Braunschweig. Harald Rau, Professor an der Ostfalia, erklärt am Fall des Wolfsburger Mediziners wie Verschwörungsmythen funktionieren.

In Zeiten, in denen jeder im Internet Dinge veröffentlichen kann, verbreiten sich Verschwörungserzählungen schnell. Das zeigte sich auch in dem Fall des Wolfsburger Mediziners, der an einem Aneurysma gestorben ist. In Sozialen Medien wurde verbreitet, er sei an den Folgen einer Coronaimpfung ums Leben gekommen.

Harald Rau ist Professor für Kommunikationsmanagement an der Ostfalia Hochschule am Campus Salzgitter. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er, warum Verschwörungsmythen sich so schnell verbreiten, eine Gefahr für unsere Demokratie darstellen und wie der Wolfsburger Fall dazu passt.

Warum verbreiten sich Fake News so schnell?

Im Prinzip funktionieren Fake News nach der gleichen Logik wie Gerüchte. Auch das Gerücht ist von hohem Interesse, verbreitet sich wahnsinnig schnell und sein Inhalt ist nicht auf Wahrheit geprüft. Das, was emotionalisiert oder dramatisiert und Dinge zu belegen scheint, die eben schwer zu belegen sind, macht besonders schnell die Runde. Im Internet hindert dann nichts mehr die schnelle Verbreitung.

Welche Rolle spielen die Sozialen Medien dabei?

Bei den klassischen Massenmedien sitzt da jemand, der prüft, ob die Dinge, die verbreitet werden, wahr sind. Bei „Social Media“ entfällt die Prüfung, es gibt niemanden mehr, der wie ein „Gatekeepeer“, ein Torwächter also, über den Wahrheitsgehalt von Inhalten wacht. Heute kann jeder mit jedem kommunizieren und alles immer auch gleich öffentlich machen. Wir leben in einer Zeit, in der sich kommunikationstechnisch alles von den Füßen auf den Kopf stellt. Verschwörungsgeschichten sind ja nicht neu, aber weil ihr Inhalt eben oft überraschend und schockierend ist, fallen sie in den Sozialen Medien auf fruchtbaren Boden. Hier ist das Teilen immer nur einen Klick entfernt. Zudem können sich Gleichgesinnte oder Gleichdenkende nun exzellent vernetzen und quasi organisiert ein Thema bewusst treiben.

Ist das ein neues Problem?

Verschwörungserzählungen gab es schon immer, sie haben durch das Internet aber eine ganz neue Sichtbarkeit bekommen. Ohne diesen Effekt wäre ja auch die Geschichte um den Wolfsburger Mediziner möglicherweise nie auf die Titelseite Ihrer Zeitung gehoben worden. Aus meiner Sicht war das ein mutiger und sehr guter Schritt, denn nur Transparenz und Faktenorientierung kann uns als Gesellschaft gegenüber den Verschwörungstheoretikern in Stellung bringen.

Verschwörungserzählungen scheinen sich oft um Dinge zu ranken, die weit weg sind. Um Bill Gates, oder Rothschild. In Wolfsburg dreht es sich aber konkret um einen Todesfall aus der Region.

Die Geschichte lässt sich gut im Zusammenhang anderer Verschwörungsmythen einordnen. Am Ende geht es immer ums große Ganze: um Eliten, die uns als Echsenmenschen betrügen, um die inszenierte Weltverschwörung, die von Medien und Politik bewusst herbeigeführte Verheimlichung erschreckender

Harald Rau ist Professor an der Ostfalia..
Harald Rau ist Professor an der Ostfalia.. © Michael Kothe

Wahrheiten. Medien lügen, das ist eine der wichtigsten Erzählungen aus dem Reich der Verschwörungsmythen. Wenn wir dieser Erzählung folgen, dann könnte ich doch jetzt – völlig aus dem Zusammenhang gerissen – selektiv medizinische Erkenntnisse zusammentragen. Die Wenigsten machen sich die Mühe, die Belege selbst zu studieren. Wenn Sie sowieso schon an den Medien und ihrer Verpflichtung zur Wahrheit zweifeln, dann glauben Sie vielleicht meiner Interpretation. Um beim Beispiel zu bleiben: Aneurysmen sind schließlich keine simple Angelegenheit. Da müsste man tief in die Recherche einsteigen, um Behauptungen schnell widerlegen zu können.

Warum glauben die Menschen solche Dinge?

Die Psychologie dieser Verschwörungsmythen ist hochkomplex. Wir erleben ja durchaus, dass selbst Bekannte, die man als durchaus schlau erlebt hat, plötzlich solche Dinge glauben. Es hat also nicht unbedingt etwas mit Intellekt zu tun, und man kann eine tiefere Sehnsucht dahinter vermuten. In den Telegram-Gruppen, wie die, in denen auch die Geschichte über den Wolfsburger geteilt wurde, erfahren diese Menschen ein Gefühl von Zugehörigkeit. Eine Erklärung könnte auch sein, dass in den Gesellschaften von heute Religionen und ihre identitätsstiftenden Geschichten an Bindungskraft eingebüßt haben und damit die spirituelle Suche der Menschen kein Ziel mehr hat.

Ist das eine Gefahr für unsere Gesellschaft?

Lebendige und funktionsfähige Demokratie braucht gelingende gesellschaftliche Kommunikation, benötigt Plattformen für einen wahrhaftigen Diskurs. Wir sehen, wie eingespielte Medienroutinen durch „Social Media“ auf für die Demokratie riskante Weise verändert werden. Die Freiheit im Internet verpflichtet uns auch zur Verantwortung. Früher war die Rede von Informationskriegen, heute müssen wir aufpassen, dass diese nicht zu Informationsbürgerkriegen werden.

Was können wir dagegen tun?

Wir brauchen eine Initiative der Aufrechten, die ganz klar sagt: Wenn du etwas teilst, übernimmst du Verantwortung dafür, was du teilst. Wir brauchen Medien- und Informationskompetenz in den Schulen und gesellschaftliche Institutionen, die ganz bewusst gegen Falschinformation, gegen Hetze im Netz und gegen Trolle vorgehen. Wenn wir hier nicht regulierend eingreifen, wenn wir die Freiheit nicht mit Erziehung zur Verantwortung verbinden, ist unsere demokratische Basis in Gefahr.

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