Genf. Volkswagen-Vorständin Hiltrud Werner spricht im Interview über den Spagat zwischen der Transformation der Branche und dem Abgas-Skandal.

Hiltrud Werner, Vorständin für Integrität und Recht des VW-Konzerns, spricht sich im Interview mit unserer Zeitung beim Autosalon in Genf für die Elektro-Mobilität aus – und damit auch gegen Fremdenfeindlichkeit.

Frau Werner, wie weit ist Volkswagen mit dem Kulturwandel?

Im vergangenen halben Jahr hat das Thema eine große Eigendynamik gewonnen. Die Nachfrage nach Unterstützung zu Fragen des Kulturwandels ist stark gestiegen, die Zusammenarbeit meines Ressorts mit dem Personalwesen, das ebenfalls intensiv beteiligt ist, hat ein neues Niveau erreicht. Das Thema ist also vollständig in der Belegschaft angekommen.

Gibt es Schwerpunktthemen, bei denen Ihr Ressort unterstützen soll?

Ja, dabei geht es um zwei wichtige Faktoren, einerseits mehr Disziplin in die einzelnen Arbeitsprozesse zu bekommen und andererseits das Mitdenken bei Compliance-Themen und im Risikomanagement in den einzelnen Geschäftsbereichen zu fördern. Dabei sind wir einen großen Schritt vorangekommen. Das sehen wir daran, dass einzelne Bereiche wie das Finanzwesen eigene Programme für die Umsetzung von Standards in den einzelnen Arbeitsschritten gestartet haben, die wir begleiten.

Was planen Sie als nächsten Schritt?

Dabei geht es um Führungsqualitäten, die wir auf allen Ebenen schulen wollen. Dazu hat der Vorstand ein eigenes Programm verabschiedet. Die Kernpunkte orientieren sich an den massiven Veränderungen, vor denen die gesamte Automobilindustrie steht, der Digitalisierung in allen Arbeitsprozessen und bei unseren Fahrzeugen, aber eben auch neuen Führungskompetenzen. Ziel ist ein Selbstverständnis, dass die besten Ideen nur gemeinsam entstehen. Die neuen Anforderungen sollen im Führungsleitbild verankert werden.

Sie haben gerade erst von Ihren Sorgen mit der AfD im Unternehmen gesprochen.Wird der Umgang mit polarisierenden, zum Teil extremen Positionen innerhalb der Belegschaft für den Vorstand an Bedeutung gewinnen?

Volkswagen steht durch Elektro-Mobilität, Digitalisierung und das autonome Fahren vor einer enormen Veränderung. Die werden wir nur bewältigen können, wenn alle Kräfte im Unternehmen an einem Strang ziehen. Das aktuelle Auseinanderdriften der Gesellschaft macht diese Aufgabe nicht einfacher. Wir brauchen in allen Werken die besten Fachkräfte, die beste Technik und damit auch internationales Know-how. Um das zu gewährleisten, hat sich Volkswagen zum Beispiel in Sachsen einerseits gegen Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit positioniert, andererseits aber ganz klar zum Standort bekannt. Ein Zeichen dafür ist, dass das Werk Zwickau als erstes für die Produktion der neuen Elektro-Modelle umgebaut wird. Wir müssen es schaffen, alle Menschen in Deutschland von den Vorzügen der EU zu überzeugen. Das gilt in diesem Jahr umso mehr, weil die Europawahl und Wahlen in den neuen Bundesländern anstehen und Europa den Brexit bewältigen muss.

In Wolfsburg ist in der Golf-Fertigung eine Schicht gestrichen worden. Unsere Zeitung hat Kritik aus der Belegschaft erreicht, dass dies quasi per Aushang verkündet wurde und nicht von einer Führungskraft. Ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, doch noch nicht überall ausgeprägt?

Diesen Einzelfall kann ich nicht bewerten. Grundsätzlich gilt aber, dass Kommunikation wichtiger ist denn je. Das Unternehmen steht vor großen Veränderungen, die einen Teil der Belegschaft verunsichern. Diese Unsicherheit lässt sich am besten nehmen, wenn mit den Mitarbeitern gesprochen wird. Diese Aufgabe muss von allen Führungskräften angenommen und gelebt werden und wird Teil der anstehenden Schulungen sein. Zur Führung gehört auch die Kraft, unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Weitere Bestandteile sind eine verbesserte Feedback- und Fehlerkultur.

Stichwort Elektro-Mobilität. Müssten Führungskräfte die neue Technik nicht vorleben und selbst E-Autos fahren? Auf dem Werksgelände in Wolfsburg scheint es aber nur Touareg zu geben.

