Braunschweig. Niedersachsens Ministerpräsident Weil erhöht den Druck auf Ungeimpfte. Auch interner Druck am Arbeitsplatz soll seine Wirkung zeigen.

Stephan Weil (SPD) hofft, dass 2G und 3G sich auszahlen. Zugleich bringt er eine Impfpflicht ins Spiel und setzt eine Spitze gegen seine Amtskollegen aus Bayern und Baden-Württemberg.

Niedersachsen geht mit neuer Corona-Verordnung zu 2G über. Reicht das aus oder arbeiten Sie im Hintergrund schon an der nächsten Verordnung?

Ja, wir denken schon über die nächste Verordnung nach und wir haben auch unter den Ministerpräsidenten eine rasche Evaluation der bisherigen Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz vereinbart und weitere Verschärfungen ins Auge gefasst. Die Zahlen entwickeln sich gerade schon in Richtung Warnstufe 2. Niedersachsens Kliniken nehmen immer mehr Covid-Patienten auf, die Hospitalisierungsinzidenz steigt, die Zahl der Neuinfizierten auch. Die Bereiche, in denen jetzt schon 2G gilt, fallen dann unter die Vorgabe 2G Plus. Das bedeutet dann beispielsweise in der Gastronomie, bei Veranstaltungen, beim Sport im Innenbereich oder in Hotels, dass sich auch Genesene und Geimpfte testen lassen müssen.

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2G Plus wird definitiv kommen?

Davon muss man ausgehen. Der entscheidende Wert ist der der Hospitalisierung. Wir liegen mit einem Wert von 6,3 über der wichtigen Schwelle von 6. Es werden also 6,3 mit Corona Infizierte pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen ins Krankenhaus aufgenommen. Und fast alle Landkreise liegen bei der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 über 100. Sollte das fünf Tage so anhalten, sind wir Mitte nächster Woche in weiten Teilen des Landes in Warnstufe 2. Auch auf den Intensivstationen wird sich die Lage weiter zuspitzen. Wir müssen damit rechnen, dass wir bald weitere Patienten aus den Hotspots Bayern, Thüringen und Sachsen bekommen werden. Unsere Verordnung kommt zum richtigen Zeitpunkt. Sie zeigt, worauf die Bürgerinnen und Bürger sich einstellen müssen.

Sie haben die Lage als „beunruhigend“ bezeichnet. Virologen haben sich kritisch geäußert, dass 2G und vielleicht auch 2G Plus nicht ausreichen, um den Trend umzukehren. Was droht uns noch?

Ich bin kein Prophet. Die Virologen, von denen einige sehr gute ja in Braunschweig im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung arbeiten, sagen, dass die vierte Welle in den Hotspots so weit fortgeschritten ist, dass sie Zweifel haben, ob sie unter Kontrolle zu halten ist. So weit wollen wir es in Niedersachsen wenn irgend möglich nicht kommen lassen. Das ist unser Vorsatz, den wir gemeinsam in der Landesregierung haben. Die strengen Regeln, die jetzt in Sachsen greifen, würden bei uns viel früher gelten.

Wann wäre das?

Sehr harte Maßnahmen würden bei uns in Niedersachsen beispielsweise bei einer Inzidenz von 400 greifen. Wir werden rechtzeitig den Landtag einschalten, um bei Bedarf auch über die bisherigen Möglichkeiten des Infektionsschutzgesetzes hinausgehen zu können. Zudem glaube ich, dass 3G am Arbeitsplatz und im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr viel bringen wird. In Verbindung mit der bewährten Vorsicht, einer gewissen Nüchternheit, die wir in Niedersachsen haben, kann das bereits helfen. Die Zurückhaltung der Niedersachsen im engen Miteinander wird zuweilen belächelt, in der Pandemie aber hat sie sich ausgezahlt. Und auch die Impfquote ist mit 70 Prozent vollständig Geimpfter bei uns höher als im Bundesschnitt.

Wird mit den neuen Maßnahmen besonders großer Druck auf Ungeimpfte ausübt?

Das dürfte so sein. In Italien war 3G am Arbeitsplatz der Matchwinner. Das ist plausibel. Wenn ich Teil eines Teams am Arbeitsplatz bin und alle anderen mich angucken, wenn ich jeden Tag meinen Test auf den Tisch legen muss, kann das die Impfbereitschaft steigern.

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Sie sagen, dass Niedersachsen sehr vorsichtig sind. Was halten Sie von betrieblichen Weihnachtsfeiern in den nächsten Wochen?

Die hielte ich nur mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen für sinnvoll, also 2G oder freiwillig schon jetzt 2G Plus, eher draußen als drinnen. Gefährlich wären unbeschwerte Feiern der alten Art.

Und was halten Sie von Weihnachtsmärkten? Goslar hat seinen Weihnachtsmarkt bereits abgesagt, Braunschweig oder Hannover wollen daran festhalten.

