Braunschweig. Ob eine Impfung in seltenen Fällen zu einer Erkrankung führt, lässt sich im Einzelfall schwer belegen. Ein Braunschweiger schildert seinen Fall.

Nein, mit echtem Namen möchte Stefan G. lieber nicht in die Zeitung. Er laboriert seit einem halben Jahr an einer rätselhaften Erkrankung der Nerven. Die Hoffnung, ihre Ursachen eindeutig erklären zu können, hat der Braunschweiger mittlerweile aufgegeben. Gleichwohl hat er nachvollziehbare Gründe zu glauben, dass die Corona-Impfung der Auslöser ist.

Wenn G. anonym bleiben will, geht es ihm weniger um den Schutz vor unserer Leserschaft oder vor seinem Arbeitgeber. „Auf meiner Arbeit wissen eh alle Bescheid“, erzählt er am Esstisch seines Reihenhauses. „Ich will vermeiden, dass rechte Vollpfosten oder Alumützen vor meiner Tür stehen, um mich für ihre Zwecke einzuspannen.“ Aber sollte es dazu kommen, hätten sie schlechte Karten: Der Mittfünfziger hat seine positive Einstellung zur Impfung behalten – trotz allem, was er durchgemacht hat.

Mit einem merkwürdigen Gefühl am Knie ging es los

Mitte Juni 2021 hatte G. seine zweite Dosis Biontech erhalten, zunächst ohne Auffälligkeit. Zwei Wochen später, nach dem Training – er ist Coach einer Fußballmannschaft – bemerkte er in der Dusche ein merkwürdiges Gefühl am Knie. „Als ich mich wieder anzog, fühlte es sich auf einer handtellergroßen Fläche so an, als wäre die Hose nass und würde am Bein kleben“, beschreibt er die Anfänge. Am nächsten Morgen stand er „noch fast normal“ auf, stellte dann aber fest, dass sich eine Taubheit ausbreitete.

Gegen Mittag fühlten sich schon beide Beine wie betäubt an. „Ich konnte sie zwar noch bewegen, spürte aber nichts mehr, egal wie stark ich mich kniff.“ Der Hausarzt, den er am Mittag aufsuchte, schickte ihn ins Krankenhaus. Zunächst ging er ins HEH. Ein Bandscheibenvorfall, der erste Verdacht, war schnell ausgeschlossen. „Das“, sagt G., „war der Moment, an dem ich echt unruhig wurde. Dass die Taubheit trotzdem immer weiter aufstieg, hat mich geängstigt“.

Unangenehme Untersuchungen in der Neurologie

Nächste Station war die Neurologie des Braunschweiger Klinikums. Hier erwarteten ihn unangenehme Untersuchungen: Aus seiner Wirbelsäule wurde Nervenwasser entnommen, und mittels elektronischer Sonden in den Muskeln wurde die Leitfähigkeit seiner Nerven gemessen – mit dem Ergebnis, dass diese stark vermindert war. Schon am ersten Tag hatte die behandelnde Ärztin der Verdacht, dass es sich um das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) handeln könnte. Bei dieser schweren Krankheit greift das Immunsystem die Nerven an. Lebensbedrohliche Lähmungen können die Folge sein. GBS zählt zu den bekannten sehr seltenen Nebenwirkungen einer Covid-Impfung. Laut dem Paul-Ehrlich-Institut tritt GBS bei den Vektor-Impfstoffen (Astrazeneca, Johnson-&-Johnson) nach 1 bis 2 von 100.000 Impfungen auf, nicht allerdings bei Biontech.

Taubheit vom Bauchnabel abwärts

Nach der ersten Nacht im Krankenhaus reichte G.s Taubheit schon bis zum Bauchnabel. Um Lähmungen unbedingt zu vermeiden, die womöglich die Atmung beeinträchtigen, zog die Ärztin die Reißleine. Wie bei GBS üblich, vorordnete sie Infusionen mit teuren Immunglobulinen – für fünf Tage. „Schon am ersten Abend merkte ich, dass sich die Taubheit nicht mehr ausbreitete“, schildert G. seine Erleichterung.

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Zehn Tage später wurde er entlassen. „Vermutlich war die Impfung der Auslöser“, habe die Ärztin ihm gesagt. Zwar käme grundsätzlich auch eine schwere Infektion als Ursache in Frage. „Eine solche hatte ich aber nicht“, so G. Auch im Entlassungsbrief mit der Diagnose GBS, den unserer Redaktion einsehen durfte, wird der enge zeitliche Zusammenhang der Erkrankung mit der Covid-19-Impfung betont.

„Du siehst deine Beine, spürst aber nicht, wie sie stehen“

Durch die Behandlung war die Krankheit zwar gestoppt, aber die Taubheit war noch da. Wie sich das anfühle, wie einschränkend es sei, könne man sich kaum vorstellen, sagt G.: „Du siehst deine Beine, spürst aber nicht, wie sie stehen oder liegen. Wenn man schief auftritt, merkt man das nicht.“ Auch der bekannte Kniesehnenreflex habe nicht funktioniert. Immerhin habe er, da die Bewegungen weitgehend automatisch ablaufen, auf ebener Strecke fast normal gehen können, „auch wenn es vielleicht etwas hölzern aussah“. An eine Rückkehr zur Arbeit war indes nicht zu denken. „Ich war völlig trittunsicher“, sagt er – bei der Arbeit im Gleisbett ein Ding der Unmöglichkeit.

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Stefan G. fiel ein halbes Jahr lang aus

Unterm Strich war G. ein halbes Jahr lang mit Reha-Maßnahmen, Ergo- und Physiotherapie und Wiedereingliederung beschäftigt. Erst seit Beginn dieses Jahres arbeitet er wieder in Vollzeit, wenn auch noch eingeschränkt. Dass es so lange dauerte, lag auch an einem Rückfall, der ihn im Oktober wieder ins Klinikum zwang. Dort stellten die Mediziner ihre erste Diagnose GBS nun in Frage, weil eine solche Wiederkehr der Krankheit GBS-untypisch sei. „Ausschließen können die Ärzte aber auch nicht, dass es GBS ist“, sagt G. achselzuckend. Er glaubt weiterhin, dass das Leiden Folge der Impfung ist. Eine andere Erklärung hat er schlicht nicht.

Heute ist das Gefühl in seine Beine zurückgekehrt. Nur die Füße fühlen sich immer noch eingeschlafen an. „Ich hoffe, dass sich das auch noch gibt“, sagt G. Aber wenn es so bleibe wie jetzt, dann komme er damit klar. Um beim Training oder auf unwegsamem Gelände nicht umzuknicken, muss er aber weiterhin orthopädische Stütz-Orthesen tragen.

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Bei der Booster-Impfung zögerte er trotzdem nicht

Trotz seiner Geschichte ist Stefan G. nicht zum Impf-Skeptiker geworden – nicht einmal, was ihn selbst betrifft. Vor zwei Wochen hat er sich „boostern“ lassen. Tatsächlich hätten das in seinem Umfeld nicht alle verstanden. „Einer hat gesagt: Warum hältst du deine Hand ein zweites mal in die Kreissäge?“, berichtet er. Er dagegen sieht die Sache anders. „Ich habe das Zeug doch eh schon drin“, sagt er und lacht. Kein Arzt habe ihm abgeraten.

„Was ich erlebt habe, möchte ich nicht noch einmal haben“, fasst er im Rückblick auf die letzten sechs Monate zusammen. Die Entscheidung für die dritte Impfung sei ihm dennoch nicht schwergefallen. „Ich kenne Leute, die Covid hatten, denen ging’s alles andere als gut.“ Als Diabetiker habe er großen Respekt vor dem Virus, daher habe er nicht gezögert. „Was mir in meiner Lage gerade noch fehlt, ist eine weitere schwere Krankheit obendrauf.“

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