Der E-Golf ist derzeit ausverkauft und kann gar nicht als Dienstfahrzeug bestellt werden, denn der Kunde geht hier natürlich vor. (lacht) Aber im Ernst: Wenn wir die CO-Ziele erreichen wollen, müssen wir schon im nächsten Jahr 150.000 Elektro-Fahrzeuge produzieren. Wir werden diese Ziele auch für unsere Flotte vorgeben, so wie es jeder Flottenkunde tun wird oder schon heute tut. Das wird sicher auch dazu führen, dass mehr CO-sparsame Fahrzeuge in der Dienstwagenflotte bestellt werden.

Das klingt fast nach Zwang. Wäre es nicht besser, Führungskräfte würden aus eigenem Antrieb umsteigen?

Wir haben doch viele Elektro-Enthusiasten im Unternehmen! Das Angebot an E-Fahrzeugen wird zunehmen, gleichzeitig bauen wir in Wolfsburg und in anderen Werken eine Ladeinfrastruktur auf. Das wird weitere Anreize für die Elektro-Mobilität geben – auch für Führungskräfte.

Haben Sie den Eindruck, dass die übrige Belegschaft mitzieht?

Ja, viele Mitarbeiter sind sehr stolz darauf, dass Volkswagen konsequenter als andere Hersteller diesen Weg beschreitet. Und die meisten Mitarbeiter wollen für ein Unternehmen tätig sein, auf das sie stolz sein können.

Der Bundesgerichtshof ist laut seiner ersten Einschätzung im Abgas-Skandal der Ansicht, dass Fahrzeuge vor dem Software-Update einen Mangel aufwiesen, der zur Entschädigung berechtigt. Verändert dies die Strategie von Volkswagen?

Der Hinweisbeschluss bezieht sich auf einen sehr speziellen Fall, in dem ein Händler beklagt war und das Auto noch kein Software-Update hatte. Dass bei einem Fahrzeug ohne Update ein Mangel vorliegt, haben auch schon andere Gerichte so gesehen. Nicht geäußert hat sich der Bundesgerichtshof, ob es einen angemessenen Gewährleistungsanspruch oder den Anspruch auf ein Ersatzfahrzeug gibt. Stattdessen hat er die Punkte vorgegeben, die von dem Oberlandesgericht, bei dem der Fall anhängig war, erörtert werden sollten. Aus dem Hinweis lassen sich keine Rückschlüsse für die Erfolgsaussichten von anderen anhängigen Klagen ableiten. Dies gilt erst recht für die Musterfeststellungsklage.

Es steht der Verdacht im Raum, dass auch beim Software-Update für den 1,2-Liter-Dieselmotor manipuliert wurde. Wie ist der Stand der Dinge?

Volkswagen hat die Auffälligkeiten selbst im Rahmen der Qualitätssicherung festgestellt und dem Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet. Die Software haben wir von einem Zulieferer erhalten, der nach wie vor der Meinung ist, dass sie rechtskonform ist. Darauf wollen wir uns aber nicht verlassen, sondern warten das Ergebnis des Kraftfahrt-Bundesamtes und von unabhängigen Instituten ab. Wann das Ergebnis vorliegt, können wir noch nicht sagen.

Vor dem Arbeitsgericht wehren sich mehrere Manager gegen ihre Kündigung wegen des Abgas-Skandals. Warum wurden andere Manager nicht entlassen und beziehen weiter ihr Gehalt?

Zu Einzelfällen kann ich mich nicht äußern. Grundsätzlich steht es natürlich jedem Betroffenen frei, eine Kündigungsschutzklage einzureichen. Wir sind zudem in laufenden Verfahren im ständigen Austausch mit der Staatsanwaltschaft. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass es zu jedem Fall eine eigene Geschichte gibt und daher kein Fall mit dem anderen vergleichbar ist.

In diesem Jahr will die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Verantwortlichen für den Abgas-Betrug benennen. Wie werden Sie reagieren?

Weil es eine breite öffentliche Diskussion darüber geben dürfte, ist es ganz wichtig, dass wir unsere Mitarbeiter mitnehmen und sie informieren. Wir werden ihnen auch juristische Zusammenhänge erläutern. Absehbar ist, dass ein neuer öffentlicher psychischer und moralischer Druck auf unsere Belegschaft entstehen wird. Wir können und wollen es uns aber nicht leisten, dass in dieser wichtigen Phase der Unternehmenstransformation die Motivation der Mitarbeiter beschädigt wird. Dazu haben wir uns zu viel vorgenommen.