Remlingen. Der Atommüll kann nur aus einem möglichst standfesten Berg geborgen werden. Das Umweltministerium mahnt vorsichtig zur Eile.

Sollte man nicht besser die Kammern in Ruhe lassen und das Bergwerk endlich verfüllen bevor das Wasser einbricht?

Das fragt unser Leser Franz Albert aus Wolfenbüttel

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Die Standfestigkeit des Atommüll-Lagers Asse bereitet zunehmend Grund zur Sorge. Viele Bürger aus dem Landkreis Wolfenbüttel haben schon länger das Gefühl, dass es bei der Bergung der Fässer mit Atommüll keinen Fortschritt gibt. Das wird bei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema immer wieder deutlich.

Nun räumt auch das Bundesumweltministerium indirekt ein, dass es schneller voran gehen müsste – sonst wird die Bergung der 126 000 Fässer mit Atommüll gefährdet. Das ist einer Antwort von Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter auf eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Victor Perli zu entnehmen. Das Schreiben liegt unserer Zeitung vor.

Die Staatssekretärin beruft sich auf eine Untersuchung des Instituts für Gebirgsmechanik (IfG) in Leipzig. Hohlräume in der Asse werden seit 1995 verfüllt. So sollte das Bergwerk standfester werden. Wirklich erfolgreich war das offenbar nicht. Seit 1996 überwacht das IfG die Entwicklung. Die Staatssekretärin schreibt nun: „Das IfG kommt zu dem Schluss, dass lokale Stützmaßnahmen zum Erhalt der Bergbausicherheit dringend erforderlich seien, den großräumigen Schädigungsprozess aber nicht nachhaltig abbremsen können.“

Der Abgeordnete Perli bezeichnete diese Einschätzung als „besorgniserregend“. Das IfG warnte bereits 2007, dass Verschiebungen im Berg möglicherweise zu einer unbeherrschbaren Zunahme des Wasserzuflusses führen könne. Bereits jetzt muss der Asse-Betreiber, die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) 12 000 Liter Lauge pro Tag auffangen.

Die fehlende Standsicherheit und der Wasserzufluss sind zwei große Gefahren. Die Südwestflanke wird seit 1995 verfüllt. Seit Mitte August 2013 werden weitere Tunnel in 725 Metern Tiefe und in 750 Metern Tiefe mit Salzbeton verfüllt. Hier liegen fast alle Kammern mit Atommüll. Gleichzeitig liegt aber noch kein Konzept der BGE vor, wie der Müll später aus diesen Kammern wieder gehoben werden kann. 2033 jedoch soll die Bergung beginnen – so der Plan.

Die Asse komplett zu verfüllen, wie unser Leser vorschlägt, diese Idee hat die Politik verworfen. Anfang 2013 wurde eigens die „Lex Asse“ verabschiedet. Sämtliche Parteien unterstützten das Gesetz. Es soll die Voraussetzungen für eine schnelle Rückholung schaffen, indem es rechtliche und bürokratische Hürden ausräumt. Die Rückholung wird bis heute als die sicherere Variante gesehen.

Nun kämpft die BGE gegen den Berg. Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter drückt es komplizierter aus, bestätigt aber, dass die Rückholung gefährdet sein könnte. Sie schreibt: „Verzögerungen bei der Umsetzung der Notfallplanung können zu einer progressiven Entwicklung gebirgsmechanischer Problembereiche und so zu einer Erschwernis oder Gefährdung der Rückholung der Abfälle führen.“

Dann beruft sie sich auf die BGE und mahnt zur Eile. „Die geplanten Verfüllmaßnahmen müssen unvermindert bzw. beschleunigt fortgesetzt werden, um die Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlage nicht zu gefährden.“ Das Bundesumweltministerium habe keine anderen Erkenntnisse oder Bewertungen als die BGE. Die Antwort darauf, wie das geschehen soll, die bleibt die Staatssekretärin jedoch schuldig. Denn schon jetzt versucht die BGE, an möglichst vielen Stellen gleichzeitig die Arbeiten voranzutreiben – und muss dabei riskieren, dass Millionen investiert werden, die für die Rückholung vielleicht gar nichts bringen. Kosten soll die Bergung des Mülls etwa sechs Milliarden Euro – sehr vorsichtig geschätzt.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Perli kündigte an, dass seine Fraktion mit Blick auf die Standsicherheit der Asse weitere Unterrichtungen im Umweltausschuss des Bundestages fordern wird.

Aus dem Schreiben von Schwarzelühr-Sutter an Perli geht außerdem hervor, dass das Bundesumweltministerium künftig nur noch in Ausnahmefällen Vertreter zu Sitzungen der Asse-2-Begleitgruppe schicken wird. Es war lange üblich, dass Staatssekretäre die Sitzungen begleiteten. Schwarzelühr-Sutter selbst war dabei, auch ihre Vorgängerin und zwischenzeitliche BGE-Chefin Ursula Heinen-Esser. Schwarzelühr-Sutter sagt nun, BGE-Vertreter seien anwesend. Das müsse ausreichen.

Für den Linken-Bundestagsabgeordneten Perli ist somit klar: „Die Asse kommt einem politischen Bedeutungsverlust gleich. Das ist kein gutes Zeichen. Die Asse ist eines der größten Umweltprobleme unseres Landes.“

Für Ex-Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) war die Asse noch „Chefsache“. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Altmaier war es auch, der auf die „Lex Asse“ drängte. Er war auch ein vehementer Befürworter der Rückholung. Er sprach im Frühjahr 2012 von einer „offenen Wunde in der Natur, die wir nicht einfach hinnehmen dürfen“. Das hätte kein Grüner schöner sagen können.

Die amtierende Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) scheint mit der Asse nicht allzu viel anfangen zu können. Nicht nur, dass ihre Staatssekretäre nicht mehr zu Asse-Sitzungen kommen. Sie selbst hat die Asse noch kein einziges Mal besucht, seitdem sie Ministerin ist. Schacht Konrad in Salzgitter übrigens auch nicht.

Perli sagte dazu: „Die Umweltministerin sollte die Asse zeitnah besuchen und sich den Fragen und Sorgen der Bürger stellen. Der Abgeordnete schlägt eine große Informationsveranstaltung unter der Leitfrage „Wie weiter mit der Asse?“ vor. An dieser Veranstaltung sollen Ministerin Schulze, Vertreter des Asse-Betreibers BGE und Bürger sich beteiligen.

Es dürfte allerdings fraglich sein, ob sich die Ministerin tatsächlich öffentlich den Fragen der Bürger stellt. Ihre Amtsvorgängerin und Parteifreundin Barbara Hendricks hat dies bei Schacht Konrad vor ein paar Jahren gemacht. Es wurde sehr ungemütlich für sie.

Die Asse:

- Aus dem Salzbergwerk Asse wurde Kali, später Steinsalz gewonnen. Anfang der 60er Jahre wurde die Grube unwirtschaftlich. Die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) erwarb sie 1965 für
900 000 Mark im Auftrag der Bundesrepublik, um dort ein Endlager für Atommüll oder ein Forschungsbergwerk einzurichten. Bis 1978 wurden 125 000 Behälter mit schwachradioaktivem Müll und 1300 mit mittelradioaktivem Abfall unter die Erde gebracht. Was genau eingelagert wurde, ist unklar.

- Nach etlichen Pannen wurde dem ehemaligen Betreiber – der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF), die später im Helmholtz Zentrum München aufging – 2009 die Verantwortung entzogen. Erst war das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter zuständig, nun nach einer Neuordnung die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE).