Braunschweig. Der Öffentliche Gesundheitsdienst soll vor Ort Ausbrüche eindämmen. Doch in den Behörden fehlt oft das Personal. Unsere Region ist da keine Ausnahme.

Deutschlands Gesundheitsämter nehmen in der Bekämpfung der Corona-Pandemie eine zentrale Position ein – und das seit Beginn. Die 375 Ämter mit ihren rund 17.000 Mitarbeitern müssen seit fast einem halben Jahr das managen, was anfangs unmöglich schien, in den Griff zu bekommen. Ein noch unbekanntes Virus breitet sich in der Welt aus, ein Impfstoff fehlt auf absehbare Zeit, und die Politik verhängt einen Lockdown, der erst Stück für Stück zurückgedreht werden kann. Und das alles unter dem Vorbehalt wieder steigender Infektionszahlen.

In dieser unsicheren Lage sollen Amtsärzte und Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens die Maßnahmen der Politik im Alltag überwachen. Es gilt, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, auch die Unversehrtheit derjenigen, die sich gar nicht schützen lassen wollten.

Corona – und was noch? Das sind die Aufgaben der Gesundheitsämter

Wer sich mit Corona infiziert hat, muss registriert, isoliert und im Zweifel auch versorgt werden. Die Kontaktpersonen müssen ausfindig gemacht werden, angeordnete Maßnahmen wie Quarantäne überwacht werden. Steigt die Zahl der Neuinfektionen rasant über die vom Robert Koch-Institut (RKI) eingezogene neuralgische Marke von 50 (innerhalb von sieben Tagen bezogen auf 100.000 Einwohner) und gilt ein Landkreis oder eine Stadt damit als Hotspot, ist es auch die Aufgabe des Gesundheitsamts, den Ausbruch wieder einzudämmen. Politiker sprechen dann gerne davon, einen „Flächenbrand schnell auszutreten“. In Gütersloh, Göttingen oder Mamming kennen sie die Situation nur zu gut und wissen, dass diese Arbeit nicht vergnügungssteuerpflichtig ist.

Wer will schon dafür verantwortlich sein, dass ein lokal begrenztes Ausbruchsgeschehen sich vergrößert und Infektionsketten wieder nicht nachvollziehbar werden? Niemand.

Dabei fallen trotz Corona die anderen Aufgaben nicht weg, die der öffentliche Gesundheitsdienst in den Kommunen zu leisten hat: Schutzimpfungen, Aids-Beratung, Schwangerenkonfliktberatung, Überwachung von Hygieneregeln in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen oder Altenheimen, um nur einige Arbeitsschwerpunkte zu nennen.

Amtsärzte-Verband warnt vor neuen Belastungen

Die Politik hat schon früh in der Corona-Krise die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes hervorgehoben. Gerade diese kommunalen Strukturen, gefördert vom Staat, hätten dafür gesorgt, dass Deutschland besser als andere Länder durch die Pandemie gekommen sei. Als Gegenbeispiel wurden immer die Briten mit ihrem privatisierten Gesundheitssystem genannt.

50 Millionen Euro an Soforthilfe stellte der Bund zur Verfügung, 3000 zusätzlich angeworbene Mitarbeiter sollten helfen, die gute Lage nicht zu verspielen. Nun wird seit Monaten von einem „Pakt“ gesprochen, den Bund und Länder mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der Ämter schließen wollen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach davon, dass dieser Ende August stehen sollte. Er nannte als Summe vier Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren für die bessere Ausstattung bereit gestellt werden sollten. Ute Teichert, die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, hatte zuvor in einem Interview mit unserer Zeitung vor den Auswirkungen einer zweiten Corona-Welle gewarnt. Die Ämter seien zu knapp besetzt, mit „steigenden Infektionszahlen“ rolle ein großes Problem auf die Mitarbeiter zu. Und die Lage wird wieder kritischer: Die Zahl der Neuinfizierten in Deutschland lag laut RKI zuletzt mehrfach über dem Wert von 1000 pro Tag.

