Braunschweig. Das wollen wir mit unserer Wahl-Umfrage ändern. Professor Bandelow sagt, wie der Start lief – und warum viele Entscheidungen völlig offen sind.

Die Wahl-Umfrage unserer Zeitung, der Goslarschen Zeitung und des Harz-Kuriers in Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig ist angelaufen. Noch bis zum 17. August haben Sie die Möglichkeit, online daran teilzunehmen. Professor Nils Bandelow erklärt, worauf es ankommt.

Am Freitagabend ist die Umfrage gestartet. Wie lief der Start aus Ihrer Sicht?

Wir hatten einen Bildfehler drin, ansonsten lief die Umfrage sehr gut an. Am Ende der Umfrage taucht ein Feld für mögliche Kommentare auf. Diese sind – im Gegensatz zu manchen Kommentaren im Internet – ausgesprochen sachlich, positiv und hilfreich. Ich habe den Eindruck, dass diese Art von Kooperation zwischen regionalen beziehungsweise lokalen Medien und der TU Braunschweig sehr positiv angenommen wird. Die meisten haben die Umfrage auch bis zum Ende ausgefüllt.

Uns in der Redaktion ist bekannt, um was für einen Bildfehler es sich gehandelt hat. Aber können Sie noch einmal erklären, was für ein Fehler das war?

Als wir die Umfrage online gestellt haben, haben wir das Foto einer Kandidatin für die Bundestagswahl aus dem Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel vertauscht. Es stand allerdings kein Name dabei. Ein Parteifreund von ihr hat das mitten in der Nacht bei uns gemeldet. Am Freitagabend ging die Umfrage online, am Samstagmorgen hatten wir den Fehler behoben. Bis dahin waren bereits 41 Bewertungen für den Wahlkreis eingegangen. Die haben wir wieder gestrichen.

Wie viele Menschen müssen denn teilnehmen, damit die Ergebnisse valide sind?

Wir haben etwa 30 Teilstudien. Im Idealfall schaffen wir es, jeweils einigermaßen eine Repräsentativität herzustellen. Wir haben Abfragen zum Geschlecht, zum Alter und zur formalen Bildung gemacht. Wir orientieren uns daran, was das Statistische Landesamt vorgibt und abstrahieren dort, wo aufgrund kleinerer Wahlkreise weniger Menschen dabei sind. Das hängt davon ab, wie viele Personen sich aus welcher Kategorie an welcher Teilstudie beteiligt haben. Es gibt mit Blick auf die Repräsentativität nicht die eine klare Zahl für die gesamte Studie. Es wird also so sein, dass die Aussagekraft für so manche Teilstudie valider ist als für andere.

Sie haben die Umfrage maßgeblich konzipiert. Worauf kommt es Ihnen besonders an?

Hinter der Umfrage steht ein ganzes Team. Wir wollen die Menschen zusammen mit den Zeitungen für die Wahlen interessieren, es ist nicht nur eine wissenschaftliche Studie. Wir wollen die Menschen auf die Wahlen aufmerksam machen, wollen sie darauf hinweisen, was sie wissen – was sie vielleicht auch nicht wissen, worum es inhaltlich geht. Wir wollen die Menschen motivieren, sich im Zweifel weitere Informationen über die Wahlen einzuholen, um möglichst informiert seine Stimme abzugeben. Wissenschaftlich ist interessant, wie viel die Menschen über die Kandidaten und die Inhalte der Parteien wissen.

Sie wollen die politische Stimmung in unserer Region vor den Kommunalwahlen und der Bundestagswahl einfangen. Das klingt nicht gerade einfach.

Prognosen sind immer schwierig. Wir werden am Ende auch nicht sagen, wer die Wahl vermeintlich gewinnt – und wer nicht. Wir werden aber einen genaueren Eindruck davon haben, welche Themen in der Region für die Menschen von Interesse sind. Wir werden auch besser wissen, ob die Wahlvorschläge bekannt sind. Bei den Teilfragen erhoffen wir uns Erkenntnisse darüber, ob es Zusammenhänge zwischen der Parteienzugehörigkeit und Sympathien gibt. Wie steht es um das Alter, das Geschlecht und der zugewiesenen Sympathie der kandidierenden Personen? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Themen und einer späteren Wahlentscheidung?

