Wolfsburg. Die Braunschweiger Justiz wehrt sich gegen den Vorwurf, sie arbeite zu langsam. VW-Chef Diess soll indes unbehelligt reisen können.

Unser Leser Uwe Dahms aus Salzgitter fragt:

Warum dauern die Ermittlungen gegen Winterkorn so lange?

Die Antwort recherchierte Christina Lohner

Wieder einmal war die US-Justiz im Abgas-Skandal schneller, als sie vor wenigen Tagen auch noch Anklage und Haftbefehl gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn bekanntgab. Und die deutschen Ermittler? Ermitteln. Erneut wird nun der Vorwurf laut, die Mühlen der Justiz mahlten zu langsam. Das meint wohl auch unser Leser.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig weist das mit Nachdruck zurück. Das deutsche Rechtssystem unterscheide sich vom amerikanischen grundlegend, stellt Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe klar, Sprecher der Braunschweiger Behörde. So könnten die amerikanischen Beamten auch noch weiter ermitteln, wenn bereits Anklage erhoben wurde – für die deutschen ist dann Schluss. In den USA müssten Beschuldigte zudem vor einer Anklage nicht gehört werden. „Das wäre in Deutschland undenkbar“, erklärt Ziehe. Bei den fünf Braunschweiger Verfahren mit insgesamt 49 Beschuldigten sei das durchaus ein Zeitfaktor. Darüber hinaus gebe es auf der anderen Seite des Atlantiks Straftatbestände, die in Deutschland nicht existierten, wie im Falle Winterkorns die „Verschwörung“. Mal abgesehen davon, dass die Amerikaner bereits 2014 Hinweise auf die Manipulationen erhalten hätten, also ein Jahr früher.

„Die Ermittlungen gehen stetig voran“, sagt auch eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig, die die Dienstaufsicht über die Staatsanwälte hat. „Die Komplexität des Ermittlungsverfahrens bedingt, dass es länger dauert. Daran ist nichts zu beanstanden.“

Die Aufklärung des Abgas-Betrugs an weltweit elf Millionen Fahrzeugen über gut zehn Jahre sei ein „gigantisches Verfahren“, betont Ziehe. Allein aus Österreich und der Schweiz seien mehr als 10 000 Strafanzeigen übernommen worden. Einen Fall von dieser Dimension habe es in Braunschweig noch nie gegeben. Auch die Ermittlungen zu anderen großen Affären wie die Mannesmann-Übernahmeschlacht hätten Jahre gedauert. „Unser Rechtssystem verlangt eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts vor einer Abschluss-Entscheidung der Staatsanwaltschaft“, sagt Ziehe. Die Beamten hätten keinen Grund, sich zu rechtfertigen. Ein gutes Dutzend Staatsanwälte arbeite seit zweieinhalb Jahren zum Großteil an nichts anderem – das sei etwa ein Fünftel aller Braunschweiger Staatsanwälte. Noch mehr freizustellen, sei wegen der Ermittlungsarbeit in anderen Fällen nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft hatte 11,5 Stellen zusätzlich bewilligt bekommen.

Die erste Durchsuchung in der Affäre hätten die Ermittler wenige Wochen nach Bekanntwerden des Betrugs im September 2015 durchgeführt. Dass auch Jahre später durchsucht wurde, liegt laut Ziehe daran, dass neue Aspekte, Beschuldigte und Verfahren hinzugekommen seien.

Druck, den die US-Justiz auf die Ermittler in Deutschland bewusst ausüben könnte, kann Ziehe nicht erkennen: „Das ist totaler Quatsch.“ Die Sachverhaltsdarstellungen der US-Justiz rührten zu einem größeren Teil aus Ermittlungsergebnissen der Braunschweiger Staatsanwälte und hätten diese daher nicht überrascht – das heiße aber noch lange nicht, dass die Bewertungen der Amerikaner übernommen würden. Das US-Justizministerium bedankte sich am Ende seiner Pressemitteilung zur Anklage gegen Winterkorn auch bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig.

Diese ist gesetzlich verpflichtet, Belastendes sowie Entlastendes zu sammeln. „Wir ermitteln so lange wie nötig, aber nicht länger“, sagt Ziehe. Falls die Verteidiger der Beschuldigten wie geplant im Sommer Akteneinsicht erhalten, beginnen im Anschluss Fristen für Einlassungen zu den Vorwürfen. Bei wohl mehr als 20 000 Seiten bekommen die Anwälte dafür mehr Zeit. Würden dann von den Verteidigern weitere Zeugen oder Unterlagen geltend gemacht, werde die Staatsanwaltschaft diesen Hinweisen nachgehen, wenn sie sachdienlich seien. Ziehe hält es daher für „nicht überragend wahrscheinlich“, dass die Ermittlungen im „Diesel-Verfahren“ noch 2018 abgeschlossen werden. Beim Vorwurf der Marktmanipulation, der nur drei Beschuldigten gemacht wird – neben Winterkorn VW-Chef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch –, könnte es etwas schneller gehen. Ziehe vergleicht die Ermittlungen im Abgas-Skandal mit einem Marathonlauf – das letzte Sechstel der Strecke sei erreicht.

Aus VW-Aufsichtsratskreisen verlautete am Montag, für den Abschluss der internen Ermittlungen gebe es keinen Termin. Auch die angebliche Unzufriedenheit im Aufsichtsrat sei Unsinn. Das „Handelsblatt“ hatte berichtet, die Dauer der Ermittlungen sorge gerade mit Blick auf die Anklage gegen Winterkorn für Unmut in dem Kontrollgremium. Die US-Kanzlei Jones Day, die der Aufsichtsrat mit der internen Aufklärung beauftragte, hatte ihre Ermittlungen im vergangenen Jahr abgeschlossen.

Winterkorn fühle sich „nicht im Büßergewand“, zitierte die Deutsche Presse-Agentur einen Insider, der mit dem 70-Jährigen in Kontakt steht. Bei passender Gelegenheit wolle Winterkorn seine Sicht auf die schweren Vorwürfe umfassend schildern.

Seinem Nachfolger Diess hat die US-Justiz nun offenbar zugesichert, weltweit reisen zu können, ohne verhaftet zu werden. Das berichtete die Finanzagentur Bloomberg unter Berufung auf zwei mit der Sache vertraute Personen. Zudem soll Diess vorab informiert werden, falls Klage gegen ihn erhoben wird.