Aber ebenfalls unter sehr strikten Bedingungen, die wir jetzt noch mal nachgeschärft haben: 2G, perspektivisch auch 2G Plus. Aber in der Tat gibt es inzwischen immer mehr Städte, die als Veranstalter sagen, sie wollen die Verantwortung nicht tragen bzw. das Risiko für die Bürgerinnen und Bürger minimieren.

Die Ski- und Rodelsaison im Harz steht bald wieder an. Tausende werden täglich von Gastronomen und Liftbetreibern erwartet. Kann das klappen?

Soweit die Gastronomen sich an die Regeln halten, ja. Ich setze stark auf deren rationales Interesse. Beim Skifahren selber dürfte ja nicht viel passieren – wenn, dann beim Après-Ski. Kuscheln in der Bar darf es nicht geben, dann schon eher der Jagertee draußen mit Abstand.

Après-Ski drinnen darf also gar nicht stattfinden?

Mit 2G Plus und mit Abstand. Das ist sicher nicht das, wonach sich die Skifahrerinnen und Skifahrer sehnen. Die Gastronomen sollten sich ihrer Verantwortung aber bewusst sein. Wenn sie nicht zuverlässig sind, wird ihre Gewerbeausübung in Zweifel gestellt. So weit werden es vernünftige Gastronomen nicht kommen lassen. Es wird leider zu Einnahmeausfällen kommen, das tut mir leid. Es gibt Hilfsprogramme, die ersetzen aber nicht das normale Geschäft voll und ganz.

Weil sieht die Verkehrsbetriebe in der Verantwortung.
Weil sieht die Verkehrsbetriebe in der Verantwortung. © dpa | Julian Stratenschulte

Seit Mittwoch gilt 3G in Bussen und Bahnen in Niedersachsen. Verkehrsunternehmen und Bahngewerkschafter kritisieren, dass die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe neben der Maskenpflicht nicht auch noch 3G kontrollieren können. Wer soll also kontrollieren?

Die Verkehrsbetriebe. Sorry, die sind aber ganz einfach verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung der Beförderung. Mir leuchtet natürlich ein, dass Kontrollen im öffentlichen Nahverkehr nur stichprobenweise möglich sind. Und ja, es ist schon hart, was das Zugpersonal im Moment alles aushalten muss. Wir sind aber jetzt in einer Situation, in der jeder in seinem Bereich so gut es eben geht für Ordnung sorgen muss. Das gilt auch für Gastronomen, für Hoteliers und für Unternehmer.

Die Verkehrsbetriebe wehren sich gerade sehr lautstark.

Nochmals: Kontrollen sind im öffentlichen Nahverkehr nicht flächendeckend machbar, im ICE sehr wohl. Diese Herausforderung war dem Bund bewusst, als er diese Regelung geschaffen hat. Fahrkarten werden in Nahverkehrsbussen und Straßenbahnen ja auch nur stichprobenartig kontrolliert.

Die Impfzentren in Niedersachsen sind abgeschafft, die bis zu 200 mobilen Impfteams nehmen erst nach und nach ihre Arbeit auf. Das Ziel, 2,8 Millionen Niedersachsen bis zum Jahresende zu impfen, klingt sehr optimistisch.

Das ist ambitioniert, ganz klar. Es ist aber nicht unrealistisch. Der Löwenanteil der Impfungen findet in den Arztpraxen statt.

Es gibt Kommunen, die kommen mit dem Aufbau der mobilen Impfteams nicht gut voran. Ihre Landesregierung möchte aber nicht sagen, um welche Landkreise es sich handelt. Warum nicht?

Wir setzen auf eine gute Zusammenarbeit mit Kommunen, wir reden, motivieren, unterstützen. Wir zeigen nicht öffentlich mit dem Zeigefinger auf einzelne Landkreise.

Wir sprachen über die Härten, die es für die Menschen in diesem Winter erneut geben wird. Und doch gibt es immer noch weit mehr als zehn Millionen Deutsche, die sich nicht impfen lassen wollen. Die Länderchefs Söder und Kretschmann machen sich für eine Impfpflicht stark. Was sagen Sie?

Es ist auffällig, dass diese Forderung gerade von den Kollegen kommt, die die Lage in ihren Ländern erkennbar nicht im Griff haben. Eine Impfpflicht kommt durchaus in Betracht. Für diejenigen, die mit vulnerablen Personen arbeiten, hat die Ministerpräsidentenkonferenz eine Impfpflicht ja bereits avisiert und Olaf Scholz hat diesen Plan am Rande der Vorstellung des Koalitionsvertrages für die Ampel bestätigt. Vor einer allgemeinen Impfpflicht liegen ganz andere rechtliche Hürden. Wenn wir die machen, muss sie sitzen. Dann muss sie auch vor Gericht Bestand haben. Es ist zu prüfen, ob der damit verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit wirklich erforderlich ist und ob es keine milderen Mittel gibt. Gerade deshalb sind die Erfahrungen, die wir in den nächsten Wochen mit den 2G- und 3G-Regeln machen, so wichtig. Haben wir keinen Erfolg, rückt eine allgemeine Impfpflicht wesentlich näher. Aber auch eine allgemeine Impfpflicht bringt keinen schnellen Erfolg. Das ist letztlich kein wirksames Instrument gegen die vierte Welle, aber durchaus eines, das eine fünfte und sechste Welle verhindern könnte.