Bei der Bundestagswahl fragen Sie nicht nach der Erststimme, sondern nur nach der Zweitstimme. Warum?

Das hat mit dem komplizierten Wahlrecht zu tun. Wir achten aber sehr wohl darauf, welche Bedeutung die Wahlvorschläge für Direktmandate am Ende für die Zweitstimmen-Entscheidung haben.

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Bei den Fragen zu den Kommunalwahlen haben Sie sich auf bestimmte Abstimmungen konzentriert. Welche sind das und warum kamen diese in die Auswahl, andere nicht?

Wir haben uns auf die Oberbürgermeisterwahlen in Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter sowie auf die Landratswahlen in den Landkreisen der Region konzentriert. Wir haben aufgrund der Komplexität der Studie und aufgrund der Vielzahl an Bürgermeister-Wahlen längst nicht alle berücksichtigen können. Hätten wir mehr Zeit und mehr Ressourcen gehabt, würden wir das auch noch gerne auswerten. Oft würde es aufgrund der geringen Größe der Kommunen aber nur zu geringen Teilnehmerzahlen kommen. Das wiederum lässt keine große Aussagekraft zu. Lediglich Goslar ist mit der Oberbürgermeister-Wahl dort eine Ausnahme. Ich hätte übrigens noch einen Tipp für Ihre Berichterstattung nach der Wahl, der einen Hinweis aus einem Kommentar zu der Studie aufnimmt.

Welcher wäre das?

Politikprofessor Nils Bandelow von der TU Braunschweig.
Politikprofessor Nils Bandelow von der TU Braunschweig. © Geraldine Oetken

In Niedersachsen hat die 1996 verabschiedete neue Gemeindeordnung die vorher getrennten Aufgaben der politisch gewählten Repräsentation und der hauptamtlichen Verwaltungsleitung zusammengeführt. Dadurch sind seit etwa 20 Jahren Oberbürgermeisterämter mit umfassenden Verwaltungsaufgaben verbunden. In einem Interview mit Braunschweigs OB Ulrich Markurth oder Wolfsburgs OB Klaus Mohrs wäre die Frage spannend, inwiefern sie ihr Amt des Oberbürgermeisters als politisches Amt oder als Verwaltungsamt empfunden haben.

Muss man denn zwingend Verwaltungserfahrung mitbringen, um OB, Bürgermeister oder Landrätin zu werden? Viele Kandidaten in der Region haben diese ja nicht.

Die Kurzfassung ist: ja. Es ist natürlich ein Amt, in dem man viel Kompetenz benötigt. Der Anteil der Parteipolitik und der Anteil der Arbeit in der Verwaltung verschwimmt wahrscheinlich. Es ist ja häufig auch so, dass die Verwaltungsleitung das Parteibuch x, die Leitungen der Dezernate aber das Parteibuch y oder z haben.

Bei den zur Direktwahl stehenden Personen fragen Sie in der Umfrage nach Sympathie. Wie wichtig ist dieser Faktor in der Politik?

Es gibt auch bei Kommunalwahlen die Tendenz, dass Personen gewählt werden, die attraktiv sind. Das ist zumindest ein Faktor. Den Aspekt der Sympathie haben wir deshalb mit in der Umfrage berücksichtigt, weil man das bei einem Foto beurteilen kann. Inhalte transportiert man ja nicht über ein Foto. Ob die Sympathie wahlentscheidend ist, vermag ich noch nicht zu sagen. Darauf bin ich gespannt.

Selten sind Kommunalwahlen und eine Bundestagswahl zeitlich so nah beieinander. Strahlt die Bundestagswahl auf die Kommunalwahlen aus und sorgt für mehr Wahlbeteiligung?