Die Lage der Gesundheitsämter in Niedersachsen und der Region

Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in Berlin-Mitte bei der Nachverfolgung von Corona-Kontaktketten.
Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in Berlin-Mitte bei der Nachverfolgung von Corona-Kontaktketten. © dpa | Britta Pedersen

Von der angespannten Personallage, die die Verbandsvorsitzende Teichert beschreibt, kann sich auch das Land Niedersachsen nicht lossprechen. So sind offensichtlich nur in den wenigsten der 44 Landkreise und kreisfreien Städte alle ausgeschriebenen Amtsarzt-Stellen voll besetzt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz (siehe Infokasten) ist im Niedersächsischen Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (NGöGD) kein Personal-Schlüssel hinterlegt, der vorschreibt, wie viele Amtsärzte auf 100.000 Einwohner bereit gestellt werden müssen. Die Hoheit über die Personalausstattung liegt also in den Händen der Kommunen. Sie entscheiden, wie viele Stellen benötigt werden. Einfluss hat der Bund jedoch über das bestehende Infektionsschutzgesetz genommen. Das darf er. So forderte das Bundesgesundheitsministerium in Abstimmung mit dem RKI die Kommunen dazu auf, pro 20.000 Einwohner fünf Mitarbeiter dafür abzustellen, Infektionsketten nachzuverfolgen. Unterstützung, auch durch beispielsweise die Bundeswehr, sagte man den Kommunen zu, sollte ein Ausbruch drohen, unkontrollierbar zu werden.

Nach Angaben von Niedersächsischem Städtetag und auch vom Landkreistag haben die Ämter große Probleme, medizinisches Fachpersonal zu gewinnen. Das deckt sich auch mit einer stichprobenartige Umfrage in den Städten und Kreisen in unserer Region. Nicole Teuber, Referatsleiterin und zuständig für den Bereich öffentlicher Gesundheitsdienst beim Städtetag, sagt: „Eine Umfrage unter den Städten aus dem April 2019 hat gezeigt, dass es für viele Mediziner nicht attraktiv ist, eine Stelle als Amtsarzt im öffentlichen Dienst anzunehmen.“ Im Schnitt verdiene man dort rund 1000 Euro im Monat weniger als in Krankenhäusern oder als niedergelassener Arzt. Für Fachärztinnen und Fachärzte mit Leitungsfunktion fielen diese Unterschiede noch höher aus, heißt es gar aus dem Gesundheitsministerium in Hannover, was in normalen Lagen aber auch mit wesentlich geregelteren Arbeitszeiten einhergehen würde. Problematisch ist für den Städtetag zudem, dass im Studium die Arbeit eines Facharztes im öffentlichen Gesundheitswesen nicht mehr abgebildet würde. „Der Nachwuchs weiß gar nicht, was ein Amtsarzt macht“, sagt Teuber.

Wie Funktionärin Teichert sieht auch der Städtetag mit höheren Infektionszahlen neue Probleme auf die Gesundheitsämter zukommen. Beim ersten Lockdown sei alles dem „Containment“, der Eindämmung der Pandemie und der Nachverfolgung der Infektionsketten, unterstellt gewesen. Das sei erfolgreich gewesen, weil kommunale Mitarbeiter aus anderen Bereichen abgezogen worden seien. Teuber nennt als Beispiele die Autozulassung und die Bürgersprechstunde. „Das ging damals, weil das Leben stillstand.“ Ein zweites Mal werde das nicht passieren.