Der Ministerpräsident ist kein Befürworter einer Impfpflicht.
Der Ministerpräsident ist kein Befürworter einer Impfpflicht. © dpa | Julian Stratenschulte

Sie sind also kein Befürworter einer Impfpflicht, schließen sie aber nicht aus?

Natürlich bin ich dafür, dass alle sich impfen lassen. Aber ich bin Jurist, das ist manchmal ein Vorteil, manchmal ein Nachteil. Juristen hinterfragen Grundrechtseingriffe aus gutem Grund immer kritisch. Aber wenn die aktuellen Verschärfungen die Impfquote nicht nach oben treiben, rückt eine allgemeine Impfpflicht sehr viel näher.

Über welchen Zeitraum reden wir?

Über wenige Wochen. Eine erste Evaluierung der Maßnahmen erfolgt – wie gesagt – noch vor der nächsten Konferenz der Ministerpräsidenten mit der neuen Bundesregierung. Diese ist für den 9. Dezember terminiert. Ich war und bin bekennendes Mitglied im Team Vorsicht. Wenn die Maßnahmen in den nächsten Wochen insbesondere in den Hotspots nicht bei den Ungeimpften deutliche Effekte erzielen, bin ich für eine allgemeine Impfpflicht. Wir haben nun mehr als 300 Todesfälle pro Tag und sind immer noch nicht am Peak angekommen. Wir werden sehr bald erleben, dass wir schwerkranke Menschen durch ganz Deutschland befördern müssen. Dieses Virus hat das Potenzial, unser Gesundheitswesen lahmzulegen. Geht es so weiter, erleben wir eine furchtbare vierte Welle und schlittern dann in eine fünfte Welle hinein. Das ist keine Option.

Haben wir uns denn genug gewappnet gegen diese vierte Welle? Es gibt weniger Intensivbetten als noch vor einem Jahr.

Wenn wir alle Reserven nutzen, haben wir in Niedersachsen nach wie vor 2350 Betten im Intensivsektor. Davon sind derzeit gut 180 belegt. Dass aber auch bei uns die Zahlen steigen werden, lässt sich gar nicht vermeiden. Und ich verweise noch einmal auf die Patientinnen und Patienten, die aus anderen Bundesländern zu uns kommen werden. Wir helfen gerne, das wird aber unsere eigenen Kapazitäten reduzieren.

Viel Kritik lädt sich wieder auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ab. Aber die lauten Warnungen der Virologen haben wieder mal alle missachtet, oder?

Nehmen wir die Maskenpflicht an Schulen, die für viel Ärger gesorgt hat. Die haben wir mit Ausnahme der ersten beiden Jahrgänge als eines der ganz wenigen Länder durchgehalten. Wir haben nicht alles richtig gemacht, einen echten Strategiefehler sehe ich in Niedersachsen aber nicht. Ich habe noch im Juni Kanzlerin Merkel gebeten, die Auflösung der Impfzentren zu stoppen. Das trotzdem durchzuziehen, war ein Fehler. In Niedersachsen sind wir vorsichtig geblieben. Deshalb stehen wir vergleichsweise gut da, kommen aber auch zunehmend in eine schwierige Lage.

Wir wussten, dass der Winter wieder kommen wird. Genügend Luftfilter haben wir auch in Niedersachsen in den Schulen aber nicht.

Die Schulen sind in kommunaler Hand. Bund und Land stellen Mittel für Luftfilter zur Verfügung, der Abfluss ist aber überschaubar, das muss ich leider konstatieren. Eltern haben im übrigen die Hoffnung, dass es mit Luftfiltern keine Masken im Unterricht mehr braucht. Das ist leider nicht so, Luftfilter sind eine sinnvolle Ergänzung, Masken und das Lüften bleiben aber die Basis. Ich möchte den vielen Lehrerinnen und Lehrern ausdrücklich danken, die sich in den letzten Monaten für die Kinder und Jugendlichen aufgerieben haben. Wir wollen den Präsenz-Unterricht unbedingt aufrechterhalten. Von 3000 Schulen mussten gerade mal 5 vorübergehend vom Netz genommen werden.

Braunschweiger Forscher von Corat Therapeutics sind relativ weit mit ihrem Corona-Medikament, haben 100 Millionen Euro eingeworben. Darunter sind ja auch ein paar Millionen vom Land. Was erhoffen Sie sich vom Medikament?

Arzneimittel sind eine Perspektive im Kampf gegen die Pandemie. Es wäre ein Segen, wenn wir neben der Impfung wirksame Medikamente hätten. Und ‚made in Niedersachsen‘ ist immer gut, Biotechnologie ist ein sehr wichtiger Forschungszweig. 100 Millionen für eine klinische Studie lockerzumachen, war der Durchbruch. Hoffen wir, dass das Medikament hält, was es verspricht und dass es auch bei uns in Niedersachsen produziert wird.

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