Die Wahlen sind, abgesehen von möglichen Stichwahlen, im zeitlichen Abstand von zwei Wochen. Wären die Wahlen parallel, würde das sicher für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen. So habe ich aber eher die Befürchtung, dass die Menschen eine gewisse Wahlmüdigkeit verspüren. Aufgrund der Rückmeldungen der Menschen auf die Umfrage habe ich bisher den Eindruck, dass die Kommunalwahlen bisher noch nicht so sehr auf dem Schirm der Leute sind. Ich hoffe, dass die Umfrage dazu beiträgt, dass die Menschen sehen, worum es bei den Kommunalwahlen geht.

Werfen wir mal einen Blick auf die große Politik: Unions-Kanzlerkandidat Laschet und auch Grünen-Kandidatin Baerbock sind zuletzt in Fettnäpfchen getreten. SPD-Kandidat Scholz frohlockt schon und erkennt einen Trend zur SPD. Teilen Sie diese Sichtweise?

Bisher ist nur sicher, dass keine Partei eine eigene Mehrheit stellen wird. Ansonsten ist bei dieser Bundestagswahl noch viel möglich. Es lässt sich sehr schwer einschätzen, wie sich die situative Berichterstattung über Verfehlungen einzelner Personen auf das Wahlergebnis niederschlagen wird. Die Erfahrung zeigt, dass es kurz vor dem Wahltag noch einmal Umschwünge geben kann. Die Flutkatastrophe kann sich noch auswirken. Wir wissen auch noch nicht, wie sich die Pandemie bis zum Wahltag entwickelt. Vielleicht ploppt noch ein weiteres Thema auf. Es ist daher noch nicht klar, wer ins Kanzleramt einziehen wird.

In unserer Region ist die SPD traditionell stark. Bei den vergangenen Bundestags- und Landtagswahlen räumte die SPD fast jedes Direktmandat ab. Bei diesen Wahlen auch wieder?

Ich hoffe, dass wir das nach der Umfrage fundierter sagen können. Grundsätzlich ist die SPD auch über die Gewerkschaften gut verankert, die in dieser Region eine große Rolle spielen. Die SPD ist sehr gut vernetzt, deswegen glaube ich, dass sie in der Region bei den Bundestagswahlen und auch bei den Kommunalwahlen – im Gegensatz zum bundesweiten Trend – weiterhin gute Chancen haben wird.

In der Region fehlen bei der Bundestagswahl Zugpferde wie Sigmar Gabriel oder Thomas Oppermann. Wirkt sich das negativ aus?

Das müssen wir sehen. Wir haben durchaus Menschen, die kandidieren, die schon Verantwortung tragen. Es handelt sich dabei um Bundestagsabgeordnete oder Landtagsabgeordnete, die in den Bundestag wechseln wollen. Es stellt sich die Frage, ob sie in ihren Wahlkreisen schon eine gewisse Bekanntheit haben. Das ist von außen manchmal schwer einzuschätzen. Nicht nur Gabriel und Oppermann fehlen, auch eine Carola Reimann zum Beispiel, die mehrfach erfolgreich in Braunschweig Wahlkampf geführt hat. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.

Der Wahlkampf dürfte unter den wieder steigenden Corona-Zahlen erschwert sein. Was bedeutet das für die Parteien?

Wahrscheinlich noch mehr Unsicherheit. Es wird noch mehr Unsicherheit darüber herrschen, wie die Stimmungslage tatsächlich ist. Es sind andere Fähigkeiten gefragt. Da der Straßenwahlkampf eingeschränkt sein wird, wird es noch mehr darauf ankommen, wie sich einzelne Personen und die Parteien digital präsentieren. Jüngere Menschen könnten im Vorteil sein.

Aus den Umfragen lassen sich schon Trends erkennen: SPD, AfD und Linke schwächeln, die Grünen stabilisieren sich auf hohem Niveau. Bleibt das so?

Es ist noch zu früh, um eine stabile Prognose für die Bundestagswahl zu wagen. Wir haben eine viel geringere Parteibindung, als das früher der Fall war. Wir haben auch viel mehr Parteien im Bundestag.

Trotzdem noch mal die Frage: Welche Überraschungen könnte es bei den Kommunalwahlen und der Bundestagswahl geben?

Womöglich schneidet der eine oder die andere parteilose Bewerbung bei den Kommunalwahlen in der Region besser ab, als man bisher denkt.

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