Landkreistag warnt vor starrer Festlegung auf Personalquoten

Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages.
Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages. © dpa | Peter Steffen

Auch die Landkreise in Niedersachsen treffen laut dem Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Hubert Meyer, bereits heute Vorkehrungen, sollten die Infektionszahlen weiter steigen. Neben der besonderen Lage durch Corona rolle in den nächsten Jahren auch eine Pensionswelle auf die Kommunen zu. Meyer sagt aber auch: „In den Gesundheitsämtern gibt es mehr als nur Amtsärzte. Der erste Lockdown hat gezeigt, dass starre Personalquoten weniger helfen als Flexibilität.“ So wäre das Gesundheitsamt als Teil der Einheitsverwaltung ein „atmendes System“, so Meyer. „Sie brauchen keine Ärzte, um Infektionsketten zu überwachen. Es reichen Kenntnisse über Verwaltungsvorgänge und eine gehörige Portion an Ausdauer“, erklärt er. Deshalb reagiere der Kreistag auf die neuesten Forderungen des Bundes, „Richtwerte“ und „Personalschlüssel“ auf kommunaler Ebene einzuziehen „ eher allergisch“. Das würde über Jahre enorme Fixkosten beim Personal zur Folge haben.

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Ein weiteres Argument von Meyer: Dieses Vorgehen würde den teilweise sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in den Kreisen nicht gerecht. „Kreise wie Hannover und Gifhorn, die Nachbarn sind, unterscheiden sich nicht nur von der Einwohnerzahl und ihrer räumlichen Struktur stark, sondern auch von der Anzahl an industriellen Unternehmen und Freizeitangeboten.“

Städtetag: Stadt Braunschweig fehlen seit Jahren Amtsarztstellen

Wie viele Amtsarztstellen sind in unserer Region nicht besetzt? Hier fehlen leider verlässliche Daten. Es gibt von Seiten der kommunalen Spitzenverbände hier nur grobe Kennzahlen. Diese beziehen sich auch auf eine Umfrage des Städtetags aus dem April 2019. Besonders schwierig sei demnach die Lage des öffentlichen Gesundheitsdienstes in der Stadt Braunschweig. Dort seien bis heute mehrere medizinische Personalstellen vakant, darunter die der amtsärztlichen Leitung. Auch der Stellvertreter-Posten sei seit Jahren nicht besetzt. Aber auch in Wolfsburg sei zu diesem Zeitpunkt eine Planstelle nicht besetzt gewesen. Die Stadt Salzgitter hätte sich nach Angaben von Referatsleiterin Teuber erst gar nicht auf die Anfrage des Städtetags zurückgemeldet. „Die Situation ist schon vor Corona extrem angespannt gewesen. Das hat sich jetzt bestimmt nicht geändert“, sagt sie.

Ein Sprecher der Stadt Braunschweig bestätigt in großen Teilen die Angaben. Die Nachbesetzung der Leitungsstelle im Gesundheitsamt sei für den 1. Oktober diesen Jahres vorgesehen, zwischenzeitlich habe der Leiter des zuständigen Fachbereichs die Aufgaben der Leitung des Gesundheitsamtes übernommen. In einer schriftlichen Antwort heißt es weiter: „Die Stelle der stellvertretenden Leitung des Gesundheitsamtes ist seit Mai 2018 unbesetzt. Trotz Ausschreibungen und Direktsuche konnte bisher keine Nachfolgekraft gefunden werden. Erfreulicherweise steht jedoch durch die eigene Ausbildung eine Fachärztin für das Öffentliche Gesundheitswesen in der Ärzteschaft des Gesundheitsamtes zur Verfügung.“ Insgesamt halte die Stadt Braunschweig rund 15,5 Planstellen für ärztliches Personal vor, das Gesundheitsamt verfüge über 82,5 Planstellen, die teilweise mit Teilzeitkräften besetzt seien. Die Anzahl der tatsächlichen Dienstkräfte sei somit erheblich höher. „In der Corona-Lage wurden zudem temporär über 30 Dienstkräfte im Gesundheitsamt zur Aufgabenwahrnehmung zusätzlich eingesetzt; aktuell ist diese Zahl entsprechend des Infektionsgeschehens auf unter 25 gesunken“, so der Stadtsprecher.

Die besondere Situation im Kreis Peine

Auch im Landkreis Peine ist nach Angaben von Sprecher Fabian Laaß eine Arzt-Stelle im Gesundheitsamt nicht besetzt. Offiziell gebe es acht Stellen, vier Vollzeit- und vier Teilzeitstellen, derzeit seien nur sieben Ärztinnen für den Kreis tätig.

