Gesundheitssektor – ist das gut oder schlecht?

Zum Schutz der Bewohner und der Arbeitskollegen befürworte ich die Impfpflicht, sie dient auch zum Eigenschutz. Auf der anderen Seite haben viele den Gesundheitssektor bereits aufgrund der hohen Belastung verlassen, die Impfpflicht wird noch mehr Mitarbeiter aus der Pflege oder generell dem Gesundheitswesen treiben.

Wie sehen Sie der Aussicht auf tiefgreifende Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen?

Es ist klar, dass aufgrund der politischen Lage die Coronazahlen steigen. Jedoch ist auch verständlich, dass man zum normalen Alltag wieder zurückkehren muss, da man nicht auf Ewigkeiten mit Einschränkungen leben kann. Man braucht auch wieder einen Ausgleich zum Berufsalltag, um abschalten zu können und sich zu erholen. Ich denke, dass man in den Kliniken und Pflegeheimen dennoch weiterhin gewisse Schutzmaßnahmen bestehen lassen sollte, da man einfach mit immungeschwächten Menschen arbeitet und wir diese schützen müssen, aber auch auf den Eigenschutz achten sollten.

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