Torfhaus. Die Stürme haben dem Oberharz hart zugesetzt. Beim Waldgang erzählt der Förster August Bock, wieso eine Harzwanderung jetzt lebensgefährlich wäre.

Das ist kein Tag für die Wandernadel. An die neun Kilometer lang ist der „Goetheweg“ von Torfhaus auf den Brocken. Doch schon nach dreihundert Metern ist Schluss. Wir stehen vor einer mächtigen Fichte, die der Sturm quer auf den Weg geschleudert hat wie einen riesigen, weiß bestäubten Mikado-Stab. Ende-Gelände. „Tja“, sagt August Bock, „da sehen Sie’s.“

Und wie man das sieht. Abgebrochene Bäume links. Umgeworfene Bäume rechts und auf dem Weg. Größtenteils Fichten, aber auch Birken. Niemand braucht so viel über den Wald im Allgemeinen und den Harz im Besonderen zu wissen wie der Revierförster und Nationalpark-Kenner August Bock, um ermessen zu können, wie hart „Ylenia“, „Zeynep“ und „Antonia“ dem Oberharz zugesetzt haben.

Jetzt, am Montagmittag, pfeift uns ein ungemütlicher, aber nicht mehr dramatischer Wind um die Ohren, während August Bock die Lage erläutert. Über die aufgeweichten Böden spricht er. Und über den Borkenkäfer. Mit dem hat nämlich der Unterschied zu tun, der hier eine große Rolle spielt. Denn natürlich gibt es noch bzw. wieder die grünen Fichten, die umgeworfen werden, weil ihnen der Orkan unters Nadelkleid fährt. „Die Nadeln können wie ein Segel wirken“, sagt Bock, „die Grünen fallen ansatzlos.“

Es gibt aber auch die vielen abgestorbenen Fichten, die in bräunlicher, teils beinahe astloser Kargheit herumstehen. „Die werden vom Sturm von oben abgebrochen wie Makkaroni, jeweils ein paar Meter. Wenn man sich auskennt, kann man es vorher auch schon sehen oder sogar hören. Die zittern so richtig.“ Gefährlich für Wanderer können – und dieser Punkt ist dem Förster besonders wichtig – sowohl die umgeworfenen als auch die abbrechenden Bäume sein. Bis zum Wochenende sollten sich in diesem Sinne auch Harzliebhaber den Besuch verkneifen, sagt Bock. „Dann könnten wir soweit sein.“

Harvester und Kettensägen im Einsatz

Bis dahin wird also kräftig gearbeitet im Nationalpark. Volles Programm für Waldarbeiter und Feuerwehrleute. Entsprechend oft meldet sich des Försters Handy. Dabei mag der Anruf von der Nationalpark-Verwaltung, bei dem von einem „nervenden“ Reporter die Rede ist, der nach Torfhaus kommen wolle, vor allem für genau diesen Reporter lustig sein – der ja zum Glück schon da ist. Aber auch ein Andreas ruft an („Wo steckst du denn mit deiner Maschine?“) und andere Kollegen, die jetzt jede Menge zu tun haben. Zuerst machen sie mit mächtigen Maschinen, mit Harvestern und Kettensägen die Straßen frei, dann die privaten Wege und die Wanderwege. Noch ist einiges im Argen, sagt Bock, im Okertal, hinter Hohegeiß und anderswo.

August Bock selbst stammt aus Wiedelah bei Vienenburg. Er hat jede Menge Erfahrung, ist seit 1993 im Forstdienst, hat viele Jahre die Gruppe der Ranger im Nationalpark geleitet, nun ist er seit drei Jahren der Torfhaus-Revierförster. Doch Veteranen-Sprüche, dass früher sowieso alles viel härter gewesen sei, bekommt man von ihm nicht zu hören. „Ich habe vor jedem Sturm Hochachtung“, sagt er, und kommt auch gleich auf die Klimaveränderungen zu sprechen. „Drei Tage Sturm und Orkan in dieser Abfolge, das ist schon sehr ungewöhnlich. Eigentlich eine Rarität.“

Leichtsinnige Väter

Manch ein Oberharzer, erzählt er, sehe mittlerweile die Fichten an seinem Haus mit anderen Augen an. Was man lange Zeit als selbstgepflanzten Schattenspender geschätzt hat, erscheine nun doch als Risiko fürs eigene Dach. „Ja, ich kann solche Bedenken verstehen“, sagt Bock. Schwer zu verstehen sind für ihn dagegen die Menschen, die er als höchst leichtsinnig empfindet. Sogar am Freitag habe er sie auf ihrem Weg zum Brocken angetroffen. „Da waren tatsächlich mehr als hundert Leute unterwegs. Auch Väter mit Kindern. Und wir können sie ja nicht so einfach daran hindern. Einer sagte zum Thema Sturm und Gefahr sogar, genau deswegen sei er doch hier…“

Wesentlich einsichtiger sind nun jedoch, am Montag, die jungen Leute, die eben neben uns am Fichten-Hindernis eingetroffen sind. Ein Paar aus Schöningen ist mit Besuch aus Hamburg unterwegs, mit Kinderwagen und Hunden. „Sie gehen in einen gefährlichen Bereich. Ist Ihnen das klar?“, fragt Bock. Nein, das war es wohl nicht so ganz. „Dann kehren wir doch lieber um“, sagt die Schöningerin, und da nickt der Förster. Höflich, aber bestimmt, sagt Bock, mit dieser Art habe er in all den Ranger-Jahren die besten Erfahrungen gemacht. Natürlich freue er sich über das Interesse der Menschen am Harz. Wintersportler, Wanderer, Jogger mit Stirnlampe – alles prima. Aber die Gefahr, bei Sturm einem „komplett geworfenen“ 30-Meter-Baum nicht rechtzeitig ausweichen zu können, sei real. „Jeder ist seines Glückes Schmied – doch nicht jeder Schmied hat Glück“, den Spruch hat der Förster auch noch auf Lager.

Vielen Menschen sei nicht bewusst, dass sich im Falle eines Unfalles auch das Problem stellen könnte, dass die Rettungskräfte nicht zu ihnen vordringen könnten. Auch deshalb ist August Bock in diesen Tagen sozusagen Mitglied im „Team Vorsicht“. „Ich sage allen: Nehmt es bitte mal ernst!“

Stolze 2800 Hektar umfasst die Revierförsterei Torfhaus. Nein, zu einer Schätzung, wie viele Bäume in dem Bereich den Stürmen zum Opfer gefallen sein mögen, können wir August Bock partout nicht verleiten. Für eine Bestandsaufnahme sei es noch viel zu früh, meint er. „Aber eines kann ich schon mal sagen: Für den Wirtschaftswald ist das alles natürlich eine Tragödie.“