Hannover. Niedersachsens Landesregierung will keine Routinetests zum Alter von Flüchtlingen. Der Landkreis Hildesheim setzte auf DNA-Analyse in den USA.

Unsere Leserin Melanie Amende-Gatzmann fragt auf unseren Facebook-Seiten:

Wie sind die Kosten der Methoden?

Es ist ein niedersächsischer Landkreis, der in der Debatte um die Altersbestimmung von Flüchtlingen Schlagzeilen macht.

Rund 3000 Euro ließ es sich der Kreis Hildesheim kosten, das Alter eines afghanischen Flüchtlings zu bestimmen. Die Behörden schickten dazu laut der Zeitschrift „stern“ eine freiwillig abgegebene Blutprobe des Mannes in ein Labor in Kalifornien. Ergebnis: Der Afghane sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens 26 Jahre alt. Eine Röntgenaufnahme hätte zwar nur einen Bruchteil der Kosten bedeutet. In der Preisliste einer Klinik etwa ist das Röntgen des Handgelenks mit rund 20 Euro angegeben. Der Landkreis verweist aber darauf, dass sein Ergebnis genauer und der Eingriff für den Betroffenen geringer sei.

Ob Flüchtlinge minderjährig sind, ist von erheblicher Bedeutung. Ihr Anspruch auf besonderen Schutz ist rechtlich abgesichert, für sie sind mehr Integrationshilfen und individuellere Betreuung vorgesehen. Auch strafrechtlich ist das Alter gegebenenfalls von erheblicher Bedeutung, wenn Jugendstrafrecht gilt oder eben nicht.

Doch bei Altersfeststellungen wie im Fall Hildesheim geht es nicht um Extremfälle und das Strafrecht, sondern um Integration und Leistungen des Staates. Rechtsgrundlage ist vor allem das Sozialgesetzbuch. Im niedersächsischen Sozialministerium ist denn auch von einem „abgeschichteten Verfahren“ zur Altersfeststellung die Rede. Papiere werden gesichtet, der Flüchtling wird befragt, der Gesamteindruck bewertet. Im Zweifel folgt eine genauere „qualifizierte Inaugenscheinnahme“ durch zwei Sozialarbeiter, falls nötig kommen Ärzte ins Spiel. „Geeignete Mittel können eine Altersschätzung aufgrund äußerlicher körperlicher Merkmale, eine körperliche Untersuchung und ggf. eine Röntgenaufnahme der Hand und der Schlüsselbeine sowie eine zahnärztliche Untersuchung (Zahnstatus) sein“, heißt es in einem bundesweiten Behörden-Leitfaden. Auch die Ausländerbehörden können zwar das Lebensalter prüfen lassen. Meist erledigen das aber die Jugendämter. Während Kinder- und Jugendärzte die Grenzen der gängigen Verfahren betonen und Zweifel äußern, ob sie mit dem medizinischen Ethos zu vereinbaren sind, halten Rechtsmediziner eine Aussagekraft durchaus für gegeben. „Die forensische Altersdiagnostik ist in der Lage, in Zweifelsfällen das Mindestalter eines vermeintlich Minderjährigen zu bestimmen“, sagt auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Dirk Toepffer. Im konkreten Fall allerdings landete die Blutprobe des Afghanen bei Steve Horvath, einem Humangenetiker an der University of California in Los Angeles. Horvath untersucht altersbedingte Veränderungen in Genbausteinen. „Es ist, als würde die DNA im Laufe des Lebens rosten“, so Horvath zum „Stern“. Das Verfahren sei sehr viel genauer als andere. Das sah auch der Landkreis Hildesheim so. Mitarbeiter hatten auf einer Tagung von der Analyse-Möglichkeit in Los Angeles gehört.

„Wir werden im Landtag eine Unterrichtung zum Verfahren der Feststellung der Minderjährigkeit von Geflüchteten beantragen“, sagte der Grünen-Abgeordnete Belit Onay unserer Zeitung. Er würde es „sehr begrüßen“, wenn die bisherigen umstrittenen Methoden vermieden werden können. Onay will Altersprüfungen aber nur in Zweifelsfällen und warnt vor einem „Generalverdacht“. Auf Anfragen im Landtag hatten 42 niedersächsische Jugendämter erklärt, dass seit November 2015 bis Anfang 2017 in 157 Fällen ärztliche Untersuchungen erfolgt seien. In 90 Fällen lag demnach keine Minderjährigkeit vor. Derzeit sind knapp 4700 unbegleitete minderjährige Ausländer in Niedersachsen. „Eine routinemäßige Anwendung dieser Verfahren wäre unverhältnismäßig“, erklärte auch ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums. Zum im Fall Hildesheim verwendeten Verfahren will man sich ohne ausreichende Informationen nicht äußern. Genauere Verfahren seien „grundsätzlich“ aber zu begrüßen.

Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier: Im Zweifel für Alterstests