Zu Beginn des Lockdowns im März hatte der Kreis ein eigenes Corona-Testzentrum an den Start gebracht, das von den Hausärzten vor Ort und der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) unterstützt wird. Damals begründete der Kreis die Einrichtung damit, ortsnah allen Kreisbewohnern die Möglichkeit zu bieten, einen Abstrich machen zu lassen. Für die Angebote des KV-Bezirks Braunschweig müsse man im Zweifel bis nach Braunschweig fahren. Zudem könnte man auf diese Weise auch das vom Bezirk eingesetzte „Corona“-Mobil und die dort eingesetzten Ärzte entlasten.

Das Testzentrum in Peine stellt daher eine Besonderheit in der Region dar. Zugleich ist die zusätzliche Belastung für das Gesundheitsamt, das am Anfang auch Ärzte im Testzentrum abstellte, nicht zu leugnen. Sprecher Laaß weist darauf hin, dass man in Hochzeiten 40 Testbescheide täglich ausgestellt habe, in ruhigeren Phasen im Juni bis zu 20. „Das war nur möglich, weil auch medizinisch geschultes Personal geholfen hat, den Ansturm der zu testenden Personen abzufedern“, sagt Laaß. Leider, so erklärt Laaß im Namen der Amtsarztleitung, hätte eine personelle Unterstützung durch die KVN nicht realisiert werden können, was zusammen mit den anfänglichen Lieferengpässen an Abstrichmaterial und Schutzkleidung die Situation erschwert habe.

Laaß sagt auch: „Heute testen wir wieder mehr, weil die Vorgaben, wer getestet werden muss und wer sich testen lassen darf, ausgeweitet wurden.“ Man suche daher dringend wieder Personen, die die Tests durchführen können. Das zwischenzeitlich geschulte Personal kehre in diesen Tagen oftmals zurück in die Ausbildung oder ins Studium. Wer Interesse habe, könne sich beim Landkreis melden, sagt Laaß. Der Aufruf ist offenbar nötig. Im Gespräch spricht Kreissprecher Laaß von Belastungsgrenzen für die angestellten Amtsärztinnen. Zudem fiele eine „erhebliche Anzahl an Überstunden“ an.

Das fordert Gesundheitsministerin Carola Reimann

Landesgesundheitsministerin Carola Reimann (SPD), hier beim Besuch des Corona-Testzentrums am Flughafen Hannover.
Landesgesundheitsministerin Carola Reimann (SPD), hier beim Besuch des Corona-Testzentrums am Flughafen Hannover. © dpa | Moritz Frankenberg

Die besondere Situation in den Gesundheitsämtern ist auch Landesgesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) bewusst. Sie teilt unserer Zeitung auf Anfrage mit: „Corona zeigt in aller Deutlichkeit, die Bedeutung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die Kommunen leisten seit Beginn der Corona-Pandemie großartige Arbeit.“ Die Kommunen hätten ihre Personaldecke um 1000 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestockt. Nur so sei es möglich gewesen, Kontakte nachzuverfolgen und die Anordnung von Quarantänemaßnahmen zu überprüfen.

Die Krise bringe ans Licht, warum die Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) so wichtig sei, erklärt Reimann und gibt zugleich ein Versprechen für die Zukunft ab: „Der ÖGD ist für uns ein wichtiger medizinischer Bereich und attraktives Arbeitsfeld – in wahrsten Sinne des Wortes: krisensicher!“ Sicherheit sei das eine, gerechte Bezahlung das andere. Deswegen setze sie sich mit Amtskollegen anderer Bundesländer genau dafür ein. „Die Tarifpartner müssen endlich die Gehaltsunterschiede zwischen der ärztlichen Tätigkeit im ÖGD und im Krankenhaus anpassen“, fordert sie. Reimann wird sich nicht nur an ihren Worten messen lassen müssen.